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Birgit Lutz

In ihrer Polarkolumne, die ab 2021 immer freitags auf unserer Homepage neu erscheint, schreibt die Expeditionsleiterin und Autorin Birgit Lutz über alle Themenfelder der Polarregionen - von großen Erlebnissen und kleinen Momenten auf eigenen Reisen über aktuelle Entwicklungen in Arktis und Antarktis bis hin zu praktischen Informationen für Ihre Reisevorbereitung oder Empfehlungen zur Polarliteratur.

Notizen aus dem Eis 36 – Über das Schiffsleben

Hat ein Urlaub auf See, auf einem Schiff viel gemeinsam mit alter Seefahrer-Romantik? Bekommt man denn keinen Lagerkoller, wenn man nur den eingeschränkten Raum eines Schiffs zur Verfügung hat? Ist man nicht froh, wenn man endlich wieder herunterkann, von so einem Schiff? Solche Fragen werden mir immer wieder gestellt, und wie so oft, sind die Antworten gar nicht so einfach.

Das Leben auf einem Schiff ist besonders. Schiffe sind ein eigenes Universum, und als solches können sie zwar klein, gleichzeitig aber riesengroß sein. Schiffe beschränken die Möglichkeiten in jedweder Hinsicht auf das, was eben an Bord möglich ist. Das Leben, der eigene Radius wird übersichtlich und unkomplexer. Vielleicht ist es das, was für mich einen Teil der Attraktivität der Schiffsarbeit ausmacht, und mit Sicherheit auch große Teile der Attraktivität eines Schiffsurlaubs ausmachen würde. Das eigene Leben wird übersichtlich.

Vor allem auf den kleinen Schiffen hat man eine begrenzte Anzahl Menschen, denen man täglich begegnet, es gibt in den Regionen, in denen wir unterwegs sind, weder Internet noch Mails noch irgendein anderes Medium von außerhalb, sondern nur das, was man an Zeitschriften oder Büchern mitgebracht hat. Und das ist wunderbar. Endlich einmal hat man es nicht mehr mit Menschen zu tun, die ständig eine halbverkrümmte Haltung einnehmen, auf ein viereckiges Gerät in ihren Händen starren und irgendwo anders sind. Alle sind hier, jetzt.

Die ganzen Blasen, in denen wir uns ständig bewegen, die Arbeitsblase, die Familienblase, die Sportvereinsblase, die uns Nachrichten und Fotos schicken und uns im normalen Leben immer wieder fortziehen aus der Realität, in der wir gerade sind – all diese Blasen haben Pause, nichts ist zu hören von ihnen und es gibt nur noch diese eine, präsente Realität.

Und weil es nur noch diese eine gibt, erlebt man sie auch viel intensiver – und allen um einen herum geht es genauso. Niemand kann sich ablenken von dem, was gerade ist. Und so gibt es schlicht wunderbare Momente, die man auch auf eine andere, intensivere Art mit den anderen teilt, die mit einem auf diesem Schiff und in diesem Universum sind und es aktiv mitgestalten.

Am Anfang muss man sich immer einige Tage hinein gewöhnen, das Leben an Land ist noch präsent, aber dann verschwindet es langsam immer mehr. Man hat seinen eigenen Planeten in diesem Universum etabliert, es ist faszinierend, wie sehr man innerhalb kürzester Zeit zuhause sein kann auf so einem Schiff, das nichts anderes ist als zusammengeschweißter Stahl, und doch so viel mehr.

Der Schiffsrhythmus wird zum eigenen, auch das reduziert die Komplexität noch einmal, Frühstück um 8, Mittag- um 1 und Abendessen um 7, und dazwischen geht es an Land, ins Eis, hinaus an Deck. Der Schiffsrhythmus geht auch bis in den Körper hinein, mit seinem Schaukeln und Ruckeln, Rollen und Stampfen, irgendwann so sehr, dass man schwankt, wenn man am festen Land steht.

Man lernt die Menschen, mit denen man dieses Universum teilt, bald kennen, auch ihre Eigenheiten – das Vorsichhinmuffeln der Morgenmuffel, das Schweigen der Stillen, die Scherze der Lustigen, das Nutella-Essen der Süßwaren-Abhängigen – kommen viel schneller zutage als anderswo, weil sich niemand rund um die Uhr verstellen kann.

Man weiß dann, wer abends immer noch gern einen Gin Tonic trinkt, wer morgens am liebsten in Ruhe gelassen wird und wer nie nein sagen kann zu einem doppelten Nachtisch.

Und immer, immer wieder gibt es diese schönen Momente, wenn man lange draußen war, wenn man auf das Schiff zufährt, über die Leiter an Bord klettert, den ersten Fuß wieder auf das Deck stellt und wieder drin ist in diesem Universum, das so ein besonderes Zuhause ist.

