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Quelle: Michelle Van Dijk
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Birgit Lutz

In ihrer Polarkolumne, die ab 2021 immer freitags auf unserer Homepage neu erscheint, schreibt die Expeditionsleiterin und Autorin Birgit Lutz über alle Themenfelder der Polarregionen - von großen Erlebnissen und kleinen Momenten auf eigenen Reisen über aktuelle Entwicklungen in Arktis und Antarktis bis hin zu praktischen Informationen für Ihre Reisevorbereitung oder Empfehlungen zur Polarliteratur.

Notizen aus dem Eis 40 – Die richtungsweisende Polster-Pflanze

Das Schöne an meinem Arktis-Leben ist, dass ich in dieser Region sehr viel gelernt habe, das auch auf mein „normales“ Leben sehr viel Einfluss hat. Zum Beispiel habe ich tatsächlich in der Arktis meine Liebe und Achtung vor Blumen gelernt. In der Arktis, dieser angeblichen leblosen Eiswüste, ja.

Das kommt einfach daher, dass man immer wieder aufs Neue überrascht ist, wie es gar zarte Blümelein schaffen, in dieser zwar nicht leblosen Eiswüste, aber doch ab und an enorm unwirtlichen Gegend zu überleben. Wenn man nach zwei Tagen Sturm und Schaukelei in einer Bucht anlandet, in der einem der Regen gar lieblich ins Gesicht peitscht und langsam durch die angeblich wasserdichten Kunstkleidungsschichten dringt, und dann findet man auf kargem Kiesel lauter zarte Pflänzchen, die sich diesen tosenden Stürmen so viel unbeeindruckter entgegenstemmen – dann zeige man mir den Menschen, den das nicht beeindruckt.

Eine dieser Pflanzen ist das Stengellose Leimkraut (Silene acaulis), das auf italienisch den schönen Namen silene a cuscinetto trägt, die Polsterchen-Silene. Das ist auch der Name, der diese Pflanze am besten beschreibt, denn sie wächst, Überraschung, in Polstern oder Kissen, auf deutsch hat sie deswegen mitunter auch den Namen Polsternelke.

Diese Kissen haben eine wichtige Funktion: Weil das Kraut so gedrungen wächst, kreiert sich die Pflanze dadurch ihr eigenes Mikroklima – und das ist auch der Grund, warum sie es in so kalten Gegenden so gut aushält. In den Kissen ist es immer einige Grad wärmer als in der Umgebung. Diese Pflanze baut sich also nicht nur eine eigene Daunenjacke, sondern sie IST ihre eigene Jacke. Das ist doch irre, finde ich zumindest.

Durch diese gute Polsterung auf jeden Fall ist das Leimkraut überall dort anzutreffen, wo es ein bisschen rauer zugeht, in den Alpen beispielsweise von 1500 Meter bis 3600 Meter Höhe – mit steigender Tendenz. Auf der Nordhalbkugel ist das Leimkraut weit verbreitet, von den Alpen über die Pyrenäen und Karpaten bis zu den Tundren Spitzbergens, Grönlands und Island, aber auch in Neufundland ist es zu finden, um nur einige Orte zu nennen.

Die Polster können bis zu zwei Meter Durchmesser bekommen und ganze hundert Jahre alt werden; ihre Wurzeln werden stolze 130 Zentimeter lang. Manchmal sehen wir schon vom Schiff aus, wenn wir mit dem Fernglas Landestellen nach pelzigen Gesellen absuchen, große purpurrote Kissen leuchten – das Leimkraut blüht sehr dicht in kleinen, wunderschönen Blüten.

Außer wunderschön aussehen und in der Kälte überleben kann das Leimkraut aber noch etwas ganz anderes: Es kann einem, mit ein bisschen Wissen, die Himmelsrichtung anzeigen. Und zwar so: Die rundlichen Kissen haben naturgemäß eine dem Süden mehr zugewandte Seite. Und da die ersten Sonnenstrahlen und dann auch der jeweils längste Tagessonnenschein aus dem Süden auf die Pflanze strahlt, blüht sie dort als erstes.

