Eisbären sind einsame Wanderer, Männchen sind meist alleine, Weibchen nur mit ihren Jungen unterwegs. Manchmal gibt es aber ganz erstaunliche Ausnahmen.
Wir kamen zurück von Kvitøya, der Weißen Insel ganz im Osten von Spitzbergen, wo die Inseln am einsamsten und eisigsten sind. Im Osten von Nordaustlandet stemmt sich hier noch ein kleines Eiland gegen die Eisstürme, sie hat einen lustigen Namen, denn es ist eigentlich neben dem großen Nordaustlandet ein kleines Inselchen, trotzdem aber heißt sie Storøya, die große Insel.
Halb ist sie vom dem weißen Tuch eines Gletschers bedeckt, der Storøyjøkulen. In garstigem Wetter fuhren wir ihre Küste entlang, es war windig und es regnete einem eine nasse Kälte in die Knochen. Am Ufer sahen wir überall hohe Brandung, bis auf ein kleines Fleckchen nahe des Polarstarodden, an einem Sandstrand mit nassem Schnee und Schmelzwassertümpeln.
Um auch auf dieser sehr selten angefahrenen Insel an Land zu gehen, ließen wir die Boote ins Wasser und setzten über, wo ich gleich zu Beginn in einem guten Abstand einen Bären erspähte, der seinen Kopf hob und dann wieder hinter einem Felsen verschwand. Weil er sich so gar nicht wieder zeigen wollte, begannen wir eine kleine Runde zu drehen, aber zack, schon sah ich einen zweiten, der sich im Schnee wälzte, 400 Meter entfernt etwa.
Unsere beiden Zodiacs blieben also immer in Ufernähe, und wir blieben auf dem Strand und schauten dem Bären eine Weile zu, der sich recht aktiv immer wieder im Schnee wälzte und eine kleine Show abzog für uns. Wir standen allerdings mit dem Wind zu ihm, und so begann er irgendwann verdutzt zu wittern. Er schaute in unsere Richtung und setzte sich in Bewegung.
Ein guter Moment, in die schon bereitstehenden Boote einzusteigen, auch wenn der Bär unterdessen schon wieder das Interesse verloren hatte und in die andere Richtung weitermarschierte. Der Wind hatte außerdem auch zugenommen, es war sowieso an der Zeit, wieder aufs sichere Schiff zu gehen.
Zum Aufwärmen gab der Kapitän das Kommando, alle Segel zu setzen, das war also Arbeit für alle. Und gerade als alle Segel gesetzt waren, was eine ganze Weile dauert bei einem Tallship, und die Antigua sich wunderschön zur Seite legte im Wind, kam ein Ruf aus der Küche: Sascha, Koch und Adlerauge, hatte beim Zwiebelschneiden aus seinem Küchen-Bullauge wieder mal einen Eisbären entdeckt. Und nicht nur einen.
Wären wir in Schottland gewesen, hätten wir gedacht, wir hätten es mit einer Schafsherde zu tun, so viele gelbliche Punkte standen da in der Tundra. Schafe gab es hier aber nicht. Es waren Eisbären, einer, zwei, drei, vier, an der Seite des Gletschers und an einem Strandstreifen, fünf, sechs, insgesamt zählten wir 23 Eisbären auf einer Fläche kleiner als ein Fußballfeld.
Also mussten alle Segel sofort wieder herunter, denn wir wollten hier natürlich stehenbleiben und schauen, was diese immense Menge an Bären angezogen hatte und was die Bären hier überhaupt machten.
Gesagt, getan, alle Segel wieder runter, Kurs an die Küste, der wir uns nicht besonders dicht nähern konnten, weil es dort recht flach wurde. Aber so hatten wir Blick auf alle Bären und ihre Interaktionen. Und entdeckten schließlich auch das Zentrum ihrer Aufmerksamkeit: Im flachen Wasser lag ein Walkadaver. Wir konnten einige Wirbel und Rippen erkennen, es musste ein großer Wal sein, was auch erklärte, warum hier so viele Tiere herumlungerten, die sich gegenseitig nicht störten: Es war so viel zu Fressen da, dass man auch Konkurrenten duldete und niemanden verdrängen musste. Der Bär ist dem Menschen da ganz ähnlich.
Die Bären wechselten sich beim Fressen ab und legten sich dann wieder gemütlich in den Schnee. Auch eine Mutter mit ihrem einjährigen Jungen wagte sich an den Kadaver, und ab und zu spielte sie auch mit ihrem Nachwuchs, völlig unbekümmert. Ein sehr ungewöhnliches Bild, wenn so viele Männchen in der Nähe sind, die Bärennachwuchs, der nicht ihr eigener ist, gerne auch mal gefährlich werden. Aber einige der Bärenmännchen waren so fett, dass sie sich wahrscheinlich gar nicht mehr genügend bewegen konnten, um den kleinen Wildfang zu erwischen. In der Bären-Einordnungsskala mussten wir mehrere der Männchen hier unter „5 – adipös“ einordnen.
Wir blieben dreieinhalb Stunden bei den Bären und staunten und beobachteten. Was für ein Glück, was für ein Geschenk, diese Tiere und ihr Verhalten so lange und in Ruhe sehen zu dürfen, an diesem windigen Ort am Ende der Welt.
Ein Ort, den man künftig auch nicht mehr besuchen darf, dank der neuen Regeln Norwegens.
Ein Jammer.
Bis in zwei Wochen!
Eure
Birgit Lutz