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Birgit Lutz

In ihrer Polarkolumne, die ab 2021 immer freitags auf unserer Homepage neu erscheint, schreibt die Expeditionsleiterin und Autorin Birgit Lutz über alle Themenfelder der Polarregionen - von großen Erlebnissen und kleinen Momenten auf eigenen Reisen über aktuelle Entwicklungen in Arktis und Antarktis bis hin zu praktischen Informationen für Ihre Reisevorbereitung oder Empfehlungen zur Polarliteratur.

Notizen aus dem Eis 131 | Lemming Helmuts Winterreise

Eine unerwartete Tiersichtung, einen blinden Passagier und eine Rettungsaktion mit Auswilderung – das erlebten wir ganz unverhofft in Nordnorwegen.

Nordnorwegen im Winter ist ein traumhaftes Ziel; man kann verschiedene Walarten, Elche und Rentiere, Nordlicht und überhaupt tolle Lichtstimmungen beobachten. Bei einer meiner jüngsten Reisen nun aber hatten wir ein bezauberndes Erlebnis mit einem ganz anderen Tierchen.

Wir hatten mit der Meander gerade an der kleinen Insel Spildra angelegt und saßen gemütlich im Salon, als Matrose Lukas hereingestürmt kam. „Da draußen ist ein Hamster!“ rief er. Vom Polarhamster hatten wir nun noch nie gehört und folgten dem Matrosen prompt nach draußen. Tatsächlich huschte auf den Balken der Pier ein wuscheliges Wesen umher, das aussah wie eine Mischung aus Hamster und Meerschweinchen. Es stellte sich als Lemming heraus! Ein unglaublich putziges Tierchen, wie wir nun beobachten konnten.
Den Abend verbrachten wir in der lokalen Bar, an deren Fenster ebenfalls immer wieder Lemminge vorbeihuschten. Die Lemminge wuchsen uns ans Herz, wenn sie vermutlich mangels Feinden auch eher eine Plage für die zweibeinigen Inselbewohner waren.

Am nächsten Morgen fuhren wir wieder ab aus Spildra und suchten gerade nach Walen, als ein Wuschel von achtern zum Bug wuschelte und sich unter den Tauen versteckte. Lemming an Bord! Kapitän Marios sehr ehrliche Reaktion lautete in Sekundenschnelle: „Der muss sofort inne Kiste!“ Natürlich will kein Kapitän einen Nager an Bord haben. Womöglich war es eine Nagerin und plötzlich waren es viele kleine Nagerlein! Das musste man natürlich verhindern.

Lukas fing das kleine Wesen also ein, das sich kaum wehrte und wir tauften es Helmut. Wir bauten ihm auf dem Achterdeck eine kleine Kiste mit Windschutz und wollten ihn an unserem nächsten Halt, eine andere Insel, wieder aussetzen. Doch dann sahen wir uns an. Was, wenn es ein Weibchen war und Junge hatte, die nun auf die Mama warteten? Was, wenn es auf der andren Insel keine Lemminge gab? Bunteste Dinge malten wir uns aus, bis Kapitän Mario die Augen verdrehte und zum Funkgerät griff. Er funkte die Arctica 2 an, ein Segelboot, dessen Skipper gestern mit uns in der Bar gewesen war und schilderte die verzwickte Situation. Völlig ohne Umschweife nahm die Arctica 2 kurzerhand Kurs auf uns, denn sie wollten heute abend wieder nach Spildra fahren. Und Helmut mitnehmen.

Lukas baute Helmut nun eine Transportbox. Im schwindenden Licht und bei nicht gerade ruhiger See näherte sich uns bald das Segelboot und zwei seiner Besatzungsmitglieder stiegen in ein kleines Beiboot um. Sie näherten sich uns behutsam. Solche Aktionen sind nicht einfach, wenn beide Schiffe fahren und raue Bedingungen herrschen, aber das Boot kam an unsere Leeseite und Lukas übergab vorsichtig die lebende Fracht. Die Crewmitglieder überreichten uns ihrerseits ein Papier, dann war die Übergabe auch schon vorbei. Das Papier stellte sich als Pass für Helmut heraus, den die Crew des Seglers angefertigt hatte. Besondere Kennzeichnen: Ausbruchsversuch.

Unsere Gäste waren hingerissen von unserer Fürsorglichkeit für den kleinen Lemming, aber mal ehrlich, hatten wir eine andere Wahl?

Am Abend erreichte uns eine Aufnahme der Auswilderung Helmuts. Die beiden Jungs öffneten vorsichtig den Deckel der Transportbox, und der Lemming schnupperte erst vorsichtig aus der Öffnung heraus. Schließlich zischte er aber wie eine pelzige Kanonenkugel heraus und direkt dem einen der Männer zwischen die Beine, ob das Verwirrung oder ein Dank war, wer weiß es schon. Wie ein Flipperball flitzte Helmut dann über die Schneefläche, mit sehr schnellen Richtungsänderungen, und entschwand in Richtung seiner – oder ihrer – Kolonie.

