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Smeerenburgbreen 1
Birgit Lutz

Birgit Lutz

In ihrer Polarkolumne, die ab 2021 immer freitags auf unserer Homepage neu erscheint, schreibt die Expeditionsleiterin und Autorin Birgit Lutz über alle Themenfelder der Polarregionen - von großen Erlebnissen und kleinen Momenten auf eigenen Reisen über aktuelle Entwicklungen in Arktis und Antarktis bis hin zu praktischen Informationen für Ihre Reisevorbereitung oder Empfehlungen zur Polarliteratur.

Notizen aus dem Eis 37 – Ein Abend vor dem Gletscher

Eis, sagen die anderen, ist doch immer das Gleiche. Wie kannst Du immer wieder ins Eis fahren, mitten im Sommer, jahrelang, immer wieder? Meistens lächle ich dann.

Ich lächle und denke an den Abend vor dem Gletscher in Spitzbergen, an dem die späte Augustsonne schon tief am Horizont stand, den Abend, an dem ich Zeit hatte, einfach an Deck zu stehen, alle anderen waren fort gefahren mit den Zodiacs, durch das Eis, ganz nah bei den Schollen. Ich war an Bord geblieben, allein. Alles war still, der Schiffsmotor schwieg, die Sonne stand tief und golden über dem Fjord und ich saß auf dem leicht angewärmten Holzdeck in der sanften Wärme der arktischen Spätsommersonne, in der klaren Luft, wie man sie sonst nur von einer Skitour kennt, im Spätwinter, wenn die Sonne wieder kommt.

Eis ist immer gleich? An so einem Abend, vor einem solchen Gletscher, passiert so viel. Und wäre man viele, viele Abende nacheinander hier, so wäre ein jeder anders.

Ein leises Plätschern, wenn sich kleine Eisberge drehen. Das Kreischen von Vögeln. Auf einmal ein Knallen, aus dem Innern des Eises, ein Grollen, so fern, so dunkel wie der Donner eines Wintergewitters. Der Gletscher kalbt, gewaltige Massen drücken sich langsam aber unerbittlich ins Wasser, verdrängen ganze Hochhäuser an Wassermassen, deswegen dauert es dann nicht lang, dann folgt das Rauschen, wenn am Ufer eine Welle entlangtanzt. Das ist der Tsunami, ausgelöst von dem Kalben des Gletschers.

Die Eisschollen beginnen zu tanzen im Wasser, auf und ab schaukeln sie auf den Wellen, das Wasser schwappt nach oben an ihnen und fließt glitzernd und schäumend wieder an ihnen herab. Dann erreicht die Welle das Schiff, das angehoben wird und sanft zu schaukeln beginnt, während das Wasser an den Fjordwänden rechts und links entlang rauscht und brandet.

Und dann ist es wieder still.

Dann gibt es wieder nur das Eis und das Meer und ein Schiff vor diesen gewaltigen Wänden.

Man folgt den Bewegungen des Eises, des Meers, der Wellen und des Schiffs mit den Augen und dem Körper. Man staunt über das Glitzern, schaut den Vögeln zu, wie sie an der Gletscherkante immer wieder ins Wasser stoßen und mit Fischen in ihren Schnäbeln wieder auftauchen. Man sucht nach Bären, Robben, Walrossen, die auf den Schollen sitzen könnten. Schaut durch das Fernglas noch ein Stückchen weiter hinein in diese Welt und wird sich wieder gewahr, wie weit entfernt wir doch von dieser Eiswand sind, die so nah aussieht, weil die Luft so rein und klar ist.

Es gibt Menschen, die sehen einmal einen Gletscher, konsumieren diese Pracht und reisen weiter, in wärmere Länder auf anderen Erdteilen mit anderen gebuchten Wundern.

Ich gehöre nicht dazu. Das Eis hat mich gefangen genommen, auf seine ganz eigene Art, weil es klein und groß zugleich ist, weil es hier dieses kleine Rauschen und Rinnsaltröpfeln gibt und gleichzeitig dieses große Krachen, die gewaltigen Bewegungen und Veränderungen – eben den alles umfassenden Umstand, dass all das immer in Bewegung und nie das Gleiche ist.

Wer das sehen kann, aufnehmen kann, wird mir so eine Frage nie stellen, und verstehen, wenn ich lächle, wenn es jemand anderes fragt.

Bis nächste Woche!

Ihre
Birgit Lutz

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Eis ist immer gleich? An so einem Abend, vor einem solchen Gletscher, passiert so viel. Und wäre man viele, viele Abende nacheinander hier, so wäre ein jeder anders.

Ein leises Plätschern, wenn sich kleine Eisberge drehen. Das Kreischen von Vögeln. Auf einmal ein Knallen, aus dem Innern des Eises, ein Grollen, so fern, so dunkel wie der Donner eines Wintergewitters. Der Gletscher kalbt, gewaltige Massen drücken sich langsam aber unerbittlich ins Wasser, verdrängen ganze Hochhäuser an Wassermassen, deswegen dauert es dann nicht lang, dann folgt das Rauschen, wenn am Ufer eine Welle entlangtanzt. Das ist der Tsunami, ausgelöst von dem Kalben des Gletschers.

Die Eisschollen beginnen zu tanzen im Wasser, auf und ab schaukeln sie auf den Wellen, das Wasser schwappt nach oben an ihnen und fließt glitzernd und schäumend wieder an ihnen herab. Dann erreicht die Welle das Schiff, das angehoben wird und sanft zu schaukeln beginnt, während das Wasser an den Fjordwänden rechts und links entlang rauscht und brandet.

Und dann ist es wieder still.

Dann gibt es wieder nur das Eis und das Meer und ein Schiff vor diesen gewaltigen Wänden.

Man folgt den Bewegungen des Eises, des Meers, der Wellen und des Schiffs mit den Augen und dem Körper. Man staunt über das Glitzern, schaut den Vögeln zu, wie sie an der Gletscherkante immer wieder ins Wasser stoßen und mit Fischen in ihren Schnäbeln wieder auftauchen. Man sucht nach Bären, Robben, Walrossen, die auf den Schollen sitzen könnten. Schaut durch das Fernglas noch ein Stückchen weiter hinein in diese Welt und wird sich wieder gewahr, wie weit entfernt wir doch von dieser Eiswand sind, die so nah aussieht, weil die Luft so rein und klar ist.

Es gibt Menschen, die sehen einmal einen Gletscher, konsumieren diese Pracht und reisen weiter, in wärmere Länder auf anderen Erdteilen mit anderen gebuchten Wundern.

Ich gehöre nicht dazu. Das Eis hat mich gefangen genommen, auf seine ganz eigene Art, weil es klein und groß zugleich ist, weil es hier dieses kleine Rauschen und Rinnsaltröpfeln gibt und gleichzeitig dieses große Krachen, die gewaltigen Bewegungen und Veränderungen – eben den alles umfassenden Umstand, dass all das immer in Bewegung und nie das Gleiche ist.

Wer das sehen kann, aufnehmen kann, wird mir so eine Frage nie stellen, und verstehen, wenn ich lächle, wenn es jemand anderes fragt.

Bis nächste Woche!

Ihre
Birgit Lutz