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Kreuzritter 1
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Birgit Lutz

In ihrer Polarkolumne, die ab 2021 immer freitags auf unserer Homepage neu erscheint, schreibt die Expeditionsleiterin und Autorin Birgit Lutz über alle Themenfelder der Polarregionen - von großen Erlebnissen und kleinen Momenten auf eigenen Reisen über aktuelle Entwicklungen in Arktis und Antarktis bis hin zu praktischen Informationen für Ihre Reisevorbereitung oder Empfehlungen zur Polarliteratur.

Notizen aus dem Eis 35 – Spuren einer anderen Zeit

Eis, Gletscher, Schnee, Bären – für viele Menschen sind das die Gründe, einmal in die Arktis zu fahren. Für mich gibt es aber noch einen ganz anderen, der meine Faszination des Nordens maßgeblich mitbegründet hat. Und das ist die Geschichte, sind die Geschichten, die der Mensch im Lauf der Jahre in diese Gebiete hineingeschrieben hat, und seien sie noch so traurig oder absurd. Um einen Teil dieser Geschichten geht es heute, einen kleinen Ausschnitt aus der Geschichte der Wetterstationen während des Zweiten Weltkriegs.

Es gibt kaum absonderlichere Erlebnisse, als tagelang mit einem Schiff durch die Inselwelt Spitzbergens zu fahren, über Tundra und durch Schnee zu wandern, keine Menschenseele und auch keine Spur menschlichen Daseins zu sehen – um dann unvermittelt auf Überreste des Krieges zu stoßen, der auch an diesen abgelegenen Orten nicht spurlos vorüber ging.

Gerade im hohen Norden, wo der Himmel so weit, die Luft so klar, alles so groß und grenzenlos erscheint, wirken Kriege auf ganz andere Weise … sinnlos.

Zu Zeiten des Zweiten Weltkriegs war bereits bekannt, wie wichtig die Wetterdaten des hohen Nordens für das Wetter im Süden waren. Alliierte wie Deutsche bemühten sich daher gleichermaßen darum, Wetterstationen in der Arktis zu bauen, die ihnen diese Daten liefern konnten. Geheime Missionen waren das, mit so malerischen Namen wie Holzauge, Haudegen oder Schatzgräber. Ausrüstung und Personal wurde mit U-Booten an die Zielpunkte gebracht und sich selbst überlassen. Die Soldaten funkten dann täglich ihre Wetterdaten, immer bemüht, nicht entdeckt zu werden.

Im Woodfjord im Nordwesten Spitzbergens zum Beispiel kann man heute noch die Reste der Station Kreuzritter sehen. Auf einer Anhöhe ragt hier ein Kreuz in den Himmel, das ein Grab markiert. In diesem ruht der Stationsleiter Hans-Robert Knoespel. Nur ein paar Stunden, bevor er von einem U-Boot abgeholt werden sollte, sprengte sich Knoespel am 30. Juni 1944 versehentlich selbst in die Luft, als er mittels einer Mine eine Trapperhütte sprengen wollte.

Knapp 29 Jahre alt, starb Knoespel also „für Großdeutschland“, wie es auf der Inschrift an seinem Grabkreuz heißt.

Als wir auf einer Spitzbergen-Umrundung nach diesem Grab suchten und es schließlich fanden, standen wir im Nieselregen und Wind an dieser letzten Ruhestätte. Auf dem Grab lag eine rostige Bratpfanne, mehrere Patronenhülsen, die langsam im Moos versinken und Reste einer Granate. Die Plakette der Grabinschrift, fiel uns auf, trug außerdem die Jahreszahl 1939. Zu Beginn des Krieges hatte man wohl bereits massenweise derlei Grabplaketten angefertigt, die man bei Bedarf nur noch beschriften musste.

Vielleicht war es genau dieses Detail, das diese ganze Szenerie noch absurder, noch trauriger, noch weniger verstehbar machte.

Ein Stück weiter den Hang hinunter fanden wir dann die Reste der Station. Holzplanken, Glasflaschen, viele rostige Gegenstände und viele Akkus. Alles versank langsam in der Tundra, in einigen Flaschen hatten sich wahre Gewächshäuser gebildet, die Pflanzen gediehen darin prächtig. Eine Flasche, gefüllt mit Löffelkraut, lag im Moos zwischen dem Kriegsgerümpel, ihr Anblick war seltsam tröstlich.

Wir standen eine Weile an dieser Station und verstanden nicht, warum es sie gegeben hatte. Spitzbergen, ein Ort der Natur, ein Ort mit wenigen Menschen, ist wohl wie kaum ein anderer Ort geeignet, den Menschen immer wieder zu zeigen, wie wundervoll die Welt in ihrem Urzustand ist (den es heute ja in Wahrheit nirgends mehr gibt).

Hier bekommt man noch einen kurzen Blick in einer Welt ohne Menschen, und versteht hier dann noch weniger als anderswo, warum es Grenzen, Teilungen, Feindseligkeiten, Kriege gibt. Denn unsere Erde, die Natur, kennt derlei nicht, es sind nur unsere Gedanken, unsere Konstrukte, die am Ende zu einem Ort wie diesem führen, den zersplitterten Flaschen und einem Grab in der Tundra.

