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Birgit Lutz

In ihrer Polarkolumne, die ab 2021 immer freitags auf unserer Homepage neu erscheint, schreibt die Expeditionsleiterin und Autorin Birgit Lutz über alle Themenfelder der Polarregionen - von großen Erlebnissen und kleinen Momenten auf eigenen Reisen über aktuelle Entwicklungen in Arktis und Antarktis bis hin zu praktischen Informationen für Ihre Reisevorbereitung oder Empfehlungen zur Polarliteratur.

Notizen aus dem Eis 47 – Hvaldimir – Der einsame Beluga

Auf einmal war er da. In der Nähe von Hammerfest in Nordnorwegen. Ein Beluga. Belugas sind Weißwale, die normalerweise nicht in Nordnorwegen vorkommen, sondern nur deutlich nördlicher oder östlicher, an der russischen Nordmeerküste, in Spitzbergen, in der kanadischen Arktis. In Norwegen wirklich einfach gar nicht.

Aber dieser Beluga war nun da. Im April 2019 tauchte er nahe der Insel Ingøy immer wieder in der Nähe von Fischern auf. Verblüffend war nicht nur, dass er überhaupt da war. Er trug dazu auch noch ein Geschirr mit einer Kamerahaltung, auf der „Equipment St. Petersburg“ stand. Dieses Geschirr versuchte er, an den Booten der Fischer abzustreifen, was ihm nicht gelang. Die Fischer schnitten es ihm schließlich ab. Der Beluga war also vielleicht kein gewöhnlicher Wal, sondern ein russischer Spion, ausgebildet bei der russischen Marine?

Ob das so ist, wird wohl nie herausgefunden werden, das russische Verteidigungsministerium wies Theorien über das Bestehen einer Beluga-Spezialeinheit natürlich zurück. Eine andere Vermutung ist, dass der Beluga ein Therapiewal ist, der russische Wal Semjon, der verletzt aufgefunden und gesund gepflegt worden war. Danach war Semjon zum Ziehen von Booten mit Kindern eingesetzt worden. Auch das ist aber nicht so richtig bestätigt.

Auf jeden Fall wurde sehr schnell klar, dass der kleine Kerl an Menschen gewöhnt war. Nachdem sie ihm das Geschirr abgenommen hatten, blieb er bei den Fischern, mehrere Tage lang. Er ließ sich von den Männern anfassen, kraulen, spielte sogar apportieren mit ihnen und bettelte um Futter. Er folgte ihnen dann in den Hafen von Hammerfest, wo er schnell zu einer Attraktion wurde.

Im Internet wurde nach einem Namen für das Tier gesucht, und schließlich wurde er Hvaldimir genannt – eine Mischung aus dem norwegischen Wort für Wal und dem Vornamen des russischen Präsidenten Wladimir Putin.

Sobald bekannt war, dass es diesen Weißwal gab, setzte natürlich auch eine intensive Diskussion ein, wie nun mit dem Tier zu verfahren war. Sollte er in seinen natürlichen Lebensraum gebracht werden? Zu einer anderen Beluga-Schule? In ein Delfinarium, wo er beschäftigt werden konnte, was er ja offensichtlich gewohnt war? All das wurde heftig diskutiert. Die norwegische Fischereibehörde und die Polizei appellierten an die Menschen, Hvaldimir in Ruhe zu lassen, ihn nicht zu füttern und nicht mit Schiffspropellern in Gefahr zu bringen. Die Stadt Hammerfest stellte ein Schild auf, mit Regeln für den Umgang mit Hvaldimir. Die Organisation Norwegian Orca Survey kümmerte sich dann mit Spendengeldern um die Fütterung, denn selbständig jagen war Hvaldimir nicht gewohnt.

Den Wal ließ das alles unbeeindruckt, und drei Monate später, im Juli 2019, verschwand er aus Hammerfest. Er begab sich in die Gegend der Insel Seiland südlich von Hammerfest, und es hatte den Anschein, dass er sich nun selbst ernährte. Im August kam er nach Hammerfest zurück, im September verschwand er wieder.

Hvaldimir wurde langsam aber sicher zum Medienstar. Unter anderem kursiert ein Video, in dem er einer jungen Frau ihr Smartphone zurückbringt, der das Gerät aus der Tasche ins Wasser gefallen war. Es gibt noch einige andere Videos, in denen Menschen in Kontakt mit dem Wal getreten sind, die aber wirklich nicht nachgeahmt werden sollten. Meeresbiologen fürchten, dass der menschliche Kontakt irgendwann fatal für das Tier werden könnte und deswegen auf ein Minimum reduziert werden sollte.

