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Der dunkle Jokelfjord
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Birgit Lutz

In ihrer Polarkolumne, die ab 2021 immer freitags auf unserer Homepage neu erscheint, schreibt die Expeditionsleiterin und Autorin Birgit Lutz über alle Themenfelder der Polarregionen - von großen Erlebnissen und kleinen Momenten auf eigenen Reisen über aktuelle Entwicklungen in Arktis und Antarktis bis hin zu praktischen Informationen für Ihre Reisevorbereitung oder Empfehlungen zur Polarliteratur.

Notizen aus dem Eis 78 – Der zappendustere Jøkelfjord

Unsere Touren in Nordnorwegen sind wegen ihres Lichts etwas absolut Fantastisches. Oder besser gesagt: Sie sind so besonders, gerade wegen des wenigen Lichts. Aber wenn es da ist, dann ist es eben besonders schön. Und überhaupt, ist Licht nicht immer Licht.

Wen das nun verwirrt hat, dem erzähle ich nun von einer Wanderung im dunklen Jøkelfjord. Das ist ein Seitenfjord im Kvaenangenfjord, nordöstlich von Tromsø. Ein lang gezogener Einschnitt zwischen hohen Bergen, wie sich das so für Fjorde gehört. Und beinahe am Ende dieses Einschnitts liegt eine kleine Bucht, die Skalsabukta. Hier ist eine gute Ankerstelle, wenn man vor allem die Dunkelheit sucht, der Nordlichter wegen.

Im Zappendusteren geht man hier also nachmittags um Drei an Land, gleitet mit dem Boot langsam und ruhig über glänzendes Wasser ins Schwarze hinein und steigt an einem Strand aus, an dem die Kiesel im Mondlicht glänzen. Das allein muss man einfach mal erlebt haben.

Ich rate den Gästen immer, ihre Stirnlampen erst gar nicht einzuschalten, außer, wenn man wirklich nichts mehr sieht. Und so tapsen wir also im Dunklen den Berg hinauf, erst über Wiesenmatten, dann entlang eines Zauns am Rand eines Birkenwäldchens. Wir hören einen gewaltigen Fluss rauschen, aber wir sehen ihn nicht. Deswegen schalte ich dann also doch einmal meine große Lampe an, und im fahlen Leuchtenlicht sehen wir weiß schäumende Wassermassen, die sich neben uns die Felsen hinab gurgeln.

Wir gehen weiter und kommen bald auf eine Ebene, in der ein See daliegt, für dessen Daliegen man eigentlich gar keine Worte hat. Es ist absolut windstill hier, keine Welle, kein Kräuseln ist auf dem Wasser zu erkennen. Wir springen hinunter an sein Ufer, eine letzte Stufe geht von der Wiese auf nass knirschende Steine, ein Stückchen weiter gehen wir über hohl klingendes Eis, das unter unseren Schritten knackend zerbricht. Der See hat Niedrigwasser. So stehen wir da und staunen.

Denn wir sind hier beinahe in eine Schlucht gewandert, rechts und links von uns erheben sich sehr nah recht hohe Berge, besonders jenseits des Sees ist die Bergwand steil und schroff. Der gerade erst gefallene Schnee malt weiße Streifen auf die schwarzen Hänge. Wie dunkle Schatten erheben sich diese Berge über uns.

Unsere Augen gewöhnen sich immer mehr an die Dunkelheit. Langsam erkennen wir die Umrisse der Berge besser. Wir suchen uns alle stille Plätzchen und halten das, was ich an unseren Wanderungen so liebe: unsere arktische Stille. Einmal ist Schluss mit dem Geplapper und Geplauder, dem Rascheln und Fotoklicken, dem Knirschen des Schnees unter den Schuhen. Fünf Minuten nicht reden und nicht bewegen, damit wir wirklich kein Geräusch machen in unseren Windjacken, und auch kein Fotografieren, so dass wir alle wirklich einmal nur schauen und hören und nur die Umwelt hören und nicht uns.

Das Schöne an diesen Wintertouren ist, dass wir hier ganz anders hören. Es fühlt sich an, als würden unsere Ohren in die Dunkelheit hinein tasten, als würden sie den Augen helfen wollen, die Umgebung zu erfassen, ein Bild zu bekommen von der Landschaft, die uns umgibt.

Und so erkennt man irgendwann, wie sich die schwarz-weißen Berge in dem See spiegeln, wie sie vor uns auf dem Kopf stehen, und sogar den Mond sehen wir darin. Wir hören das Rauschen des Schmelzwasserflusses, das immer wieder etwas lauter und dann etwas leiser wird, auch ein dumpfes Gurgeln mischt sich dazwischen, das vom Stürzen und Wirbeln des Wassers in und durch Gumpen stammen muss.

Wir riechen schließlich auch die feuchten Heide- und Beerenweiden und so wächst in uns eine immer bessere Vorstellung dessen, was uns umgibt. Frieden und Freude macht sich in uns breit, es ist immer dasselbe mit diesen Stilleminuten, alles ist hinterher anders, weil wir ein Erlebnis geteilt haben, das eigentlich ziemlich intim ist, einmal eben nichts zu sagen, jeder für sich und doch alle zusammen – auch diese Stille ist eine Teamarbeit, nur ein Einzelner kann sie ja schon kaputtmachen, hier müssen wirklich alle dabei sein.

Geradezu meisterhalt funktioniert das hier, die lustige Gruppe kann genau im richtigen Moment absolute Stille halten, und verlangt sogar noch eine Schweige-Verlängerung.
Als wir schließlich weitergehen, finden wir tatsächlich Preisel- und Wacholderbeeren und auch das Heidekraut. Auf Felsen entdecken wir bunte Flechten.