Die Stationen werden so belassen, wie sie sind, langsam zerfallen sie immer mehr und verschwinden im Boden, einige Besucher haben vor allem früher wohl viele durchaus fragwürdige Souvenirs mitgenommen, aber immer noch zeugen diese Reste von diesem Teil der Geschichte. Und sind damit, am Ende der Welt, ein gutes Mahnmal, das uns hier, in dieser Abgeschiedenheit, sehr eindrücklich zeigt, wie wertvoll unser Frieden ist.

Bis nächste Woche!

Ihre
Birgit Lutz

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Es gibt kaum absonderlichere Erlebnisse, als tagelang mit einem Schiff durch die Inselwelt Spitzbergens zu fahren, über Tundra und durch Schnee zu wandern, keine Menschenseele und auch keine Spur menschlichen Daseins zu sehen – um dann unvermittelt auf Überreste des Krieges zu stoßen, der auch an diesen abgelegenen Orten nicht spurlos vorüber ging.

Gerade im hohen Norden, wo der Himmel so weit, die Luft so klar, alles so groß und grenzenlos erscheint, wirken Kriege auf ganz andere Weise … sinnlos.

Zu Zeiten des Zweiten Weltkriegs war bereits bekannt, wie wichtig die Wetterdaten des hohen Nordens für das Wetter im Süden waren. Alliierte wie Deutsche bemühten sich daher gleichermaßen darum, Wetterstationen in der Arktis zu bauen, die ihnen diese Daten liefern konnten. Geheime Missionen waren das, mit so malerischen Namen wie Holzauge, Haudegen oder Schatzgräber. Ausrüstung und Personal wurde mit U-Booten an die Zielpunkte gebracht und sich selbst überlassen. Die Soldaten funkten dann täglich ihre Wetterdaten, immer bemüht, nicht entdeckt zu werden.

Im Woodfjord im Nordwesten Spitzbergens zum Beispiel kann man heute noch die Reste der Station Kreuzritter sehen. Auf einer Anhöhe ragt hier ein Kreuz in den Himmel, das ein Grab markiert. In diesem ruht der Stationsleiter Hans-Robert Knoespel. Nur ein paar Stunden, bevor er von einem U-Boot abgeholt werden sollte, sprengte sich Knoespel am 30. Juni 1944 versehentlich selbst in die Luft, als er mittels einer Mine eine Trapperhütte sprengen wollte.

Knapp 29 Jahre alt, starb Knoespel also „für Großdeutschland“, wie es auf der Inschrift an seinem Grabkreuz heißt.

Als wir auf einer Spitzbergen-Umrundung nach diesem Grab suchten und es schließlich fanden, standen wir im Nieselregen und Wind an dieser letzten Ruhestätte. Auf dem Grab lag eine rostige Bratpfanne, mehrere Patronenhülsen, die langsam im Moos versinken und Reste einer Granate. Die Plakette der Grabinschrift, fiel uns auf, trug außerdem die Jahreszahl 1939. Zu Beginn des Krieges hatte man wohl bereits massenweise derlei Grabplaketten angefertigt, die man bei Bedarf nur noch beschriften musste.

Vielleicht war es genau dieses Detail, das diese ganze Szenerie noch absurder, noch trauriger, noch weniger verstehbar machte.

Ein Stück weiter den Hang hinunter fanden wir dann die Reste der Station. Holzplanken, Glasflaschen, viele rostige Gegenstände und viele Akkus. Alles versank langsam in der Tundra, in einigen Flaschen hatten sich wahre Gewächshäuser gebildet, die Pflanzen gediehen darin prächtig. Eine Flasche, gefüllt mit Löffelkraut, lag im Moos zwischen dem Kriegsgerümpel, ihr Anblick war seltsam tröstlich.

Wir standen eine Weile an dieser Station und verstanden nicht, warum es sie gegeben hatte. Spitzbergen, ein Ort der Natur, ein Ort mit wenigen Menschen, ist wohl wie kaum ein anderer Ort geeignet, den Menschen immer wieder zu zeigen, wie wundervoll die Welt in ihrem Urzustand ist (den es heute ja in Wahrheit nirgends mehr gibt).

Hier bekommt man noch einen kurzen Blick in einer Welt ohne Menschen, und versteht hier dann noch weniger als anderswo, warum es Grenzen, Teilungen, Feindseligkeiten, Kriege gibt. Denn unsere Erde, die Natur, kennt derlei nicht, es sind nur unsere Gedanken, unsere Konstrukte, die am Ende zu einem Ort wie diesem führen, den zersplitterten Flaschen und einem Grab in der Tundra.

Die Stationen werden so belassen, wie sie sind, langsam zerfallen sie immer mehr und verschwinden im Boden, einige Besucher haben vor allem früher wohl viele durchaus fragwürdige Souvenirs mitgenommen, aber immer noch zeugen diese Reste von diesem Teil der Geschichte. Und sind damit, am Ende der Welt, ein gutes Mahnmal, das uns hier, in dieser Abgeschiedenheit, sehr eindrücklich zeigt, wie wertvoll unser Frieden ist.

Bis nächste Woche!

Ihre
Birgit Lutz