Manchmal geschehen Dinge, die sind so schön, dass man es kaum fassen kann. Vom Glück einer Zodiacfahrt.
Es fühlte sich an, als würden wir fliegen. Jeder, der schon einmal in einem Schlauchboot über einen still daliegenden See gefahren ist, in dem sich keine Welle kräuselt, kennt das schöne Gefühl, in dieses glatte Wasser hineinzufahren. Aber was wir in einem ostgrönländischen Fjord erlebt haben, war noch einmal etwas ganz anderes.
Unser Schiff lag bei Isortoq vor Anker, an einem herbstlich-sonnigen Tag. Ein Tag, perfekt, um bis zum Inlandeis zu wandern. Wir fuhren also mit den Booten den langen Fjord von Isortoq bis ganz an sein Ende. Dort war ich 2013 bei meiner Grönland-Durchquerung angekommen, dort kannte ich einen ungefähren Weg, wie man zum Inlandeis hochkam.
Schon bei der Hinfahrt lag in dem Fjord frisches Meereis, ganz dünn zwar noch, aber recht großflächig. Nach unserer Wanderung, die in einer der folgenden Kolumnen Thema sein wird, standen wir wieder bei den Booten und schauten nun auf noch mehr Meereis im Fjord. Weil hier von mehreren Gletschern viel Süßwasser ins Meer floss, das sich offensichtlich nicht gut vermischte, sondern wie ein Deckel oben auf dem Salzwasser liegenblieb, fror das Meer hier bereits, obwohl es gerade mal ein paar Stunden pro Tag leichte Minusgrade hatte. Erstaunlich. Denn bis Meerwasser friert, braucht es normalerweise schon etwas tiefere Temperaturen, über einen längeren Zeitraum. Wie dem auch sei, hier lag also diese dünne Schicht Meereis.
Sie war dünn genug, sie mit den Zodiacs noch zu durchbrechen, und dabei wurde noch deutlicher, dass wir es hier nicht mit salzigem Meereisschlamm zu tun hatten. Das hier war kein Nilas, das war vor allem Süßwassereis. Es knirschte und knackte, bis wir es aus dem hintersten Teil des Fjords herausgeschafft hatten.
Wahrscheinlich hat auch dieses Eis zum Teil zu dem beigetragen, was wir nun erleben sollten: Vor uns öffnete sich der Fjord, intensiv gelbbraune Felsen im Norden und Süden, in der Mitte eine Insel. Das Wasser lag nicht da wie ein Spiegel. Es lag hier wie Luft, wie der Himmel, wie ein glattes Nichts. Das Wasser war so glatt; ich habe noch nie ein solches Meer erlebt, in all den Jahren des Zodiacfahrens vor Gletschern in schönem, ruhigem Wasser. Das Eis hatte wahrscheinlich jegliche Bewegung in dieser Fläche noch einmal herausgenommen, den Wind von der Oberfläche ferngehalten und Wellenbildung verhindert. Vereinzelt drifteten kleine Eisberge und Eisstückchen nach Osten, sie sahen aus, als schwebten sie. Auch sie verursachten keine Welle, sie waren einfach: da.
Wir staunten dieses Wasser an, die Gäste in meinem Boot und ich. Ich gab schließlich Gas und fuhr in diese Wunderwelt hinein, und nun passierte etwas, was mir noch nie passiert ist: Ich musste aufpassen, dass mir nicht schwindlig wurde. Denn es war, als würde das Boot fliegen. Luft und Wasser schienen eins zu werden. Wenn ich vor das Boot blickte, sah ich nur dieses khakigrüne Etwas, aber wo das Wasser genau begann, konnte ich gar nicht erkennen. So flogen wir dahin, die Gäste blickten gebannt nach vorne, es war kalt und der Fahrtwind ließ die Augen tränen, aber niemand drehte sein Gesicht zur Seite. Niemand konnte fassen, was wir da erlebten.
Nach einigen Minuten des so Dahinfliegens erreichten wir die Durchfahrt an der Südseite der im Fjord liegenden Insel. Hier lagen noch mehr kleine Eisberge, und obwohl wir zurück zum Schiff mussten, musste ich einfach bremsen. Ich funkte an das andere Boot, dass wir unbedingt einen Fotostopp einlegen sollten. Und so hielten wir an, in diesem Traumbild von Grönland.
Nach einigen Minuten setzten wir unsere Fahrt fort, in weichen Kurven an den schwebenden Eishügeln vorbei. Die Gäste jubelten und strahlten, wir waren beinahe berauscht vom Glück.
Seltsamerweise wurden gar nicht so viele Fotos gemacht. Weil wir alle einfach staunten. Ohnehin galt auch hier, dass diese Szene nicht festhaltbar war, auf keinem Foto der Welt. Das ist häufig so mit Fotos von Grönland, in Grönland ist alles einfach zu groß, wie es wirklich ist, sieht man nicht auf den Bildern, auf denen alles entweder viel zu mickrig oder zu detailliert erscheint. Spitzbergen kann man fotografieren. Grönland nicht, es fehlt immer viel zu viel. Vielleicht hätte man diese Fahrt gut filmen können, das hat aber niemand. Wir waren von dieser Schönheit überrumpelt worden, und so habe ich kaum Aufnahmen davon. Das macht auch nichts. Wir haben diese Fahrt erlebt, wie ein einziges, grandioses Abschiedsgeschenk, das uns Grönland gemacht hat.
Diese Fahrt hat sich für immer eingebrannt in meine Erinnerung. Sie war die schönste Zodiacfahrt in meinem bisherigen Guide-Leben. Was bin ich dankbar, dass ich sehen darf, wie schön unsere Welt ist. So schön, dass ich keine Worte habe.
Bis in zwei Wochen!
Eure
Birgit Lutz