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macaroni hannah point
Birgit Lutz

Birgit Lutz

In ihrer Polarkolumne, die ab 2021 immer freitags auf unserer Homepage neu erscheint, schreibt die Expeditionsleiterin und Autorin Birgit Lutz über alle Themenfelder der Polarregionen - von großen Erlebnissen und kleinen Momenten auf eigenen Reisen über aktuelle Entwicklungen in Arktis und Antarktis bis hin zu praktischen Informationen für Ihre Reisevorbereitung oder Empfehlungen zur Polarliteratur.

Notizen aus dem Eis 38 – Der Goldschopfpinguin

Pinguine sind sehr possierliche Tierchen – und das possierlichste unter ihnen ist meiner Meinung nach ganz unbestritten der Goldschopfpinguin, der immer aussieht, als wäre er entweder ein Rockstar, gerade eben nach einer durchzechten Nacht gedächtnislos aufgestanden, der Bruder von Albert Einstein oder alles zusammen.

Und obwohl der Goldschopfpinguin diejenige Pinguinart ist, von der es am meisten gibt – kennen ihn die wenigsten. Ist doch so, oder nicht? Bei Pinguinen denken die meisten doch erstmal an die großen Königs- und Kaiserpinguine, und nicht an diese verwuschelten Gesellen, die auf vielen Inseln der Subantarktis und im südlichsten Süden von Südamerika wohnen.

Was den Goldschopfpinguin noch goldiger macht, ist: auf englisch heißt er Macaroni penguin. Wer heißt wie eine hohle Nudel, den muss man doch einfach mögen, oder nicht?

Jetzt aber mal im Ernst, der Macaroni ist immerhin auch 71 Zentimeter groß, vom Boden bis zum Schopf. Wie viel sie wiegen, das hängt ganz stark davon ab, wann man sie auf eine Waage stellt: Das Macaroni-Weihnachten, also ihre schwerste Zeit im Jahr, haben Macaronis kurz vor ihrer jährlichen Mauser, dann wiegen Männchen bis 6,4 Kilo, während sie nach der Mauser fast nur noch die Hälfte wiegen, um die 3,4 Kilogramm. Wer Abnehmberater sucht, kann sich also an die Goldschöpfe wenden, aber der Rat wird recht einfach sein: einfach in der Kälte stehen und überhaupt nichts mehr essen, während einem die Federn ausfallen.

Anders als der Name vermuten ließe, ernähren sich Macaronis von Krebstierchen. Wenn sie Junge haben, werden auch Fische immer wichtiger. Und hier wieder einmal eine enorme Zahl: Diese kleinen Pinguine sind bis auf eine Tauchtiefe von 115 Meter beobachtet worden! Und wer weiß, was sie machen, wenn keiner hinschaut. Normalerweise sind sie aber in Tiefen zwischen 15 und 50 Metern unterwegs, schießen hinunter und wieder herauf, was für Menschen ja auch wieder mal schlechterdings unmöglich wäre.

Die Hauptbeschäftigung der Goldschopfpinguine ist, Nahrung zu suchen: Beinahe die Hälfte ihrer Lebenszeit, elf bis zwölf Stunden pro Tag, verbringen sie damit. Während der Jungenaufzucht brechen die Frühaufsteher zwischen 5 und 7 Uhr morgens auf und müssen dann erstmal mit Morgenschwimmen beginnen: Weil sich ihr Futter in der Region der Kontinentalschelfe befindet, müssen sie zum Beispiel in Südgeorgien erstmal 50 Kilometer zurücklegen, bevor sie dann nach unten tauchen und Futter sammeln können. Vollgefressen geht es dann wieder zurück; womit wieder mal bewiesen wäre, dass man all die Sommerstunden im Freibad nach dem Essen umsonst auf der Decke gewartet hat, wo es hieß, man solle nicht mit vollen Magen ins Wasser gehen.

Weibliche Tiere brüten ab ihrem fünften Lebensjahr, männliche Tiere brauchen wie immer einige Jahre mehr, bis sie erwachsen werden. Mitte Oktober beginnen die Macaronis an Felsküsten und niedrigen Klippen zu brüten und legen innerhalb weniger Tage zwei Eier, von denen das erste kleiner ist als das zweite. Meistens wird dann auch nur aus dem zweiten ein gesunder Goldschopf.

