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Birgit Lutz

Birgit Lutz

In ihrer Polarkolumne, die ab 2021 immer freitags auf unserer Homepage neu erscheint, schreibt die Expeditionsleiterin und Autorin Birgit Lutz über alle Themenfelder der Polarregionen - von großen Erlebnissen und kleinen Momenten auf eigenen Reisen über aktuelle Entwicklungen in Arktis und Antarktis bis hin zu praktischen Informationen für Ihre Reisevorbereitung oder Empfehlungen zur Polarliteratur.

Notizen aus dem Eis 34 – Wie reizvoll wenig Reize sein können!

Reizüberflutung. Kennt Ihr das? Zum allerersten Mal hatte ich die, als ich 2010 von meiner ersten Skitour zum Nordpol zurückkam. Wer erinnert sich an den April 2010? Genau, Aschewolke. Auf der Nordhalbkugel flog nichts mehr (bis auf die Maschine zur Drifteisstation Barneo, denn die war nördlich der Aschewolke des Eyjafjallajökull). Ich war also in Spitzbergen, und nach drei Tagen sagte eine Frau am Flughafen zu mir den lustigen Satz: Heute geht ein Flug, aber wir wissen nicht, wohin.

Diesen Flug habe ich dann Menschen überlassen, die wirklich richtig dringend irgendwohin mussten oder wollten. Noch ein paar Tage später ging dann eine Maschine nach Tromsø. Dort angekommen, ging wieder nichts mehr weiter. Alle Passagiere kamen in ein Hotel, und dort angekommen, brach Hektik und Geschäftigkeit aus, alle starrten auf Bildschirme, riefen irgendwo an, bei Hotlines, Familien, Arbeitsstellen. Mir war schon Tromsø zu groß und bunt und diese Geschäftigkeit machte in meinem Kopf ein Gefühl, als hätte ich viel zu viele Zuckersüßigkeiten gegessen, so ein seltsames Blubbergefühl im Hirn, das einem die Gedanken vernebelt.

Gerade eben war ich noch an einem Ort, wo es nichts gab außer Eis, und alle Geräusche kamen entweder vom Wind oder uns. Nun war ich in einem Ort, in dem es sehr viele Farben und Geräusche und noch viel mehr Fragen gab, wer bezahlt denn dieses Hotel – und den Anschlussflug – oder einen Mietwagen – gibt es einen Bus – wo ist ein Bahnhof – braucht man eine Reiseversicherung – wie bekommen wir denn mit, wann ein Flieger geht – wo bekommen wir was zu essen – wer bezahlt das – und was sagen eigentlich die Isländer? Das schwirrte in dieser Lobby alles durcheinander, nichts davon wollte ich unbedingt jetzt wissen und bei mir machte es Plopp.

Ich ging raus, in eine erfreulich frische Luft und ging hinunter zur Pier. Dort lag ein Hurtigruten Schiff. Ich fragte, ob wir zu zweit mitfahren könnten, wie weit, wusste ich nicht. Das war möglich. Ich ging zurück zum Hotel, klopfte bei Hannes, den ich in Longyearbyen im Guesthouse aufgegabelt hatte und mit dem ich seitdem eine Schicksalsgemeinschaft bildete, bestehend aus zwei Menschen und dem Gepäck für sechs. Hannes war drei Wochen mit Skiern in Spitzbergen unterwegs gewesen und hatte auch noch einen Schlitten dabei. So nahm uns auch kein Bus mit, leider. Hannes redete genauso wenig wie ich, dementsprechend schnell hatten wir geklärt, dass wir uns aus all diesem Fragenwirrwarr nun lösen und einfach auf ein Schiff setzen würden.

Wir buchten Sessel in der Panoramalounge, durften dort unser Nachtlager aufschlagen – wir hatten ja alles dabei – nur kochen haben wir uns nicht getraut an Deck.
Wir setzten uns in die Sessel, stellten uns an Deck, Fragen gab es keine mehr, reizvoll war nur noch die Landschaft und unsere Hirne hatten Ruhe.

Dieses Gefühl, dass zu viel auf einmal auf mich einprasselt, habe ich seitdem immer, wenn ich aus der Arktis zurückkomme. In der Arktis gibt es im Winter wenige Farben, so gut wie keine Gerüche, im Sommer wenige Blumen, wenige Tiere (von Vogelkolonien mal abgesehen). Es gibt nichts im Überfluss außer Platz, alles ist weit. Es gibt nur wenige von Menschen gemachte Geräusche. Wenn man Tiere sehen will, muss man suchen, man muss auf die Zeichen achten, die sich rundherum zeigen. Ein Vogelschwarm am Wasser bedeutet Fische, dort könnten auch Wale sein. Eisschollen vor Gletschern, dort gibt es gute Chancen auf Bären. Man muss seine Filter aufmachen, alles hindurchlassen.

Umso größer ist die Freude, wenn man einen Eisbären sichtet, einen Blauwal, ein Polarfuchs. Die Begegnungen werden genossen, zelebriert, so lange wie möglich ausgekostet. Wir nehmen uns Zeit, die Tiere in Ruhe zu beobachten, ihre Bewegungen, ihr Verhalten.

Seitdem ich in diesen weiten, ruhigen Ländern unterwegs bin, bin ich verdorben für Städte. Wenn ich nach München zurückkam, nach den ersten Aufenthalten, ging ich tagelang nicht aus der Wohnung, der Flughafen war schon zu viel gewesen, die ganzen Menschen, Geräusche, Gerüche, alles so unheimlich laut und viel und voll! Das merkt man erst, wenn man einmal alle Filter offen hatte.

