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Grönland- Nordost - Meereis steahlend bis zum Horizont - quer- PH 0847
Birgit Lutz

Birgit Lutz

In ihrer Polarkolumne, die ab 2021 immer freitags auf unserer Homepage neu erscheint, schreibt die Expeditionsleiterin und Autorin Birgit Lutz über alle Themenfelder der Polarregionen - von großen Erlebnissen und kleinen Momenten auf eigenen Reisen über aktuelle Entwicklungen in Arktis und Antarktis bis hin zu praktischen Informationen für Ihre Reisevorbereitung oder Empfehlungen zur Polarliteratur.

Notizen aus dem Eis 39 – Das Septemberminimum – wenigstens kein neuer Rekord

Diesmal gibt es eine gute und eine schlechte Nachricht. Fangen wir mal mit der guten an: 2021 Jahr ist das Meereis in der Arktis nicht auf ein neues Rekordniveau zusammengeschmolzen. Die Schlechte ist, dass das leider überhaupt kein Grund zur Entwarnung oder Freude ist. Aber schauen wir uns das Ganze mal genauer an.

Was ist überhaupt das Meereis- oder Septemberminimum?
Das ist ganz einfach: Während der Sommermonate schmilzt das Meereis in der Arktis. Diese Schmelze endet alljährlich irgendwann im September – wann genau, kann man immer erst mit einigen Tagen Verzögerung sagen, nämlich dann, wenn klar ist, dass die Eisfläche zu schrumpfen aufgehört hat und nun wieder wächst, weil das Meereis wieder zu frieren beginnt. Herausgefunden wird das anhand von Satellitenbildern.

Was ist so wichtig an diesem Minimum?
Das Meereisminimum ist zu einem guten Indikator für den globalen Klimawandel geworden. Die Meereisausdehnung schwankt mit den Jahreszeiten beträchtlich, die Frage, wieviel Meereis es gibt, ist also nicht so einfach zu beantworten, weil es jeden Tag anders ist. Als Orientierungspunkte zum Zustand der Gesamtsituation dienen deswegen am besten zwei Momente: Das Minimum im September, und das Maximum, das immer im März zu beobachten ist. Langzeitbetrachtungen geben dann Aufschluss darüber, ob die arktische Meereisfläche insgesamt schrumpft oder ungefähr gleichbleibt.

Wie war das Minimum 2021?
2021 hat die Wärme des Sommers dem arktischen Meereis nicht so sehr zugesetzt wie in den vergangenen Jahren – das berichtet das Alfred-Wegener-Institut (AWI). Das Minimum war laut den Meereisforschern am 12. September zu beobachten: Bis dahin schmolz die Meereisdecke auf eine Fläche von 4,81 Millionen Quadratkilometer. Und hier ist die gute Nachricht: Das sind ganze 1,54 Quadratkilometer mehr als in dem bisherigen Negativrekordjahr 2012, als das Meereis auf eine Restfläche von 3,27 Millionen Quadratkilometern geschmolzen war. In der traurigen Hitliste der Negativrekorde liegt das Jahr 2021 damit auf Platz 12.

Quelle: meereisportal.de

Warum ist das Eis 2021 geringer geschmolzen als in den Jahren zuvor?
Laut den Meereisforschern am AWI war langanhaltender niedriger Luftdruck in der zentralen Arktis im Juni und Juli ausschlaggebend für die verlangsamte Eisschmelze in diesem Sommer. Die AWI-Klimatologin Monica Ionita-Scholz schildert die Auswirkungen: „Seine Existenz hat vor allem im Juni und Juli den Einstrom warmer Luftmassen in die zentrale Arktis verhindert und die Meereissituation stabilisiert. Im August hat sich dann über dem europäischen Teil der Arktis ein Hochdrucksystem etabliert, das Tiefdrucksystem verlagerte sich hingegen in die Beaufortsee, was dort Temperaturen von 2 bis 3 Grad Celsius unterhalb des langjährigen Mittels zur Folge hatte. Diese vergleichsweise kalte Luft verhinderte das Schmelzen des Eises, obwohl die Eiskonzentration in dieser Region teilweise sehr niedrig war.”

