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Birgit Lutz

In ihrer Polarkolumne, die ab 2021 immer freitags auf unserer Homepage neu erscheint, schreibt die Expeditionsleiterin und Autorin Birgit Lutz über alle Themenfelder der Polarregionen - von großen Erlebnissen und kleinen Momenten auf eigenen Reisen über aktuelle Entwicklungen in Arktis und Antarktis bis hin zu praktischen Informationen für Ihre Reisevorbereitung oder Empfehlungen zur Polarliteratur.

Notizen aus dem Eis 101 – Das Schneehuhn – der mutige Überwinterer

Stille senkt sich nun über Spitzbergen. Die Sommermelodie, das allgegenwärtige Vogelkreischen, verstummt. Nur eine einzige Vogelart bleibt zurück auf den Inseln.

Was hat man nicht schon alles gelesen über Überwinterer, tapfere Menschen, die den dunklen Winter an den Enden der Welt aushalten? Früher bedroht durch Skorbut, heute begleitet von Unmengen an Technik und Ausrüstung. Ein Mensch, einfach so ins Eis gesetzt, würde nicht lang überleben. Umso faszinierender wieder einmal, was kleine Vögelein so zustande bringen. Denn eine einzige Vogelart bleibt tatsächlich ganzjährig in Spitzbergen und zieht nicht wie so viele andere, in wärmere Gefilde, oder wie die Weltrekordhalterin im Vielfliegen, die Küstenseeschwalbe, gleich bis in den Polartag der Antarktis.

Das mutige Tier, von dem hier die Rede ist, ist das Alpenschneehuhn, allerdings eine spitzbergenspezifische Unterart, die aber nur auf Latein einen spezifischen Zusatz hat: Lagopus muta hyperborea und natürlich im Norwegischen: die Svalbardrype, was ja eigentlich Spitsbergenrype heißen müsste, aber das ist ein anderes Thema. Die Art kommt auch auf Franz Joseph Land vor, allerdings weiß man weder dort noch hier, wie viele überhaupt. Man begegnet ihnen aber relativ häufig, wenn man seine eigenen Augen aufmacht. Wenn man sie zu weit zulässt, tritt man fast auf sie drauf, so gut getarnt sind zumindest die Weibchen in ihrem Sommerkleid, das sie schon Anfang Juni anziehen, ein gesprenkeltes graubraunfelsenfarbiges Muster, das genauso aussieht wie die steinige Umgebung, in der sie sich so gerne aufhalten. Die Männchen sind später dran, sie färben sich erst Ende Juni um und haben erst Juli und August endgültig das Sommerkleid an.

Im Winter sind Männchen und Weibchen weiß, so kennt man das Alpenschneehuhn natürlich auch von vielen Fotos, bis auf einen beim Männchen deutlicher ausgeprägten schwarzen Strich über den Augen. Von Mai bis Juli hat das Männchen dann einen roten Kamm, mit dem es sich noch deutlicher verrät. Sieht man auf einem Schneehang in Spitzbergen einen roten Punkt, ist es ein Alpenschneehuhn-Mann. So einfach ist das.

Das Alpenschneehuhn ist ein Vegetarier, was den Speiseplan auf Spitzbergen deutlich ärmer macht als auf dem Festland. Hier wachsen keine Krähen-, Trunkel- oder Heidelbeeren, die das Alpenschneehuhn sonst gerne frisst, hier muss es mit den ganzen Steinbrechs vorlieb nehmen, den Zwergbirken und Polarweiden, was eben so gerade zu bekommen ist, das ganze Jahr über in Spitzbergen.

Wenn das kleine Alpenschneehuhn ein Jahr alt ist, wird es geschlechtsreif und im Jahr darauf brütet es zum ersten Mal. Die Hühner sind dabei nicht ganz monogam, beziehungsweise, die Männchen sind es nicht. Das Männchen sucht ein Brutrevier, das Weibchen baut das Nest – eine unauffällige, nur wenig gepolsterte Mulde. Im Revier des Männchens brütet dann auch nur ein Weibchen, manchmal gibt es Ausnahmen und es brüten mehrere Weibchen, aber auch dann hat das Männchen eine Favoritin – und manchmal bleiben die anderen Weibchen sogar ohne Jungen.

