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Birgit Lutz

In ihrer Polarkolumne, die ab 2021 immer freitags auf unserer Homepage neu erscheint, schreibt die Expeditionsleiterin und Autorin Birgit Lutz über alle Themenfelder der Polarregionen - von großen Erlebnissen und kleinen Momenten auf eigenen Reisen über aktuelle Entwicklungen in Arktis und Antarktis bis hin zu praktischen Informationen für Ihre Reisevorbereitung oder Empfehlungen zur Polarliteratur.

Notizen aus dem Eis 109 – Arktischer Mohn

Der weiße und der gelbe Mohn

Frühling wird’s, die ersten Blumen blühen – Anlass genug, sich mal den schönen Arktischen Mohn genauer anzuschauen.

Eines jener Wunder der Arktis sind die Blumen, die es schaffen, in den widrigen arktischen Bedingungen mit einer so wahnsinnig kurzen Vegetationszeit nicht nur zu überleben, sondern richtig zu gedeihen. Man blickt vom Schiff auf karg wirkende Berge; wie windverwehte Wüstenhügel sehen sie manchmal aus, vom Regen nass gepeitscht, so dass manch Gast ungläubig fragt, warum wir denn dort an Land gehen wollen. Doch nähert man sich dem Land an, betritt man sein Ufer und blickt umher, so erkennt man plötzlich: Das ist ja gar nicht karg. Da wächst ja allerlei, und sogar richtig Schönes. Selbst wer noch nie einen Sinn für Blühendes hatte, geht hier so manches Mal auf die Knie, um die kleinen tapferen Wesen zu fotografieren und hat fortan einen besseren Blick für kleine Wunder der Natur. Das können diese Pflanzen, einfach so.

Eines jener floralen Wunderwesen ist also der Arktische Mohn. Der Arktische Mohn wird von Spitzbergen als seine „Nationalblume“ vereinnahmt, weswegen er dann manchmal auch Spitzbergenmohn heißt. Aber der Papaver radicatum, wie er ganz neutral heißt, gedeiht bei Weitem nicht nur in Spitzbergen, sondern zirkumpolar in allen arktischen Klimazonen, von Grönland über Island, Spitzbergen und Nordnorwegen, Russland und Alaska bis nach Kanada. Der arktische Mohn ist dabei eine der Blumen, die es am Weitesten nach Norden überhaupt schaffen, sie wohnt auch noch in den allerallernördlichsten Bereichen dieser Gebiete.

Das gelingt dem Mohn, weil er, wie alle Pflanzen oder Tiere extremer Gegenden, eine ideale Überlebensstrategie entwickelt hat: Der Arktische Mohn bildet nämlich Blüten aus, die auf Sonnenfang gehen; die Blätter seiner Blüten sind so geformt, dass sie die Sonnenstrahlen nicht nur einfangen, sondern auch noch auf die Fruchtknoten in der Blüte reflektieren können. Um diesen Fang noch zu maximieren, dreht sich das Köpfchen des Mohns mit dem Sonnenstand und lässt die Sonnenstrahlen dadurch immer in einem idealen Winkel in seine Blüte einfallen. Durch diesen Clou und dazu noch eine feine Behaarung und den Wuchs aus einer recht dichten, krautigen Grundpflanze heraus gelingt es dem Papaver, ein kleines Mikroklima für sich selbst zu erschaffen und die Temperatur anzuheben.

Das Resultat: Die Samen des Mohns werden sehr schnell reif, was im kurzen arktischen Sommer auch dringend nötig ist. Genial, oder nicht? Verteilt werden die Samen dann mit dem Wind.

Der Arktische Mohn ist wunderschön anzusehen, wenn man ihn erspäht. Wohl auch deswegen, weil er so gar nicht dort hinzupassen scheint, wo er wächst: nämlich bevorzugt auf kieseligem Gebrösel, das so gar nicht fruchtbar aussieht. Dort aber gerne auch in Senken, in denen die Blumen wenigstens ein bisschen Windschutz finden.

Weiß und in einem hellen grüngelb blüht der Arktische Mohn, den schönsten habe ich in Franz Joseph Land gesehen. Noch strahlender, in einem beinah lichten Neongrün leuchten die Blumen dort auf den Inseln.

Genauso wie alle anderen Blümelein darf man natürlich auch den Spitzbergenmohn nicht pflücken. Nicht in Spitzbergen und auch nicht in Franz Joseph Land. Und da muss ich doch berichten, was mir einmal widerfahren ist: Es war auf meiner allerersten Nordpolreise, 2007. Wir waren in Franz Joseph Land an Land gegangen und ich war wie die anderen hin und weg von einem wahren Blütenteppich aus diesem so völlig überraschend leuchtenden, so zart aussehenden und tapfer gegen den Wind nickenden Arktischen Mohn. Bezaubernd.
Wir bewunderten alles ausgiebig und kehrten irgendwann auf den Eisbrecher zurück.