Das relativ lange Vorherrschen dieses tiefen Luftdrucks hat auch dazu geführt, dass die Lufttemperaturen weniger anstiegen als mittlerweile in den Sommermonaten zu beobachten ist: Im Durchschnitt lagen die Temperaturen nördlich von 70 Grad diesen Sommer „nur“ ein bis zwei Grad über dem langfristigen Mittelwert von -2 bis +2 Grad. Im Jahr 2020 sah das ganz anders aus: Im Sommer 2020 lagen die Temperaturen in zentralen Bereichen des Arktischen Ozeans 5 bis 6 Grad über dem Durchschnitt.

Warum ist das kein Grund zur Freude oder Anzeichen von Erholung?
Eigentlich ist es erst einmal eine gute Nachricht, dass nach der zweitgeringsten jemals beobachteten Meereisausdehnung im September 2020 dieses Jahr wieder weniger Eis geschmolzen ist. Derlei Sprünge aber sind auch schon in der Vergangenheit beobachtet worden, als auf die bisherigen Rekordminimumjahre immer ein wieder deutlich besseres Jahr folgte. Den Trend nach unten können solche „besseren“ Jahre aber leider nicht aufhalten: In den vergangenen vier Jahrzehnten ist die Ausdehnung um 40 Prozent zurück gegangen.
Und dann ist die Ausdehnung ja nur eine Messgröße in einem großen Bild. Sehr wichtig ist auch die Eisdicke und das Vorhandensein von mehrjährigem, stabilerem Meereis, das nicht so anfällig für Schmelzen ist. Doch hier ergibt sich kein gutes Bild: Denn 2021 schmolz vor der Nordküste Alaskas viel dickes mehrjähriges Eis, das im Frühjahr durch den windgetriebenen Beaufortwirbel Richtung Küste gedrückt worden war. Das Verschwinden dieser großen Menge alten Meereises dürfte dazu beigetragen haben, dass der ohnehin schon geringe Anteil des dicken Eises in der Arktis weiter abgenommen hat, sagt AWI-Experte Christian Haas.

Und auch die AWI-Meereisbiologen Hauke Flores und Nicole Hildebrandt, die die letzten Wochen des arktischen Sommers 2021 an Bord des schwedischen Forschungseisbrechers „Oden“ unterwegs waren, haben keine guten Nachrichten: Im Gebiet nördlich Grönlands stießen die Forschenden auf mehrjähriges Eis mit einer Dicke von bis zu drei Metern. „Auch dieses noch relativ dicke und alte Eis zeigt uns die rasante Veränderung der Arktis überdeutlich. 40 bis 60 Prozent seiner Oberfläche waren mit Schmelztümpeln bedeckt.
Für Meereisforscher Christian Haas schreitet der Wandel der Arktis also weiter voran, auch wenn es in diesem Sommer keinen dramatischen Rückgang der Meereisfläche gegeben hat. Er fasst die Saison so zusammen: „Es besteht kein Grund zur Entwarnung. Wir haben eindrücklich die unterschiedlichen Einflüsse von Schmelzen und Drift auf die Meereisfläche und -dicke gesehen, und insgesamt sind die Zeichen der Klimaerwärmung in der Arktis anhand dieser Merkmale gemeinsam sichtbar.“
Diese Schlussfolgerung kann Christian Haas nicht nur mit Daten, sondern auch mit lang zurückreichenden persönlichen Eindrücken aus der Arktis untermauern. Er gehörte zu jenem Wissenschaftlerteam, welches vor 30 die ersten AWI-Meereisdickenmessungen in der Arktis ausführte – auf der ersten Fahrt des deutschen Forschungseisbrechers Polarstern zum Nordpol. „Damals war das ebene, unverformte Eis am Nordpol im Mittel 2,86 Meter dick – also ungefähr doppelt so dick wie heute“, erinnert er sich.
Wer sich noch weiter über die Meereisentwicklung 2021 und auch in anderen Jahren informieren will, dem lege ich die Seiten des AWI ans Herz, auf die auch dieser Text hier beruht. Das Meereisportal ist ein riesiger Fundus an Erklärungen zum Entstehen, zur Bedeutung und zum Schmelzen von Meereis:

https://www.meereisportal.de/archiv/2021-kurzmeldungen-gesamttexte/meereis-minimum-anhaltend-niedriger-luftdruck-bremst-den-eisrueckgang-in-der-arktis/

Bis nächste Woche!