Gebalzt wird mittels einzelner Balzflüge, während die Henne verschiedene Balzposen einnimmt. Der Hahn spreizt die Schwanzfedern, öffnet leicht die Flügel und lässt sie herabhängen, und dabei trillert er die Henne an. Nach der Paarung im Mai legt die Henne Anfang bis Mitte Juni stolze drei bis elf Eier, die sie dann etwa drei Wochen bebrütet. Das Männchen wacht in dieser Zeit von einem erhöhten Ausguck über Henne und Ei und geht wild aufgeplustert auf blinde Eindringlinge los.

Droht Gefahr, wenn die Küken schon geschlüpft sind, führen Henne und Küken die Angreifer gekonnt in die Irre: Die Mutter stößt Warnrufe aus, woraufhin die kleinen Küken Deckung suchen. Die Henne hingegen markiert eine Verletzung: Humpelnd und abgebrochen flatternd macht sie sich in die Gegenrichtung, weg von ihrem Nachwuchs auf, und stellt sich als vermeintlich leichte Beute dar. Diese Finte braucht es aber nur etwa zwei Wochen, dann können die Küken schon kurze Strecken fliegen. Nach zwei Monaten sind die Spitzbergen-Küken bereits ausgewachsen, schneller als ihre südlichen Artgenossen.

Das Alpenschneehuhn hat es in südlicheren Gefilden nicht so leicht, weil sein Lebensraum aufgrund des Klimawandels immer kleiner wird, gleichzeitig wird es aber immer noch in vielen Ländern gejagt. Auch in Spitzbergen dürfen Schneehühner von den Einwohnern geschossen werden; zwischen 1000 und 2000 Exemplare werden so alljährlich erlegt.
Man stelle sich vor, ein so wunderbares Lebewesen, das es schafft, in dieser Gegend einfach nur mit den eigenen Federn und ein paar Steinbrechknurpsern zu überwintern, wird dann von einem relativ unfähigen Lebewesen getötet, nur weil das ein Gewehr hat. Fair ist das nicht, aber was ist schon fair in dieser Welt.

Mich erfreuen Sichtungen von Schneehühnern immer, denn sie sind sehr scheu. Sie warten ab, ob man sie sieht, denn sie sind ja wirklich gut getarnt, kommt man ihnen aber außerhalb der Brutzeit zu nahe, nehmen sie schnell Reißaus. Besonders im weißen Winterkleid ist es ein wunderschönes Tier, das in seinem ganzen Dasein, seiner Form, seinem Wesen wunderbar in die weißen, baumlosen, geschwungenen Berge Spitzbergens passt.

Bis in zwei Wochen!

Eure
Birgit Lutz

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Das mutige Tier, von dem hier die Rede ist, ist das Alpenschneehuhn, allerdings eine spitzbergenspezifische Unterart, die aber nur auf Latein einen spezifischen Zusatz hat: Lagopus muta hyperborea und natürlich im Norwegischen: die Svalbardrype, was ja eigentlich Spitsbergenrype heißen müsste, aber das ist ein anderes Thema. Die Art kommt auch auf Franz Joseph Land vor, allerdings weiß man weder dort noch hier, wie viele überhaupt. Man begegnet ihnen aber relativ häufig, wenn man seine eigenen Augen aufmacht. Wenn man sie zu weit zulässt, tritt man fast auf sie drauf, so gut getarnt sind zumindest die Weibchen in ihrem Sommerkleid, das sie schon Anfang Juni anziehen, ein gesprenkeltes graubraunfelsenfarbiges Muster, das genauso aussieht wie die steinige Umgebung, in der sie sich so gerne aufhalten. Die Männchen sind später dran, sie färben sich erst Ende Juni um und haben erst Juli und August endgültig das Sommerkleid an.

