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Birgit Lutz

In ihrer Polarkolumne, die ab 2021 immer freitags auf unserer Homepage neu erscheint, schreibt die Expeditionsleiterin und Autorin Birgit Lutz über alle Themenfelder der Polarregionen - von großen Erlebnissen und kleinen Momenten auf eigenen Reisen über aktuelle Entwicklungen in Arktis und Antarktis bis hin zu praktischen Informationen für Ihre Reisevorbereitung oder Empfehlungen zur Polarliteratur.

Notizen aus dem Eis 77 – Weihnachten auf See

Wie feiert man Weihnachten auf einem Schiff – wenn ganz viele unterschiedliche Welten aufeinandertreffen?

Nur ein einziges Mal war ich bisher an Weihnachten auf See, und Silvester gleich noch dazu. Allein war ich aber nicht, denn mein Mann war mit an Bord. Zu zweit waren wir 2015 auf einem Passagierschiff in der Antarktis unterwegs, zweieinhalb Monate lang am Stück. Weihnachten lag dabei genau in der Mitte einer Reise, als wir an der Antarktischen Halbinsel waren.

Und nun ist das so eine Sache, mit diesem Weihnachten. Es gibt Menschen, die extra wegen Weihnachten mit einem Schiff ins Eis fahren, weil das für sie das ultimative Christmasfeeling ist: Im Eis, dort wo Santa Claus wohnt. Auch in Deutschland gibt es ja immer mehr Menschen, für die der Weihnachtsmann keine Erfindung von Coca-Cola ist. Diese Engelreisenden kommen entweder mit der ganzen Familie und Onkel und Tante und Omma und Oppa noch dazu, der ganzen Sippe eben, wie bei „Kevin allein zuhaus“ aufs Schiff. Oder sie reisen zu zweit, in ihrer Vorstellung romantisch unter einem Christbaum am Bug stehend oder zu sanfter Glöckchenmusik übers Deck schwofend.

Solche Menschen möchten gerne, dass das ganze Schiff aussieht wie Santas Schlitten, allüberall Tannenzweige und goldene Lichtlein, Glöckchengebaumel an der Reling und -gebimmel aus den Lautsprechern. Statt Kaffee und Kuchen Glühwein und Plätzchen und am Heiligabend ein Weihnachtsmenü, einen Christbaum mit Geschenken und am besten noch einen Engelschor.

Dann gibt es aber auch Menschen, die genau wegen all dieser Sachen auf einem Schiff in die Antarktis reisen: Sie wollen weit, weit weg von Weihnachtsstimmung sein, von Last Christmas und leuchtenden Kinderaugen.

Warum sollte jemand Weihnachten nicht mögen? Dafür gibt es so viele Gründe wie Kugeln am Baum: Weil man dieses ganze Gedöns einfach nicht mag, weil man nichts mit Weihnachten anfangen kann, weil man seine Familie nicht mag oder weil man gar keine hat und sonst auch keine Menschen, mit denen man sich unter einen Baum setzen möchte. Manchmal auch, weil man keine Familie mehr hat, weil der Mann oder die Frau oder sogar Kinder gestorben sind, und man nie mehr das Weihnachten haben wird, das man einst so liebte. Oder, weil man ganz einfach das Recht haben will, ein Scrooge zu sein: der Weihnachtshasser aus Charles Dickens Geschichte.

Was aber macht man nun auf einem Schiff, auf dem beide Gruppen zusammentreffen? Die Weihnachtskugeln und die Scrooges? Noch dazu aus vielen verschiedenen Ländern mit vielen verschiedenen Traditionen? Schmückt man einen Baum und verursacht Schmerzen bei den Flüchtenden, oder schmückt man keinen und enttäuscht die Engelchen?

2015 hatten wir einen Expeditionsleiter, der für derlei Fragen wenig Sinn hatte, und Weihnachten hatte er sowieso vergessen. Aber es einfach verhallen lassen? Ging doch auch nicht!