Kaum aber war das Video zu Ende, machten wir uns erneut Gedanken: Was, wenn Helmut nun endlich ein Ausbruchsversuch gelungen war, den wir vereitelt hatten? Vielleicht WOLLTE er ja von Spildra fort? Wir werden es nie erfahren. Wir wollen aber glauben, dass Helmut auf Spildra wieder glücklich wurde. Oder Helmina.

Bis in zwei Wochen!

Eure
Birgit Lutz

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Wir hatten mit der Meander gerade an der kleinen Insel Spildra angelegt und saßen gemütlich im Salon, als Matrose Lukas hereingestürmt kam. „Da draußen ist ein Hamster!“ rief er. Vom Polarhamster hatten wir nun noch nie gehört und folgten dem Matrosen prompt nach draußen. Tatsächlich huschte auf den Balken der Pier ein wuscheliges Wesen umher, das aussah wie eine Mischung aus Hamster und Meerschweinchen. Es stellte sich als Lemming heraus! Ein unglaublich putziges Tierchen, wie wir nun beobachten konnten.
Den Abend verbrachten wir in der lokalen Bar, an deren Fenster ebenfalls immer wieder Lemminge vorbeihuschten. Die Lemminge wuchsen uns ans Herz, wenn sie vermutlich mangels Feinden auch eher eine Plage für die zweibeinigen Inselbewohner waren.

Am nächsten Morgen fuhren wir wieder ab aus Spildra und suchten gerade nach Walen, als ein Wuschel von achtern zum Bug wuschelte und sich unter den Tauen versteckte. Lemming an Bord! Kapitän Marios sehr ehrliche Reaktion lautete in Sekundenschnelle: „Der muss sofort inne Kiste!“ Natürlich will kein Kapitän einen Nager an Bord haben. Womöglich war es eine Nagerin und plötzlich waren es viele kleine Nagerlein! Das musste man natürlich verhindern.

Lukas fing das kleine Wesen also ein, das sich kaum wehrte und wir tauften es Helmut. Wir bauten ihm auf dem Achterdeck eine kleine Kiste mit Windschutz und wollten ihn an unserem nächsten Halt, eine andere Insel, wieder aussetzen. Doch dann sahen wir uns an. Was, wenn es ein Weibchen war und Junge hatte, die nun auf die Mama warteten? Was, wenn es auf der andren Insel keine Lemminge gab? Bunteste Dinge malten wir uns aus, bis Kapitän Mario die Augen verdrehte und zum Funkgerät griff. Er funkte die Arctica 2 an, ein Segelboot, dessen Skipper gestern mit uns in der Bar gewesen war und schilderte die verzwickte Situation. Völlig ohne Umschweife nahm die Arctica 2 kurzerhand Kurs auf uns, denn sie wollten heute abend wieder nach Spildra fahren. Und Helmut mitnehmen.

Lukas baute Helmut nun eine Transportbox. Im schwindenden Licht und bei nicht gerade ruhiger See näherte sich uns bald das Segelboot und zwei seiner Besatzungsmitglieder stiegen in ein kleines Beiboot um. Sie näherten sich uns behutsam. Solche Aktionen sind nicht einfach, wenn beide Schiffe fahren und raue Bedingungen herrschen, aber das Boot kam an unsere Leeseite und Lukas übergab vorsichtig die lebende Fracht. Die Crewmitglieder überreichten uns ihrerseits ein Papier, dann war die Übergabe auch schon vorbei. Das Papier stellte sich als Pass für Helmut heraus, den die Crew des Seglers angefertigt hatte. Besondere Kennzeichnen: Ausbruchsversuch.

Unsere Gäste waren hingerissen von unserer Fürsorglichkeit für den kleinen Lemming, aber mal ehrlich, hatten wir eine andere Wahl?

Am Abend erreichte uns eine Aufnahme der Auswilderung Helmuts. Die beiden Jungs öffneten vorsichtig den Deckel der Transportbox, und der Lemming schnupperte erst vorsichtig aus der Öffnung heraus. Schließlich zischte er aber wie eine pelzige Kanonenkugel heraus und direkt dem einen der Männer zwischen die Beine, ob das Verwirrung oder ein Dank war, wer weiß es schon. Wie ein Flipperball flitzte Helmut dann über die Schneefläche, mit sehr schnellen Richtungsänderungen, und entschwand in Richtung seiner – oder ihrer – Kolonie.

Kaum aber war das Video zu Ende, machten wir uns erneut Gedanken: Was, wenn Helmut nun endlich ein Ausbruchsversuch gelungen war, den wir vereitelt hatten? Vielleicht WOLLTE er ja von Spildra fort? Wir werden es nie erfahren. Wir wollen aber glauben, dass Helmut auf Spildra wieder glücklich wurde. Oder Helmina.

Bis in zwei Wochen!

Eure
Birgit Lutz