Im Winter sind Männchen und Weibchen weiß, so kennt man das Alpenschneehuhn natürlich auch von vielen Fotos, bis auf einen beim Männchen deutlicher ausgeprägten schwarzen Strich über den Augen. Von Mai bis Juli hat das Männchen dann einen roten Kamm, mit dem es sich noch deutlicher verrät. Sieht man auf einem Schneehang in Spitzbergen einen roten Punkt, ist es ein Alpenschneehuhn-Mann. So einfach ist das.

Das Alpenschneehuhn ist ein Vegetarier, was den Speiseplan auf Spitzbergen deutlich ärmer macht als auf dem Festland. Hier wachsen keine Krähen-, Trunkel- oder Heidelbeeren, die das Alpenschneehuhn sonst gerne frisst, hier muss es mit den ganzen Steinbrechs vorlieb nehmen, den Zwergbirken und Polarweiden, was eben so gerade zu bekommen ist, das ganze Jahr über in Spitzbergen.

Wenn das kleine Alpenschneehuhn ein Jahr alt ist, wird es geschlechtsreif und im Jahr darauf brütet es zum ersten Mal. Die Hühner sind dabei nicht ganz monogam, beziehungsweise, die Männchen sind es nicht. Das Männchen sucht ein Brutrevier, das Weibchen baut das Nest – eine unauffällige, nur wenig gepolsterte Mulde. Im Revier des Männchens brütet dann auch nur ein Weibchen, manchmal gibt es Ausnahmen und es brüten mehrere Weibchen, aber auch dann hat das Männchen eine Favoritin – und manchmal bleiben die anderen Weibchen sogar ohne Jungen.

Gebalzt wird mittels einzelner Balzflüge, während die Henne verschiedene Balzposen einnimmt. Der Hahn spreizt die Schwanzfedern, öffnet leicht die Flügel und lässt sie herabhängen, und dabei trillert er die Henne an. Nach der Paarung im Mai legt die Henne Anfang bis Mitte Juni stolze drei bis elf Eier, die sie dann etwa drei Wochen bebrütet. Das Männchen wacht in dieser Zeit von einem erhöhten Ausguck über Henne und Ei und geht wild aufgeplustert auf blinde Eindringlinge los.

Droht Gefahr, wenn die Küken schon geschlüpft sind, führen Henne und Küken die Angreifer gekonnt in die Irre: Die Mutter stößt Warnrufe aus, woraufhin die kleinen Küken Deckung suchen. Die Henne hingegen markiert eine Verletzung: Humpelnd und abgebrochen flatternd macht sie sich in die Gegenrichtung, weg von ihrem Nachwuchs auf, und stellt sich als vermeintlich leichte Beute dar. Diese Finte braucht es aber nur etwa zwei Wochen, dann können die Küken schon kurze Strecken fliegen. Nach zwei Monaten sind die Spitzbergen-Küken bereits ausgewachsen, schneller als ihre südlichen Artgenossen.

Das Alpenschneehuhn hat es in südlicheren Gefilden nicht so leicht, weil sein Lebensraum aufgrund des Klimawandels immer kleiner wird, gleichzeitig wird es aber immer noch in vielen Ländern gejagt. Auch in Spitzbergen dürfen Schneehühner von den Einwohnern geschossen werden; zwischen 1000 und 2000 Exemplare werden so alljährlich erlegt.
Man stelle sich vor, ein so wunderbares Lebewesen, das es schafft, in dieser Gegend einfach nur mit den eigenen Federn und ein paar Steinbrechknurpsern zu überwintern, wird dann von einem relativ unfähigen Lebewesen getötet, nur weil das ein Gewehr hat. Fair ist das nicht, aber was ist schon fair in dieser Welt.

Mich erfreuen Sichtungen von Schneehühnern immer, denn sie sind sehr scheu. Sie warten ab, ob man sie sieht, denn sie sind ja wirklich gut getarnt, kommt man ihnen aber außerhalb der Brutzeit zu nahe, nehmen sie schnell Reißaus. Besonders im weißen Winterkleid ist es ein wunderschönes Tier, das in seinem ganzen Dasein, seiner Form, seinem Wesen wunderbar in die weißen, baumlosen, geschwungenen Berge Spitzbergens passt.

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