Also beschlossen wir eine elegante, möglichst neutrale Lösung, in die alle das hineininterpretieren konnten, was sie wollten: Die einen konnten darin eine besondere Weihnacht sehen, die anderen einen besonderen Partyabend.

Als Zugeständnis an die Weihnachtsfans organisierten wir einen Weihnachtsmann für eine Bescherung im Salon. Wer wollte, konnte seine Geschenke dafür vorher bei uns abgeben. Der Weihnachtsmann war das Teammitglied, das einem runden Santa Claus am ähnlichsten sah und außerdem lustig genug war, das Ganze nicht zu rührend werden zu lassen.

Wir versammelten uns also im Salon und die Bescherung nahm ihren Lauf, tatsächlich erschienen alle Gäste und hatten ihren Spaß an dieser Vorstellung. Als diese Bescherung beendet war, las ich eine Überwinterungsgeschichte vor, eine jener alten Expeditionsgeschichten der alten Polfahrer, in denen an Weihnachten zur Feier des Tages die Unterhose auf links gedreht wird. Auch diese Einlage war nun eher dazu geneigt, Lachtränen zu verursachen.

Aber dann: Singen musste doch sein, und so hatten wir uns entschieden, zwei Lieder anzustimmen, die alle singen sollten, sogar den Text hatten wir verteilt: Zuerst Stille Nacht, aber nicht in allen Sprachen, die es an Bord gab. Und bevor es zu rührend wurde, glitt die Stille Nacht in ein Feliz Navidad über. Australische Gäste begannen sofort zu tanzen und wir holten die trauriger Dreinblickenden ebenfalls auf die Tanzfläche. Danach gab es Tanzmusik, die nichts mehr mit Weihnachten zu tun hatte. Die Menschen hatten schöne Kleider an und feierten, die einen eben Weihnachten, die anderen die Reise.

Ich denke, damals haben wir den perfekten Kompromiss für die Scrooges und die Weihnachtsfans gefunden.

Und wir selbst? Wir standen irgendwann spät am Abend an Deck, als alles ruhiger geworden war. Und schauten in den gigantischen Himmel über der Antarktis, der zu dieser Zeit ja nicht ganz dunkel ist. Aber einen Stern entdeckten wir doch.
Und dann war für uns auch Weihnachten.

Euch allen, egal ob Scrooge oder Christkindl-Fan: Eine wunderbare Weihnachtszeit, so wie Ihr sie wollt, mit Glöckchen und Gebimmel, Plätzchen und Glühwein – oder einfach nur ein bisschen weniger Arbeit.

Bis in zwei Wochen!

Eure
Birgit Lutz

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Und nun ist das so eine Sache, mit diesem Weihnachten. Es gibt Menschen, die extra wegen Weihnachten mit einem Schiff ins Eis fahren, weil das für sie das ultimative Christmasfeeling ist: Im Eis, dort wo Santa Claus wohnt. Auch in Deutschland gibt es ja immer mehr Menschen, für die der Weihnachtsmann keine Erfindung von Coca-Cola ist. Diese Engelreisenden kommen entweder mit der ganzen Familie und Onkel und Tante und Omma und Oppa noch dazu, der ganzen Sippe eben, wie bei „Kevin allein zuhaus“ aufs Schiff. Oder sie reisen zu zweit, in ihrer Vorstellung romantisch unter einem Christbaum am Bug stehend oder zu sanfter Glöckchenmusik übers Deck schwofend.

Solche Menschen möchten gerne, dass das ganze Schiff aussieht wie Santas Schlitten, allüberall Tannenzweige und goldene Lichtlein, Glöckchengebaumel an der Reling und -gebimmel aus den Lautsprechern. Statt Kaffee und Kuchen Glühwein und Plätzchen und am Heiligabend ein Weihnachtsmenü, einen Christbaum mit Geschenken und am besten noch einen Engelschor.

Dann gibt es aber auch Menschen, die genau wegen all dieser Sachen auf einem Schiff in die Antarktis reisen: Sie wollen weit, weit weg von Weihnachtsstimmung sein, von Last Christmas und leuchtenden Kinderaugen.