Hat das alles etwas gemeinsam mit der alten Seefahrer-Romantik? Die Frage ist, ob die Seefahrt je etwas Romantisches war, oder nur heute als solches verklärt wird. Ganz sicher ist, dass die Seefahrt etwas sehr Besonderes ist, etwas, das einem ans Herz und mitten ins Herz hinein geht – und damit wird für diejenigen, die dieses Leben einmal begonnen haben, die Sehnsucht danach nie wieder aufhören – und wer eine solche Reise macht, sollte das gut überlegen: Denn es wird nicht die letzte sein!

Bis nächste Woche!

Ihre
Birgit Lutz

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Das Leben auf einem Schiff ist besonders. Schiffe sind ein eigenes Universum, und als solches können sie zwar klein, gleichzeitig aber riesengroß sein. Schiffe beschränken die Möglichkeiten in jedweder Hinsicht auf das, was eben an Bord möglich ist. Das Leben, der eigene Radius wird übersichtlich und unkomplexer. Vielleicht ist es das, was für mich einen Teil der Attraktivität der Schiffsarbeit ausmacht, und mit Sicherheit auch große Teile der Attraktivität eines Schiffsurlaubs ausmachen würde. Das eigene Leben wird übersichtlich.

Vor allem auf den kleinen Schiffen hat man eine begrenzte Anzahl Menschen, denen man täglich begegnet, es gibt in den Regionen, in denen wir unterwegs sind, weder Internet noch Mails noch irgendein anderes Medium von außerhalb, sondern nur das, was man an Zeitschriften oder Büchern mitgebracht hat. Und das ist wunderbar. Endlich einmal hat man es nicht mehr mit Menschen zu tun, die ständig eine halbverkrümmte Haltung einnehmen, auf ein viereckiges Gerät in ihren Händen starren und irgendwo anders sind. Alle sind hier, jetzt.

Die ganzen Blasen, in denen wir uns ständig bewegen, die Arbeitsblase, die Familienblase, die Sportvereinsblase, die uns Nachrichten und Fotos schicken und uns im normalen Leben immer wieder fortziehen aus der Realität, in der wir gerade sind – all diese Blasen haben Pause, nichts ist zu hören von ihnen und es gibt nur noch diese eine, präsente Realität.

Und weil es nur noch diese eine gibt, erlebt man sie auch viel intensiver – und allen um einen herum geht es genauso. Niemand kann sich ablenken von dem, was gerade ist. Und so gibt es schlicht wunderbare Momente, die man auch auf eine andere, intensivere Art mit den anderen teilt, die mit einem auf diesem Schiff und in diesem Universum sind und es aktiv mitgestalten.

Am Anfang muss man sich immer einige Tage hinein gewöhnen, das Leben an Land ist noch präsent, aber dann verschwindet es langsam immer mehr. Man hat seinen eigenen Planeten in diesem Universum etabliert, es ist faszinierend, wie sehr man innerhalb kürzester Zeit zuhause sein kann auf so einem Schiff, das nichts anderes ist als zusammengeschweißter Stahl, und doch so viel mehr.

Der Schiffsrhythmus wird zum eigenen, auch das reduziert die Komplexität noch einmal, Frühstück um 8, Mittag- um 1 und Abendessen um 7, und dazwischen geht es an Land, ins Eis, hinaus an Deck. Der Schiffsrhythmus geht auch bis in den Körper hinein, mit seinem Schaukeln und Ruckeln, Rollen und Stampfen, irgendwann so sehr, dass man schwankt, wenn man am festen Land steht.

Man lernt die Menschen, mit denen man dieses Universum teilt, bald kennen, auch ihre Eigenheiten – das Vorsichhinmuffeln der Morgenmuffel, das Schweigen der Stillen, die Scherze der Lustigen, das Nutella-Essen der Süßwaren-Abhängigen – kommen viel schneller zutage als anderswo, weil sich niemand rund um die Uhr verstellen kann.

Man weiß dann, wer abends immer noch gern einen Gin Tonic trinkt, wer morgens am liebsten in Ruhe gelassen wird und wer nie nein sagen kann zu einem doppelten Nachtisch.

Und immer, immer wieder gibt es diese schönen Momente, wenn man lange draußen war, wenn man auf das Schiff zufährt, über die Leiter an Bord klettert, den ersten Fuß wieder auf das Deck stellt und wieder drin ist in diesem Universum, das so ein besonderes Zuhause ist.

Hat das alles etwas gemeinsam mit der alten Seefahrer-Romantik? Die Frage ist, ob die Seefahrt je etwas Romantisches war, oder nur heute als solches verklärt wird. Ganz sicher ist, dass die Seefahrt etwas sehr Besonderes ist, etwas, das einem ans Herz und mitten ins Herz hinein geht – und damit wird für diejenigen, die dieses Leben einmal begonnen haben, die Sehnsucht danach nie wieder aufhören – und wer eine solche Reise macht, sollte das gut überlegen: Denn es wird nicht die letzte sein!

Bis nächste Woche!

Ihre
Birgit Lutz