In der ersten Brutphase sind beide Eltern am Nest, in der zweiten brütet nur das Weibchen und in der dritten nur das Männchen, während der jeweils andere Teil jagen geht. Eine solche reibungslose exakte Zweiteilung der Aufgaben ist unvorstellbar bei Menschen, aber es wird noch unvorstellbarer: Denn wenn die Küken sich durch die Eischale nach draußen geklopft haben, kümmert sich erstmal nur das Männchen um das Kleine, und zwar ganze 24 Tage lang, und das Weibchen jagt. Von Pinguinen kann man noch was lernen.

Danach geht es für die Mini-Macaronis in einen Kindergarten: Der Nachwuchs tut sich mit den Kindern anderer Eltern zusammen, und alle Eltern gehen jagen, um den enormen Nahrungsbedarf ihrer Jungen zu decken und selbst auch noch etwas zu fressen – die Küken fressen pro Fütterung dann etwa ein Kilo Nahrung! Wenn die Jungen dann elf Wochen alt sind, entwickeln sie ihren eigenen Neopren-Anzug, ihr wasserfestes Federkleid, und sind dann selbständig.

Und den erschöpften Eltern gehen die Federn aus: Drei Wochen fressen sie noch, dann beginnt für die Altvögel die Mauser, die 25 Tage lang dauert. Da sie ohne ihre wasserfesten Federn nicht jagen können, leben sie in dieser Zeit ohne Nahrung von ihren angefressenen Fettreserven, was schließlich die eingangs erwähnten enormen Gewichtsunterschiede erklärt.

Über den Kolonien der Macaronis liegt neben dem Pinguin-typischen süßlich-fischigen Kot-Odeur auch das Pinguin-typische Geschnatter – es klingt ein bisschen wie eine Mischung aus Bellen und Trompeten, wobei sich die Familien tatsächlich an der Stimme erkennen und nicht immer wieder zum gleichen Ort zurückkehren, sondern sich durch Rufe wieder finden.

Bei Hannah Point, einer Landspitze an der Südküste der Livingston-Insel im Archipel der Südlichen Shetlandinseln sitzen seit einer Weile zwei Macaronis inmitten von Zügel- und Eselspinguinen. Dort ist auch mein Eindruck der Macaronis als etwas desorientierten Gesellen entstanden. Noch einsamer aber ist Kevin: Dieser einsame Macaroni sitzt seit Jahren alleine auf Half Moon Island inmitten einer Kolonie von Zügelpinguinen, immer am gleichen Fleck. Wer weiß, wer dem Armen so das Herz gebrochen hat, dass er sich wirklich nie wieder aufmacht, ein Weibchen zu finden?

Wann wir wohl wieder nachschauen können, ob Kevin noch da ist?

Bis nächste Woche!

Ihre
Birgit Lutz

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Und obwohl der Goldschopfpinguin diejenige Pinguinart ist, von der es am meisten gibt – kennen ihn die wenigsten. Ist doch so, oder nicht? Bei Pinguinen denken die meisten doch erstmal an die großen Königs- und Kaiserpinguine, und nicht an diese verwuschelten Gesellen, die auf vielen Inseln der Subantarktis und im südlichsten Süden von Südamerika wohnen.

Was den Goldschopfpinguin noch goldiger macht, ist: auf englisch heißt er Macaroni penguin. Wer heißt wie eine hohle Nudel, den muss man doch einfach mögen, oder nicht?

Jetzt aber mal im Ernst, der Macaroni ist immerhin auch 71 Zentimeter groß, vom Boden bis zum Schopf. Wie viel sie wiegen, das hängt ganz stark davon ab, wann man sie auf eine Waage stellt: Das Macaroni-Weihnachten, also ihre schwerste Zeit im Jahr, haben Macaronis kurz vor ihrer jährlichen Mauser, dann wiegen Männchen bis 6,4 Kilo, während sie nach der Mauser fast nur noch die Hälfte wiegen, um die 3,4 Kilogramm. Wer Abnehmberater sucht, kann sich also an die Goldschöpfe wenden, aber der Rat wird recht einfach sein: einfach in der Kälte stehen und überhaupt nichts mehr essen, während einem die Federn ausfallen.

Anders als der Name vermuten ließe, ernähren sich Macaronis von Krebstierchen. Wenn sie Junge haben, werden auch Fische immer wichtiger. Und hier wieder einmal eine enorme Zahl: Diese kleinen Pinguine sind bis auf eine Tauchtiefe von 115 Meter beobachtet worden! Und wer weiß, was sie machen, wenn keiner hinschaut. Normalerweise sind sie aber in Tiefen zwischen 15 und 50 Metern unterwegs, schießen hinunter und wieder herauf, was für Menschen ja auch wieder mal schlechterdings unmöglich wäre.