Warum sollte jemand Weihnachten nicht mögen? Dafür gibt es so viele Gründe wie Kugeln am Baum: Weil man dieses ganze Gedöns einfach nicht mag, weil man nichts mit Weihnachten anfangen kann, weil man seine Familie nicht mag oder weil man gar keine hat und sonst auch keine Menschen, mit denen man sich unter einen Baum setzen möchte. Manchmal auch, weil man keine Familie mehr hat, weil der Mann oder die Frau oder sogar Kinder gestorben sind, und man nie mehr das Weihnachten haben wird, das man einst so liebte. Oder, weil man ganz einfach das Recht haben will, ein Scrooge zu sein: der Weihnachtshasser aus Charles Dickens Geschichte.

Was aber macht man nun auf einem Schiff, auf dem beide Gruppen zusammentreffen? Die Weihnachtskugeln und die Scrooges? Noch dazu aus vielen verschiedenen Ländern mit vielen verschiedenen Traditionen? Schmückt man einen Baum und verursacht Schmerzen bei den Flüchtenden, oder schmückt man keinen und enttäuscht die Engelchen?

2015 hatten wir einen Expeditionsleiter, der für derlei Fragen wenig Sinn hatte, und Weihnachten hatte er sowieso vergessen. Aber es einfach verhallen lassen? Ging doch auch nicht!

Also beschlossen wir eine elegante, möglichst neutrale Lösung, in die alle das hineininterpretieren konnten, was sie wollten: Die einen konnten darin eine besondere Weihnacht sehen, die anderen einen besonderen Partyabend.

Als Zugeständnis an die Weihnachtsfans organisierten wir einen Weihnachtsmann für eine Bescherung im Salon. Wer wollte, konnte seine Geschenke dafür vorher bei uns abgeben. Der Weihnachtsmann war das Teammitglied, das einem runden Santa Claus am ähnlichsten sah und außerdem lustig genug war, das Ganze nicht zu rührend werden zu lassen.

Wir versammelten uns also im Salon und die Bescherung nahm ihren Lauf, tatsächlich erschienen alle Gäste und hatten ihren Spaß an dieser Vorstellung. Als diese Bescherung beendet war, las ich eine Überwinterungsgeschichte vor, eine jener alten Expeditionsgeschichten der alten Polfahrer, in denen an Weihnachten zur Feier des Tages die Unterhose auf links gedreht wird. Auch diese Einlage war nun eher dazu geneigt, Lachtränen zu verursachen.

Aber dann: Singen musste doch sein, und so hatten wir uns entschieden, zwei Lieder anzustimmen, die alle singen sollten, sogar den Text hatten wir verteilt: Zuerst Stille Nacht, aber nicht in allen Sprachen, die es an Bord gab. Und bevor es zu rührend wurde, glitt die Stille Nacht in ein Feliz Navidad über. Australische Gäste begannen sofort zu tanzen und wir holten die trauriger Dreinblickenden ebenfalls auf die Tanzfläche. Danach gab es Tanzmusik, die nichts mehr mit Weihnachten zu tun hatte. Die Menschen hatten schöne Kleider an und feierten, die einen eben Weihnachten, die anderen die Reise.

Ich denke, damals haben wir den perfekten Kompromiss für die Scrooges und die Weihnachtsfans gefunden.

Und wir selbst? Wir standen irgendwann spät am Abend an Deck, als alles ruhiger geworden war. Und schauten in den gigantischen Himmel über der Antarktis, der zu dieser Zeit ja nicht ganz dunkel ist. Aber einen Stern entdeckten wir doch.
Und dann war für uns auch Weihnachten.

Euch allen, egal ob Scrooge oder Christkindl-Fan: Eine wunderbare Weihnachtszeit, so wie Ihr sie wollt, mit Glöckchen und Gebimmel, Plätzchen und Glühwein – oder einfach nur ein bisschen weniger Arbeit.

Bis in zwei Wochen!

Eure
Birgit Lutz