Ihre
Birgit Lutz

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Diesmal gibt es eine gute und eine schlechte Nachricht. Fangen wir mal mit der guten an: 2021 Jahr ist das Meereis in der Arktis nicht auf ein neues Rekordniveau zusammengeschmolzen. Die Schlechte ist, dass das leider überhaupt kein Grund zur Entwarnung oder Freude ist. Aber schauen wir uns das Ganze mal genauer an.

Was ist überhaupt das Meereis- oder Septemberminimum?
Das ist ganz einfach: Während der Sommermonate schmilzt das Meereis in der Arktis. Diese Schmelze endet alljährlich irgendwann im September – wann genau, kann man immer erst mit einigen Tagen Verzögerung sagen, nämlich dann, wenn klar ist, dass die Eisfläche zu schrumpfen aufgehört hat und nun wieder wächst, weil das Meereis wieder zu frieren beginnt. Herausgefunden wird das anhand von Satellitenbildern.

Was ist so wichtig an diesem Minimum?
Das Meereisminimum ist zu einem guten Indikator für den globalen Klimawandel geworden. Die Meereisausdehnung schwankt mit den Jahreszeiten beträchtlich, die Frage, wieviel Meereis es gibt, ist also nicht so einfach zu beantworten, weil es jeden Tag anders ist. Als Orientierungspunkte zum Zustand der Gesamtsituation dienen deswegen am besten zwei Momente: Das Minimum im September, und das Maximum, das immer im März zu beobachten ist. Langzeitbetrachtungen geben dann Aufschluss darüber, ob die arktische Meereisfläche insgesamt schrumpft oder ungefähr gleichbleibt.

Wie war das Minimum 2021?
2021 hat die Wärme des Sommers dem arktischen Meereis nicht so sehr zugesetzt wie in den vergangenen Jahren – das berichtet das Alfred-Wegener-Institut (AWI). Das Minimum war laut den Meereisforschern am 12. September zu beobachten: Bis dahin schmolz die Meereisdecke auf eine Fläche von 4,81 Millionen Quadratkilometer. Und hier ist die gute Nachricht: Das sind ganze 1,54 Quadratkilometer mehr als in dem bisherigen Negativrekordjahr 2012, als das Meereis auf eine Restfläche von 3,27 Millionen Quadratkilometern geschmolzen war. In der traurigen Hitliste der Negativrekorde liegt das Jahr 2021 damit auf Platz 12.

Quelle: meereisportal.de

Warum ist das Eis 2021 geringer geschmolzen als in den Jahren zuvor?
Laut den Meereisforschern am AWI war langanhaltender niedriger Luftdruck in der zentralen Arktis im Juni und Juli ausschlaggebend für die verlangsamte Eisschmelze in diesem Sommer. Die AWI-Klimatologin Monica Ionita-Scholz schildert die Auswirkungen: „Seine Existenz hat vor allem im Juni und Juli den Einstrom warmer Luftmassen in die zentrale Arktis verhindert und die Meereissituation stabilisiert. Im August hat sich dann über dem europäischen Teil der Arktis ein Hochdrucksystem etabliert, das Tiefdrucksystem verlagerte sich hingegen in die Beaufortsee, was dort Temperaturen von 2 bis 3 Grad Celsius unterhalb des langjährigen Mittels zur Folge hatte. Diese vergleichsweise kalte Luft verhinderte das Schmelzen des Eises, obwohl die Eiskonzentration in dieser Region teilweise sehr niedrig war.”