Die Hauptbeschäftigung der Goldschopfpinguine ist, Nahrung zu suchen: Beinahe die Hälfte ihrer Lebenszeit, elf bis zwölf Stunden pro Tag, verbringen sie damit. Während der Jungenaufzucht brechen die Frühaufsteher zwischen 5 und 7 Uhr morgens auf und müssen dann erstmal mit Morgenschwimmen beginnen: Weil sich ihr Futter in der Region der Kontinentalschelfe befindet, müssen sie zum Beispiel in Südgeorgien erstmal 50 Kilometer zurücklegen, bevor sie dann nach unten tauchen und Futter sammeln können. Vollgefressen geht es dann wieder zurück; womit wieder mal bewiesen wäre, dass man all die Sommerstunden im Freibad nach dem Essen umsonst auf der Decke gewartet hat, wo es hieß, man solle nicht mit vollen Magen ins Wasser gehen.

Weibliche Tiere brüten ab ihrem fünften Lebensjahr, männliche Tiere brauchen wie immer einige Jahre mehr, bis sie erwachsen werden. Mitte Oktober beginnen die Macaronis an Felsküsten und niedrigen Klippen zu brüten und legen innerhalb weniger Tage zwei Eier, von denen das erste kleiner ist als das zweite. Meistens wird dann auch nur aus dem zweiten ein gesunder Goldschopf.

In der ersten Brutphase sind beide Eltern am Nest, in der zweiten brütet nur das Weibchen und in der dritten nur das Männchen, während der jeweils andere Teil jagen geht. Eine solche reibungslose exakte Zweiteilung der Aufgaben ist unvorstellbar bei Menschen, aber es wird noch unvorstellbarer: Denn wenn die Küken sich durch die Eischale nach draußen geklopft haben, kümmert sich erstmal nur das Männchen um das Kleine, und zwar ganze 24 Tage lang, und das Weibchen jagt. Von Pinguinen kann man noch was lernen.

Danach geht es für die Mini-Macaronis in einen Kindergarten: Der Nachwuchs tut sich mit den Kindern anderer Eltern zusammen, und alle Eltern gehen jagen, um den enormen Nahrungsbedarf ihrer Jungen zu decken und selbst auch noch etwas zu fressen – die Küken fressen pro Fütterung dann etwa ein Kilo Nahrung! Wenn die Jungen dann elf Wochen alt sind, entwickeln sie ihren eigenen Neopren-Anzug, ihr wasserfestes Federkleid, und sind dann selbständig.

Und den erschöpften Eltern gehen die Federn aus: Drei Wochen fressen sie noch, dann beginnt für die Altvögel die Mauser, die 25 Tage lang dauert. Da sie ohne ihre wasserfesten Federn nicht jagen können, leben sie in dieser Zeit ohne Nahrung von ihren angefressenen Fettreserven, was schließlich die eingangs erwähnten enormen Gewichtsunterschiede erklärt.

Über den Kolonien der Macaronis liegt neben dem Pinguin-typischen süßlich-fischigen Kot-Odeur auch das Pinguin-typische Geschnatter – es klingt ein bisschen wie eine Mischung aus Bellen und Trompeten, wobei sich die Familien tatsächlich an der Stimme erkennen und nicht immer wieder zum gleichen Ort zurückkehren, sondern sich durch Rufe wieder finden.

Bei Hannah Point, einer Landspitze an der Südküste der Livingston-Insel im Archipel der Südlichen Shetlandinseln sitzen seit einer Weile zwei Macaronis inmitten von Zügel- und Eselspinguinen. Dort ist auch mein Eindruck der Macaronis als etwas desorientierten Gesellen entstanden. Noch einsamer aber ist Kevin: Dieser einsame Macaroni sitzt seit Jahren alleine auf Half Moon Island inmitten einer Kolonie von Zügelpinguinen, immer am gleichen Fleck. Wer weiß, wer dem Armen so das Herz gebrochen hat, dass er sich wirklich nie wieder aufmacht, ein Weibchen zu finden?

Wann wir wohl wieder nachschauen können, ob Kevin noch da ist?

Bis nächste Woche!

Ihre
Birgit Lutz