Bei Reisen wie im Leben kommt es oft auf den richtigen Moment an. Manchmal kann man dem aber auf die Sprünge helfen.
Warten. Geduld. Ausdauer. Wer Natur beobachten möchte, wer Tiere sehen will oder bestimmte Phänomene beobachten, der braucht Geduld. Was haben wir schon gewartet auf unseren Reisen. Auf Nordlicht, auf Wale, darauf, dass sich ein schlafender Eisbär bewegt. Warten ist wohl eine der wichtigsten Tätigkeiten, wenn es um Tier- und Naturbeobachtungen geht, vor allem in der Arktis.
Denn im Norden muss man sich seine Erlebnisse, seine Sichtungen verdienen, hier stehen keine Pinguinkolonien zuverlässig in der Gegend herum, nein, man braucht Geduld beim Suchen und viel Ausdauer, und wenn man nachlässt – sieht man eben nichts. Oder zumindest weniger, als man sehen könnte. Das Fernglas stundenlang vor Augen, so fährt man also dahin. Verdächtige Fleckchen überprüft man mit dem großen Fernrohr, immer wieder. Identifiziert so manchen Stein, immer wieder. Und irgendwann, irgendwann wird man dann fündig. Dank dieser Ausdauer sind uns schon wunderbare Eisbärsichtungen gelungen.
Ein bisschen anders ist es beim Nordlicht: Hier gibt es unterschiedliche Prüfungsstufen. Zuerst natürlich braucht es klaren Himmel. Dann gibt es diverse Apps, die ihre Vorhersagen treffen, und einige Internetseiten, die die Aktivität der Sonne zeigen, und wann die Auswirkungen diverser Sonnenstürme auf der Erde sichtbar werden können. Hier beginnt die Ausdauer also schon lang vor der Reise, denn wenn man sich mit all diesen Phänomenen ein bisschen beschäftigt, wird man tatsächlich immer besser im Erwischen des richtigen Moments beim Nordlichtsehen. Aber immer noch muss man trotzdem wieder und wieder hinaus, den Himmel mit eigenen Augen absuchen, auf Zeichen achten, spät ins Bett gehen.
Wenn dann das Nordlicht über den Himmel tanzt, ist erst recht Ausdauer gefragt. Manchmal sind es ja gerade ein paar weiße Schlieren, die kaum anders wirken als Wolken, die anfangs zu sehen sind. Wer weiß dann schon, ob sich das Warten lohnt? Das weiß man schlussendlich nur, wenn man wirklich draußen bleibt in der Kälte, wartet, beobachtet. Nur dann verpasst man wirklich nichts.
Das Draußenbleiben ist sowieso immer das Wichtigste. Wer Ausdauer beweist, an Deck stehen bleibt, wird auf einer Schiffsreise immer am meisten sehen. Zwergwale zum Beispiel lohnen sich oftmals nicht, um alle zu alarmieren, denn man sieht sie nur ein- oder zweimal. Wer draußen steht, sieht sie, wer nicht, nicht. Eissturmvögel, die wagemutig fast greifbar nahe am Schiff entlang segeln, Lichtspiele auf dem Wasser und am Himmel, plötzlich doch eine Buckelwalfluke – all das sehen diejenigen, die an Deck stehen, es ist ihr Lohn für das Frieren und Warten und Stehen und Schauen.
Und noch einmal ganz anders ist es, wenn man auf das Kalben eines Gletschers wartet. Man dümpelt vor dem Gletscher herum, egal, ob auf dem Schiff oder auf dem Zodiac. Erspüren muss man zu Beginn immer erst einmal, was hier alles los ist, wie viel und wo. Das zeigt einem die Menge des Eises, das im Wasser liegt, die kleinen und großen Bröckchen, die schon gekalbt sind von dem großen Gletscher. Wartet und schaut und hört man eine Weile, lernt man die Gletscherfront besser kennen, man hört es knacken, sieht Überhänge, hellblaues Eis, das auf frische Kalbungen hindeutet.
Einmal standen wir vor dem Blomstrandbreen, es krachte und knallte, und ein großes Stück Eis brach ab. Die Gäste waren elektrisiert, denn nun stand da ein Eisturm fast alleine vor dem Gletscher, so schief, dass es nicht mehr lange dauern konnte, bis auch er umfiel. Wenn das geschah, so viel war klar, würde noch viel mehr abbrechen. Und darauf wollten die Gäste also nun warten. Es krachte und knallte, aber es tat sich nichts. Wir warteten und warteten.
Und so verriet ich ihnen, dass es einen todsicheren Trick gibt, wie man derlei Dinge provozieren kann. Nun wurde gemutmaßt, dass wir das Schiffshorn tuten lassen wollten, und der Schall sollte die Kalbung provozieren. Derlei kommt natürlich nicht in Frage für uns; mein Tipp war ganz anderer Natur. Ich kündigte einfach an, duschen zu gehen. Denn gemeinhin passieren die Dinge ja genau dann, wenn man die Beobachtung aufgibt.
Und was soll ich sagen, kaum war das Shampoo im Haar, fiel das Eis.
Bis in zwei Wochen!
Eure
Birgit Lutz