Die Gäste sind überrascht und erstaunt, so öd und karg erschien dieses enge, dunkle Tal zu Anfang, und nun haben wir so viel darin entdeckt, mit allen unseren Sinnen. Das Dunkel war gar nicht so dunkel und bot uns ungeahnte Chancen, auch einmal auf ganz andere Weise zu sehen.

Auf ein neues Jahr, in dem es nie zu dunkel werden wird für uns – und wenn doch, auf dass wir Neues darin entdecken!

Bis in zwei Wochen, im Jahr 2023!

Eure
Birgit Lutz

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Im Zappendusteren geht man hier also nachmittags um Drei an Land, gleitet mit dem Boot langsam und ruhig über glänzendes Wasser ins Schwarze hinein und steigt an einem Strand aus, an dem die Kiesel im Mondlicht glänzen. Das allein muss man einfach mal erlebt haben.

Ich rate den Gästen immer, ihre Stirnlampen erst gar nicht einzuschalten, außer, wenn man wirklich nichts mehr sieht. Und so tapsen wir also im Dunklen den Berg hinauf, erst über Wiesenmatten, dann entlang eines Zauns am Rand eines Birkenwäldchens. Wir hören einen gewaltigen Fluss rauschen, aber wir sehen ihn nicht. Deswegen schalte ich dann also doch einmal meine große Lampe an, und im fahlen Leuchtenlicht sehen wir weiß schäumende Wassermassen, die sich neben uns die Felsen hinab gurgeln.

Wir gehen weiter und kommen bald auf eine Ebene, in der ein See daliegt, für dessen Daliegen man eigentlich gar keine Worte hat. Es ist absolut windstill hier, keine Welle, kein Kräuseln ist auf dem Wasser zu erkennen. Wir springen hinunter an sein Ufer, eine letzte Stufe geht von der Wiese auf nass knirschende Steine, ein Stückchen weiter gehen wir über hohl klingendes Eis, das unter unseren Schritten knackend zerbricht. Der See hat Niedrigwasser. So stehen wir da und staunen.

Denn wir sind hier beinahe in eine Schlucht gewandert, rechts und links von uns erheben sich sehr nah recht hohe Berge, besonders jenseits des Sees ist die Bergwand steil und schroff. Der gerade erst gefallene Schnee malt weiße Streifen auf die schwarzen Hänge. Wie dunkle Schatten erheben sich diese Berge über uns.

Unsere Augen gewöhnen sich immer mehr an die Dunkelheit. Langsam erkennen wir die Umrisse der Berge besser. Wir suchen uns alle stille Plätzchen und halten das, was ich an unseren Wanderungen so liebe: unsere arktische Stille. Einmal ist Schluss mit dem Geplapper und Geplauder, dem Rascheln und Fotoklicken, dem Knirschen des Schnees unter den Schuhen. Fünf Minuten nicht reden und nicht bewegen, damit wir wirklich kein Geräusch machen in unseren Windjacken, und auch kein Fotografieren, so dass wir alle wirklich einmal nur schauen und hören und nur die Umwelt hören und nicht uns.

Das Schöne an diesen Wintertouren ist, dass wir hier ganz anders hören. Es fühlt sich an, als würden unsere Ohren in die Dunkelheit hinein tasten, als würden sie den Augen helfen wollen, die Umgebung zu erfassen, ein Bild zu bekommen von der Landschaft, die uns umgibt.

Und so erkennt man irgendwann, wie sich die schwarz-weißen Berge in dem See spiegeln, wie sie vor uns auf dem Kopf stehen, und sogar den Mond sehen wir darin. Wir hören das Rauschen des Schmelzwasserflusses, das immer wieder etwas lauter und dann etwas leiser wird, auch ein dumpfes Gurgeln mischt sich dazwischen, das vom Stürzen und Wirbeln des Wassers in und durch Gumpen stammen muss.

Wir riechen schließlich auch die feuchten Heide- und Beerenweiden und so wächst in uns eine immer bessere Vorstellung dessen, was uns umgibt. Frieden und Freude macht sich in uns breit, es ist immer dasselbe mit diesen Stilleminuten, alles ist hinterher anders, weil wir ein Erlebnis geteilt haben, das eigentlich ziemlich intim ist, einmal eben nichts zu sagen, jeder für sich und doch alle zusammen – auch diese Stille ist eine Teamarbeit, nur ein Einzelner kann sie ja schon kaputtmachen, hier müssen wirklich alle dabei sein.

Geradezu meisterhalt funktioniert das hier, die lustige Gruppe kann genau im richtigen Moment absolute Stille halten, und verlangt sogar noch eine Schweige-Verlängerung.
Als wir schließlich weitergehen, finden wir tatsächlich Preisel- und Wacholderbeeren und auch das Heidekraut. Auf Felsen entdecken wir bunte Flechten.

Die Gäste sind überrascht und erstaunt, so öd und karg erschien dieses enge, dunkle Tal zu Anfang, und nun haben wir so viel darin entdeckt, mit allen unseren Sinnen. Das Dunkel war gar nicht so dunkel und bot uns ungeahnte Chancen, auch einmal auf ganz andere Weise zu sehen.

Auf ein neues Jahr, in dem es nie zu dunkel werden wird für uns – und wenn doch, auf dass wir Neues darin entdecken!

Bis in zwei Wochen, im Jahr 2023!

Eure
Birgit Lutz