Kennt Ihr den Begriff der bucket list? Die Orte, die man besuchen will in seinem Leben? Ich mag diesen Begriff nicht. Aus mehreren Gründen.
Mit dem Reisen ist es so eine Sache. Da gibt es viele unterschiedliche Wege zum Glück. Für manche ist es das größte, alljährlich einfach drei Wochen am Strand zu liegen. Andere müssen sich drei Wochen lang ununterbrochen bewegen. Oder Museen besuchen. Oder Städte. Oder nur in der Natur sein. Oder nur feiern. Oder nur Wochenendtrips machen.
Ich weiß nicht, was ich für eine Reisende bin. Als ich noch viel selbst gereist bin, wollte ich immer an Ziele, mit denen ich etwas verband, an die es mich aus irgendeinem Grund besonders hinzog. Weil ich irgendwann eine Doku gesehen hatte und danach immer wieder Zeichen auf dieses ungewöhnliche Ziel verspürt hatte, weil ich ein Buch gelesen hatte, das dort spielte, und dann noch eins und noch eins und noch eins. Es waren auf jeden Fall immer Ziele, die ich lange anvisierte. Und meistens war dann das nächste Ziel dem vorhergehenden recht ähnlich, in der Nähe, noch weiter vertiefend. Was ich niemals können würde, wäre eine Reise, die mich an zu viele zu unterschiedliche Ziele bringen würde. Also, zwei.
Genau dieses tiefe Interesse hat es mir nie ermöglicht, mir eine Liste zu erstellen. Ich war immer mit dem ersten Platz so beschäftigt, dass ich an einen zweiten oder dritten nicht dachte. Gar nicht denken konnte. Oder wollte. Ich habe mich einfach voll und ganz dem Einen gewidmet, rundherum. In Hawaii sprach ich nach drei Wochen ein bisschen hawaiianisch, so versenkte ich mich in diese Kultur. So staunte ich alles an.
Auf dem Heimweg entstand ein Plan für eine weitere Reise in diese Kultur. Eine. Auf die konzentrierte ich mich dann wieder voll und ganz. Als mich irgendwann der Arktis-Käfer biss, war es mit diesen Reisen das Gleiche. Eine nach der anderen. Eine entstand aus der anderen, baute auf sie auf. Nie hätte ich all das von Anfang an in eine Liste pressen können, es musste doch alles von selbst geschehen. Sich entwickeln. Eine Liste hätte mir Freiheit genommen, den mäandernden Weg begradigt, und die Kurven sind doch das Beste im Leben.
Ich glaube außerdem, nachdem ich ja nun auch schon eine Weile auf der Welt bin, dass man unsere Erde nicht in eine Liste reduzieren kann. Wer das macht, verpasst seine Reisen. Der Begriff der bucket list versinnbildlicht für mich den Konsum-Aspekt am Reisen, den ich so gar nicht mag. „Dieses Jahr machen wir Alaska, nächstes Jahr Grönland. Spitzbergen haben wir schon.“ Hm. Mit einer Reise Spitzbergen gemacht. Ich hab wohl so 50, und habe noch immer das Gefühl, nochmal ganz andere Dinge dort machen zu wollen. Jetzt mehr denn je eigentlich.
Bucket list Besitzer sind häufig auch die Menschen, die neben mir an der Reling stehen und einen Gletscher bestaunen – zumindest denke ich, dass wir alle staunen – und dann sagen diese Menschen aber: Letztes Jahr am Perito Moreno… und dann kommt, während man vor einem Naturwunder steht, eine Geschichte von einem Ort auf der anderen Seite der Welt. Derweil vergeht die Zeit vorm Gletscher, man fährt weiter. Ist der bucket man dann dort gewesen? Mit seinen Sinnen? Mit seinem Herzen? Hat er diesen Gletscher wirklich gesehen, geschätzt, gespürt? Oder nur: Vorbeigefahren, abgehakt?
Die Welt, finde ich, lässt sich nicht konsumieren. Der Instagram-Tourismus, so nenne ich diese Form des Reisens – ist das überhaupt noch Reisen – bei dem es vor allem um die Fotos geht, um Selfies, ist eine Perversion des einstigen Weltentdeckens. Es geht hier nicht mehr ums Entdecken. Sondern darum, sich selbst mithilfe von Orten größer zu machen. Schau, wo ich bin! Die Welt, finde ich, hat mehr Demut verdient.
So wie ich Fleisch nur sehr bewusst esse, reise ich mit Respekt vor den Orten. Kein Wochenendtrip nach Irgendwo, schnellschnell. Das liegt mir nicht mehr.
Noch schlimmer ist es, wenn es auch noch um Tiere geht. Wenn das Selfie mit einem Orca sein muss. Das einzige Mal, das ich wirklich nicht mehr freundlich war zu Gästen, war, als dieser Wunsch geäußert wurde. Ein Selfie mit Walen, ja, das kann auch bei uns möglich sein. Aber mit einer anderen Vorgeschichte. Wir jagen nicht nach den Tieren, damit wir sie so sensationsheischend wie möglich fotografieren können. Wir stellen unser Schiff in den Fjord und warten, fahren langsam, bleiben stehen. Und irgendwann sehen wir sie, dann kommen sie, und wir haben das große Glück und Privileg, Tiere beobachten zu können, wie sie sich in freier Wildbahn bewegen. Vielleicht, wie sie fressen, gemeinsam. Wie sie jagen. Wie sie das tun, was sie eben tun. Darum geht es. Wir erfahren dabei etwas über die Tiere, wir lernen und staunen, wir erleben die Welt. Häufig kommen sie dabei so nahe, dass wir tatsächlich Selfies machen können, doch ist das ein witziges Nebenprodukt und wird wiederum als Glück betrachtet. Nicht als Trophäe.
Vielleicht bin ich altmodisch, aber das ist die Form des Reisens, wie ich sie weiter machen werde. Und zum Glück gibt es immer noch genügend Menschen, die Orte und Tiere und unsere Welt nicht abhaken. Die den Moment erleben wollen, die mehr erfahren wollen, die Zeit haben und keine Liste.
Bis in zwei Wochen!
Eure
Birgit Lutz