Hvaldimir bewegte sich von Hammerfest schließlich immer weiter nach Südwesten, die Küste Norwegens entlang. Eine ganze Zeitlang war er in der Kvænangen Region, in der wir im Winter Orcas und Buckelwale beobachten. Freunde von mir sahen den Weißwal, als sie Kajaken gingen, im November 2019, in dem kleinen Ort Sørkjosen (siehe Fotos). Wir sind ihm leider – oder glücklicherweise – nie begegnet. Von Kvænangen wanderte er weiter die Küste nach Süden entlang.

Den Sommer 2021 verbrachte er nun in der Region Helgeland. Dort fand er einen guten Platz in der Nähe einer Lachsfarm, deren Betreiber sich auch um ihn kümmerten. Im Herbst machte er sich leider noch weiter auf Richtung Süden – bis nach Bindalen, was dann mittlerweile gefährlich nach bei Trondheim und damit einer sehr belebten Gegend ist. Und das wird nun mit großer Sorge beobachtet. Denn während die nördlichen Gebiete Norwegens nicht dicht besiedelt sind und es unzählige Fischfarmen gibt, in deren Nähe sich Hvaldimir gerne aufgehalten hat, wird es mit jeder Meile Richtung Süden ungemütlicher für ein Tier, das nicht automatisch reißaus nimmt vor Menschen, Schiffen, Propellern und all dem, was Menschen und Städte so mit sich bringen. Soziale Tiere zahlen ihre Menschennähe leider meistens mit ihrem Leben.

Mehrere Aktivisten versuchten zuletzt, Hvaldimir weiter nach Norden zu locken, was auch ein Stück weit gelungen ist. Noch immer aber ist Hvaldimir sehr weit südlich. Es gibt nun ein Projekt bei Hammerfest, das Hvaldimir ein geschütztes Gebiet geben will – es ist aber noch unsicher, was daraus wird.

Hvaldimirs Geschichte bleibt spannend, und hoffentlich nimmt sie ein gutes Ende – was bedeuten würde, dass er umdreht, nach Norden schwimmt, weit, weit, weit nach Norden, und dann wieder Artgenossen trifft, die ungefährlicher sind für ihn als wir Menschen.

Als ich 2020 in Tromsø arbeitete, traf ich einen jungen Mann aus der Gegend von Hammerfest. Seine Schwester war eine der ersten, die Hvaldimir 2019 entdeckt hatte. Die ganze Familie und auch ihre beiden Hunde verbrachten dann viel Zeit im Hafen, sie beobachteten den Wal und spielten mit ihm. Als Hvaldimir verschwand, vermissten ihn alle, sagte der junge Mann. Am meisten aber wahrscheinlich seine beiden Hunde. Sie liefen noch mehr als zwei Wochen jeden Tag zum Hafen hinunter und schauten dann den ganzen Tag aufs Meer hinaus, auf ihren Spielkameraden wartend, der nicht mehr kam.

Bis nächste Woche!

Ihre
Birgit Lutz

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Aber dieser Beluga war nun da. Im April 2019 tauchte er nahe der Insel Ingøy immer wieder in der Nähe von Fischern auf. Verblüffend war nicht nur, dass er überhaupt da war. Er trug dazu auch noch ein Geschirr mit einer Kamerahaltung, auf der „Equipment St. Petersburg“ stand. Dieses Geschirr versuchte er, an den Booten der Fischer abzustreifen, was ihm nicht gelang. Die Fischer schnitten es ihm schließlich ab. Der Beluga war also vielleicht kein gewöhnlicher Wal, sondern ein russischer Spion, ausgebildet bei der russischen Marine?

Ob das so ist, wird wohl nie herausgefunden werden, das russische Verteidigungsministerium wies Theorien über das Bestehen einer Beluga-Spezialeinheit natürlich zurück. Eine andere Vermutung ist, dass der Beluga ein Therapiewal ist, der russische Wal Semjon, der verletzt aufgefunden und gesund gepflegt worden war. Danach war Semjon zum Ziehen von Booten mit Kindern eingesetzt worden. Auch das ist aber nicht so richtig bestätigt.

Auf jeden Fall wurde sehr schnell klar, dass der kleine Kerl an Menschen gewöhnt war. Nachdem sie ihm das Geschirr abgenommen hatten, blieb er bei den Fischern, mehrere Tage lang. Er ließ sich von den Männern anfassen, kraulen, spielte sogar apportieren mit ihnen und bettelte um Futter. Er folgte ihnen dann in den Hafen von Hammerfest, wo er schnell zu einer Attraktion wurde.