Das relativ lange Vorherrschen dieses tiefen Luftdrucks hat auch dazu geführt, dass die Lufttemperaturen weniger anstiegen als mittlerweile in den Sommermonaten zu beobachten ist: Im Durchschnitt lagen die Temperaturen nördlich von 70 Grad diesen Sommer „nur“ ein bis zwei Grad über dem langfristigen Mittelwert von -2 bis +2 Grad. Im Jahr 2020 sah das ganz anders aus: Im Sommer 2020 lagen die Temperaturen in zentralen Bereichen des Arktischen Ozeans 5 bis 6 Grad über dem Durchschnitt.

Warum ist das kein Grund zur Freude oder Anzeichen von Erholung?
Eigentlich ist es erst einmal eine gute Nachricht, dass nach der zweitgeringsten jemals beobachteten Meereisausdehnung im September 2020 dieses Jahr wieder weniger Eis geschmolzen ist. Derlei Sprünge aber sind auch schon in der Vergangenheit beobachtet worden, als auf die bisherigen Rekordminimumjahre immer ein wieder deutlich besseres Jahr folgte. Den Trend nach unten können solche „besseren“ Jahre aber leider nicht aufhalten: In den vergangenen vier Jahrzehnten ist die Ausdehnung um 40 Prozent zurück gegangen.
Und dann ist die Ausdehnung ja nur eine Messgröße in einem großen Bild. Sehr wichtig ist auch die Eisdicke und das Vorhandensein von mehrjährigem, stabilerem Meereis, das nicht so anfällig für Schmelzen ist. Doch hier ergibt sich kein gutes Bild: Denn 2021 schmolz vor der Nordküste Alaskas viel dickes mehrjähriges Eis, das im Frühjahr durch den windgetriebenen Beaufortwirbel Richtung Küste gedrückt worden war. Das Verschwinden dieser großen Menge alten Meereises dürfte dazu beigetragen haben, dass der ohnehin schon geringe Anteil des dicken Eises in der Arktis weiter abgenommen hat, sagt AWI-Experte Christian Haas.

Und auch die AWI-Meereisbiologen Hauke Flores und Nicole Hildebrandt, die die letzten Wochen des arktischen Sommers 2021 an Bord des schwedischen Forschungseisbrechers „Oden“ unterwegs waren, haben keine guten Nachrichten: Im Gebiet nördlich Grönlands stießen die Forschenden auf mehrjähriges Eis mit einer Dicke von bis zu drei Metern. „Auch dieses noch relativ dicke und alte Eis zeigt uns die rasante Veränderung der Arktis überdeutlich. 40 bis 60 Prozent seiner Oberfläche waren mit Schmelztümpeln bedeckt.
Für Meereisforscher Christian Haas schreitet der Wandel der Arktis also weiter voran, auch wenn es in diesem Sommer keinen dramatischen Rückgang der Meereisfläche gegeben hat. Er fasst die Saison so zusammen: „Es besteht kein Grund zur Entwarnung. Wir haben eindrücklich die unterschiedlichen Einflüsse von Schmelzen und Drift auf die Meereisfläche und -dicke gesehen, und insgesamt sind die Zeichen der Klimaerwärmung in der Arktis anhand dieser Merkmale gemeinsam sichtbar.“
Diese Schlussfolgerung kann Christian Haas nicht nur mit Daten, sondern auch mit lang zurückreichenden persönlichen Eindrücken aus der Arktis untermauern. Er gehörte zu jenem Wissenschaftlerteam, welches vor 30 die ersten AWI-Meereisdickenmessungen in der Arktis ausführte – auf der ersten Fahrt des deutschen Forschungseisbrechers Polarstern zum Nordpol. „Damals war das ebene, unverformte Eis am Nordpol im Mittel 2,86 Meter dick – also ungefähr doppelt so dick wie heute“, erinnert er sich.
Wer sich noch weiter über die Meereisentwicklung 2021 und auch in anderen Jahren informieren will, dem lege ich die Seiten des AWI ans Herz, auf die auch dieser Text hier beruht. Das Meereisportal ist ein riesiger Fundus an Erklärungen zum Entstehen, zur Bedeutung und zum Schmelzen von Meereis:

https://www.meereisportal.de/archiv/2021-kurzmeldungen-gesamttexte/meereis-minimum-anhaltend-niedriger-luftdruck-bremst-den-eisrueckgang-in-der-arktis/

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