Manchmal sind es die ganz kleinen Momente, die alles ganz groß werden lassen. Als Expeditionsleiter hat man häufig nicht viel Zeit, die Gegend zu genießen, die Landschaft auf sich wirken zu lassen. Wo Gäste lang Zeit haben, müssen bei uns oft einige Sekunden und tiefe Atemzüge reichen, in denen wir unsere Umgebung in uns aufsaugen, kurz ein bisschen Glück auftanken, weil man ist, wo man ist – und dann geht es wieder weiter, mit Planungen, Absprachen, Vorbereitungen, Wetterbericht studieren, Windbericht abfragen.
Manchmal aber, manchmal gibt es auch für uns ein bisschen Zeit.
Ich setze mich dann gerne mit einer Tasse Tee einfach hinaus auf das Holzdeck. Lehne mich an die Reling. Und schaue die Küste entlang. Mein Fernglas neben mir.
Und dann schweift mein Blick das Ufer entlang, die Klippen hinauf, über Berge und Hänge. Ich schaue den Schaumkronen nach, die das Schiff in das Meer hineinwirbelt, folge der Bugwelle mit den Augen, werde abgelenkt von einem Eissturmvogel, der immer genau so knapp über den Wellen segelt, dass man denkt, er berührt sie gleich, das tut er aber nie.
Das auf und abschwellenden Zischeln der Wellen, das sanfte Schaukeln – der Kopf in den Nacken, zu den dünnen Wolken, einen Moment die Augen zu, nicht lang, zu schön ist alles!
Die Luft ist silbrig dünn, aber die Sonne heizt ein bisschen den dicken Pullover auf. Wohlig kuschle ich mich in die warme Wolle. Der dampfende Tee gluckert aus meiner Tasse in mich hinein und wärmt mich von innen. Ich schaue nach vorne, auf die weißen Bergspitzen, und in der Ferne schimmern die ersten Tafelberge des Ostens Spitzbergens.
Mal flattern Dickschnabellummen an uns vorbei, mal schlingern Krabbentaucher durch die Lüfte, mit ihren kurzen Flügeln, aber trotzdem so schnell.
Der Blick ist so weit! In dem Tal, in dem ich in Oberbayern lebe, prallt der Blick schon bald an Berghänge. Hier sehe ich weit, so weit.
Und manchmal, manchmal, taucht dann ein Wal neben dem Schiff auf, ein Zwergwal, den man nie lange sieht. Ein paarmal zeigt er seine Rückenflosse, dann ist er wieder weg. Oder Robben strecken ihre Köpfchen durch die Wellen tanzend neugierig heraus, bevor sie mit Gespritze wieder verschwinden. Es gibt immer irgendwas zu sehen, in diesen Momenten.
Fünf Minuten reichen für einen Tag. Das mache ich immer öfter jetzt auch zuhause, ich unterbreche meine Arbeit, stelle mich mit einem Tee in den Garten und schaue einfach ins Grüne, gedankenleer. Es kommen hier weder Robben noch Wale, aber hier summt es jetzt überall, und manchmal schaue ich dann einfach eine Weile einer Hummel zu, wie sie von Blume zu Blume brummt.
Es sind eben nicht nur in Spitzbergen ganz oft die kleinen Dinge, die das Große erst schön machen.
Bis nächste Woche!
Ihre
Birgit Lutz