Im Internet wurde nach einem Namen für das Tier gesucht, und schließlich wurde er Hvaldimir genannt – eine Mischung aus dem norwegischen Wort für Wal und dem Vornamen des russischen Präsidenten Wladimir Putin.

Sobald bekannt war, dass es diesen Weißwal gab, setzte natürlich auch eine intensive Diskussion ein, wie nun mit dem Tier zu verfahren war. Sollte er in seinen natürlichen Lebensraum gebracht werden? Zu einer anderen Beluga-Schule? In ein Delfinarium, wo er beschäftigt werden konnte, was er ja offensichtlich gewohnt war? All das wurde heftig diskutiert. Die norwegische Fischereibehörde und die Polizei appellierten an die Menschen, Hvaldimir in Ruhe zu lassen, ihn nicht zu füttern und nicht mit Schiffspropellern in Gefahr zu bringen. Die Stadt Hammerfest stellte ein Schild auf, mit Regeln für den Umgang mit Hvaldimir. Die Organisation Norwegian Orca Survey kümmerte sich dann mit Spendengeldern um die Fütterung, denn selbständig jagen war Hvaldimir nicht gewohnt.

Den Wal ließ das alles unbeeindruckt, und drei Monate später, im Juli 2019, verschwand er aus Hammerfest. Er begab sich in die Gegend der Insel Seiland südlich von Hammerfest, und es hatte den Anschein, dass er sich nun selbst ernährte. Im August kam er nach Hammerfest zurück, im September verschwand er wieder.

Hvaldimir wurde langsam aber sicher zum Medienstar. Unter anderem kursiert ein Video, in dem er einer jungen Frau ihr Smartphone zurückbringt, der das Gerät aus der Tasche ins Wasser gefallen war. Es gibt noch einige andere Videos, in denen Menschen in Kontakt mit dem Wal getreten sind, die aber wirklich nicht nachgeahmt werden sollten. Meeresbiologen fürchten, dass der menschliche Kontakt irgendwann fatal für das Tier werden könnte und deswegen auf ein Minimum reduziert werden sollte.

Hvaldimir bewegte sich von Hammerfest schließlich immer weiter nach Südwesten, die Küste Norwegens entlang. Eine ganze Zeitlang war er in der Kvænangen Region, in der wir im Winter Orcas und Buckelwale beobachten. Freunde von mir sahen den Weißwal, als sie Kajaken gingen, im November 2019, in dem kleinen Ort Sørkjosen (siehe Fotos). Wir sind ihm leider – oder glücklicherweise – nie begegnet. Von Kvænangen wanderte er weiter die Küste nach Süden entlang.

Den Sommer 2021 verbrachte er nun in der Region Helgeland. Dort fand er einen guten Platz in der Nähe einer Lachsfarm, deren Betreiber sich auch um ihn kümmerten. Im Herbst machte er sich leider noch weiter auf Richtung Süden – bis nach Bindalen, was dann mittlerweile gefährlich nach bei Trondheim und damit einer sehr belebten Gegend ist. Und das wird nun mit großer Sorge beobachtet. Denn während die nördlichen Gebiete Norwegens nicht dicht besiedelt sind und es unzählige Fischfarmen gibt, in deren Nähe sich Hvaldimir gerne aufgehalten hat, wird es mit jeder Meile Richtung Süden ungemütlicher für ein Tier, das nicht automatisch reißaus nimmt vor Menschen, Schiffen, Propellern und all dem, was Menschen und Städte so mit sich bringen. Soziale Tiere zahlen ihre Menschennähe leider meistens mit ihrem Leben.

Mehrere Aktivisten versuchten zuletzt, Hvaldimir weiter nach Norden zu locken, was auch ein Stück weit gelungen ist. Noch immer aber ist Hvaldimir sehr weit südlich. Es gibt nun ein Projekt bei Hammerfest, das Hvaldimir ein geschütztes Gebiet geben will – es ist aber noch unsicher, was daraus wird.

Hvaldimirs Geschichte bleibt spannend, und hoffentlich nimmt sie ein gutes Ende – was bedeuten würde, dass er umdreht, nach Norden schwimmt, weit, weit, weit nach Norden, und dann wieder Artgenossen trifft, die ungefährlicher sind für ihn als wir Menschen.

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Bis nächste Woche!

Ihre
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