Die Arktis ist für mich ein Ruhepol, eine Region, in der man aufs Wesentliche reduziert ist, in der es nicht mehr um Überflüssiges geht, um den ganzen Wahnwitz, der unsere Gesellschaften zum Teil ausmacht, und glücklicherweise gibt es auf den meisten kleinen Schiffen, auf denen ich fahre, kein Handynetz, kein Internet und keine Mails. Es gibt nur noch Natur.

Seitdem ich glücklicherweise auf dem Land wohne, blendet mich das Grün, wenn ich zurückkomme, aber auf eine Weise, die dankbar macht. Wie wunderbar doch unsere Welt ist, wie vielfältig, wie schön.

Bis nächste Woche!

Ihre
Birgit Lutz

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Diesen Flug habe ich dann Menschen überlassen, die wirklich richtig dringend irgendwohin mussten oder wollten. Noch ein paar Tage später ging dann eine Maschine nach Tromsø. Dort angekommen, ging wieder nichts mehr weiter. Alle Passagiere kamen in ein Hotel, und dort angekommen, brach Hektik und Geschäftigkeit aus, alle starrten auf Bildschirme, riefen irgendwo an, bei Hotlines, Familien, Arbeitsstellen. Mir war schon Tromsø zu groß und bunt und diese Geschäftigkeit machte in meinem Kopf ein Gefühl, als hätte ich viel zu viele Zuckersüßigkeiten gegessen, so ein seltsames Blubbergefühl im Hirn, das einem die Gedanken vernebelt.

Gerade eben war ich noch an einem Ort, wo es nichts gab außer Eis, und alle Geräusche kamen entweder vom Wind oder uns. Nun war ich in einem Ort, in dem es sehr viele Farben und Geräusche und noch viel mehr Fragen gab, wer bezahlt denn dieses Hotel – und den Anschlussflug – oder einen Mietwagen – gibt es einen Bus – wo ist ein Bahnhof – braucht man eine Reiseversicherung – wie bekommen wir denn mit, wann ein Flieger geht – wo bekommen wir was zu essen – wer bezahlt das – und was sagen eigentlich die Isländer? Das schwirrte in dieser Lobby alles durcheinander, nichts davon wollte ich unbedingt jetzt wissen und bei mir machte es Plopp.

Ich ging raus, in eine erfreulich frische Luft und ging hinunter zur Pier. Dort lag ein Hurtigruten Schiff. Ich fragte, ob wir zu zweit mitfahren könnten, wie weit, wusste ich nicht. Das war möglich. Ich ging zurück zum Hotel, klopfte bei Hannes, den ich in Longyearbyen im Guesthouse aufgegabelt hatte und mit dem ich seitdem eine Schicksalsgemeinschaft bildete, bestehend aus zwei Menschen und dem Gepäck für sechs. Hannes war drei Wochen mit Skiern in Spitzbergen unterwegs gewesen und hatte auch noch einen Schlitten dabei. So nahm uns auch kein Bus mit, leider. Hannes redete genauso wenig wie ich, dementsprechend schnell hatten wir geklärt, dass wir uns aus all diesem Fragenwirrwarr nun lösen und einfach auf ein Schiff setzen würden.

Wir buchten Sessel in der Panoramalounge, durften dort unser Nachtlager aufschlagen – wir hatten ja alles dabei – nur kochen haben wir uns nicht getraut an Deck.
Wir setzten uns in die Sessel, stellten uns an Deck, Fragen gab es keine mehr, reizvoll war nur noch die Landschaft und unsere Hirne hatten Ruhe.

Dieses Gefühl, dass zu viel auf einmal auf mich einprasselt, habe ich seitdem immer, wenn ich aus der Arktis zurückkomme. In der Arktis gibt es im Winter wenige Farben, so gut wie keine Gerüche, im Sommer wenige Blumen, wenige Tiere (von Vogelkolonien mal abgesehen). Es gibt nichts im Überfluss außer Platz, alles ist weit. Es gibt nur wenige von Menschen gemachte Geräusche. Wenn man Tiere sehen will, muss man suchen, man muss auf die Zeichen achten, die sich rundherum zeigen. Ein Vogelschwarm am Wasser bedeutet Fische, dort könnten auch Wale sein. Eisschollen vor Gletschern, dort gibt es gute Chancen auf Bären. Man muss seine Filter aufmachen, alles hindurchlassen.

Umso größer ist die Freude, wenn man einen Eisbären sichtet, einen Blauwal, ein Polarfuchs. Die Begegnungen werden genossen, zelebriert, so lange wie möglich ausgekostet. Wir nehmen uns Zeit, die Tiere in Ruhe zu beobachten, ihre Bewegungen, ihr Verhalten.

Seitdem ich in diesen weiten, ruhigen Ländern unterwegs bin, bin ich verdorben für Städte. Wenn ich nach München zurückkam, nach den ersten Aufenthalten, ging ich tagelang nicht aus der Wohnung, der Flughafen war schon zu viel gewesen, die ganzen Menschen, Geräusche, Gerüche, alles so unheimlich laut und viel und voll! Das merkt man erst, wenn man einmal alle Filter offen hatte.

Die Arktis ist für mich ein Ruhepol, eine Region, in der man aufs Wesentliche reduziert ist, in der es nicht mehr um Überflüssiges geht, um den ganzen Wahnwitz, der unsere Gesellschaften zum Teil ausmacht, und glücklicherweise gibt es auf den meisten kleinen Schiffen, auf denen ich fahre, kein Handynetz, kein Internet und keine Mails. Es gibt nur noch Natur.

Seitdem ich glücklicherweise auf dem Land wohne, blendet mich das Grün, wenn ich zurückkomme, aber auf eine Weise, die dankbar macht. Wie wunderbar doch unsere Welt ist, wie vielfältig, wie schön.

Bis nächste Woche!

Ihre
Birgit Lutz