Kommt man also im Frühsommer zu einer teilweise blühenden Pflanze, ist bei den Blüten Süden. Im Herbst wiederum zeigen die bereits länger verblühten Blüten an, wo Süden ist. Und das ist doch auch wieder ein ganz famoses Naturwissen, dass, wer weiß, vielleicht schon dem ein oder anderen verlorenen Jäger wieder auf die richtige Fährte verholfen hat. Und deswegen heißt das stengellose Leimkraut auch: Kompasspflanze.

Damit wäre ich mit meiner Weisheit über diese schöne Pflanze am Ende – auf dass ihr immer einen guten Kompass bei euch habt, egal, wo ihr seid!

Bis nächste Woche!

Ihre
Birgit Lutz

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Das kommt einfach daher, dass man immer wieder aufs Neue überrascht ist, wie es gar zarte Blümelein schaffen, in dieser zwar nicht leblosen Eiswüste, aber doch ab und an enorm unwirtlichen Gegend zu überleben. Wenn man nach zwei Tagen Sturm und Schaukelei in einer Bucht anlandet, in der einem der Regen gar lieblich ins Gesicht peitscht und langsam durch die angeblich wasserdichten Kunstkleidungsschichten dringt, und dann findet man auf kargem Kiesel lauter zarte Pflänzchen, die sich diesen tosenden Stürmen so viel unbeeindruckter entgegenstemmen – dann zeige man mir den Menschen, den das nicht beeindruckt.

Eine dieser Pflanzen ist das Stengellose Leimkraut (Silene acaulis), das auf italienisch den schönen Namen silene a cuscinetto trägt, die Polsterchen-Silene. Das ist auch der Name, der diese Pflanze am besten beschreibt, denn sie wächst, Überraschung, in Polstern oder Kissen, auf deutsch hat sie deswegen mitunter auch den Namen Polsternelke.

Diese Kissen haben eine wichtige Funktion: Weil das Kraut so gedrungen wächst, kreiert sich die Pflanze dadurch ihr eigenes Mikroklima – und das ist auch der Grund, warum sie es in so kalten Gegenden so gut aushält. In den Kissen ist es immer einige Grad wärmer als in der Umgebung. Diese Pflanze baut sich also nicht nur eine eigene Daunenjacke, sondern sie IST ihre eigene Jacke. Das ist doch irre, finde ich zumindest.

Durch diese gute Polsterung auf jeden Fall ist das Leimkraut überall dort anzutreffen, wo es ein bisschen rauer zugeht, in den Alpen beispielsweise von 1500 Meter bis 3600 Meter Höhe – mit steigender Tendenz. Auf der Nordhalbkugel ist das Leimkraut weit verbreitet, von den Alpen über die Pyrenäen und Karpaten bis zu den Tundren Spitzbergens, Grönlands und Island, aber auch in Neufundland ist es zu finden, um nur einige Orte zu nennen.

Die Polster können bis zu zwei Meter Durchmesser bekommen und ganze hundert Jahre alt werden; ihre Wurzeln werden stolze 130 Zentimeter lang. Manchmal sehen wir schon vom Schiff aus, wenn wir mit dem Fernglas Landestellen nach pelzigen Gesellen absuchen, große purpurrote Kissen leuchten – das Leimkraut blüht sehr dicht in kleinen, wunderschönen Blüten.

Außer wunderschön aussehen und in der Kälte überleben kann das Leimkraut aber noch etwas ganz anderes: Es kann einem, mit ein bisschen Wissen, die Himmelsrichtung anzeigen. Und zwar so: Die rundlichen Kissen haben naturgemäß eine dem Süden mehr zugewandte Seite. Und da die ersten Sonnenstrahlen und dann auch der jeweils längste Tagessonnenschein aus dem Süden auf die Pflanze strahlt, blüht sie dort als erstes.

Kommt man also im Frühsommer zu einer teilweise blühenden Pflanze, ist bei den Blüten Süden. Im Herbst wiederum zeigen die bereits länger verblühten Blüten an, wo Süden ist. Und das ist doch auch wieder ein ganz famoses Naturwissen, dass, wer weiß, vielleicht schon dem ein oder anderen verlorenen Jäger wieder auf die richtige Fährte verholfen hat. Und deswegen heißt das stengellose Leimkraut auch: Kompasspflanze.

Damit wäre ich mit meiner Weisheit über diese schöne Pflanze am Ende – auf dass ihr immer einen guten Kompass bei euch habt, egal, wo ihr seid!

Bis nächste Woche!

Ihre
Birgit Lutz