Beim Abendessen staunte ich nicht schlecht: Ein Mitreisender hatte mir in einer Filmdose (das waren einst die Behälter, in denen Kamerafilme aufbewahrt wurden) ein wunderschönes kleines Sträußchen Arktischen Mohns auf meinen Platz gestellt. Wie in einer Blumenvase.

Ich fiel beinahe um.

Zehn der kleinen Blümchen standen da und wackelten missbilligend mit ihren Köpfchen, als ich erst einmal entsetzt aufschrie, wer denn auf diese Idee gekommen war. Der Missetäter meldete sich nicht, und ich hatte den Salat. Denn beim Verlassen des Speiseraums wurde ich von einem gar bitterböse dreinblickenden russischen Biologen, der extra mit an Bord war, um solche Pflückereien zu verhindern, zum Rapport gebeten. Wer, warum, woher, diese Fragen ballerten auf mich ein. Ich konnte nicht anders als zerknirscht anzugeben, dass ich all das nicht wusste und die Blumen ein Geschenk waren. Der Biologe bellte viele russische Worte, die ich nicht verstand, dann ließ er mich gehen.
Mitsamt den Blumen!

Nun hatte ich also zehn Arktische Mohnblumen. Was tun damit? Damit ich diesem Frevel wenigstens ein bisschen gerecht wurde, legte ich sie liebevoll und sorgfältig zwischen die Seiten eines Buchs und presste sie. Zuhause angekommen ließ ich einen dem Wert dieser Blüten angemessen Rahmen bauen, in den ich zwischen zwei Lagen von Museumsglas vorsichtig einen Teil der Blumen einlegen ließ. In diesem sündteuren Gebilde schweben die Blumen seitdem an meiner Wand und blühen für immer weiter.

Ich rief außerdem im Botanischen Institut in München an und erzählte von meinem unrechtmäßig erworbenen Schatz, was dort sofort einen Begeisterungssturm auslöste: Arktischer Mohn aus Franz Joseph Land, der fehlte noch im Herbarium. Und so zog mein restlicher Mohn also in diese Schatzkammer um, wo er vielleicht immer noch wohnt und manchmal bestaunt wird. Ein bisschen, so hoffe ich, habe ich die brachiale Blumenpflückerei damit doch wieder gut gemacht.

Jedes Mal, wenn ich auf den Arktischen Mohn an meiner Wand schaue, erinnere ich mich an all diese schönen Momente, die ich einst in Russland erleben durfte, an die Schönheit des Franz Joseph Landes und die Menschen, mit denen ich sie sehen konnte.

Bis in zwei Wochen!

Eure
Birgit Lutz

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Eines jener floralen Wunderwesen ist also der Arktische Mohn. Der Arktische Mohn wird von Spitzbergen als seine „Nationalblume“ vereinnahmt, weswegen er dann manchmal auch Spitzbergenmohn heißt. Aber der Papaver radicatum, wie er ganz neutral heißt, gedeiht bei Weitem nicht nur in Spitzbergen, sondern zirkumpolar in allen arktischen Klimazonen, von Grönland über Island, Spitzbergen und Nordnorwegen, Russland und Alaska bis nach Kanada. Der arktische Mohn ist dabei eine der Blumen, die es am Weitesten nach Norden überhaupt schaffen, sie wohnt auch noch in den allerallernördlichsten Bereichen dieser Gebiete.

Das gelingt dem Mohn, weil er, wie alle Pflanzen oder Tiere extremer Gegenden, eine ideale Überlebensstrategie entwickelt hat: Der Arktische Mohn bildet nämlich Blüten aus, die auf Sonnenfang gehen; die Blätter seiner Blüten sind so geformt, dass sie die Sonnenstrahlen nicht nur einfangen, sondern auch noch auf die Fruchtknoten in der Blüte reflektieren können. Um diesen Fang noch zu maximieren, dreht sich das Köpfchen des Mohns mit dem Sonnenstand und lässt die Sonnenstrahlen dadurch immer in einem idealen Winkel in seine Blüte einfallen. Durch diesen Clou und dazu noch eine feine Behaarung und den Wuchs aus einer recht dichten, krautigen Grundpflanze heraus gelingt es dem Papaver, ein kleines Mikroklima für sich selbst zu erschaffen und die Temperatur anzuheben.

Das Resultat: Die Samen des Mohns werden sehr schnell reif, was im kurzen arktischen Sommer auch dringend nötig ist. Genial, oder nicht? Verteilt werden die Samen dann mit dem Wind.

Der Arktische Mohn ist wunderschön anzusehen, wenn man ihn erspäht. Wohl auch deswegen, weil er so gar nicht dort hinzupassen scheint, wo er wächst: nämlich bevorzugt auf kieseligem Gebrösel, das so gar nicht fruchtbar aussieht. Dort aber gerne auch in Senken, in denen die Blumen wenigstens ein bisschen Windschutz finden.

Weiß und in einem hellen grüngelb blüht der Arktische Mohn, den schönsten habe ich in Franz Joseph Land gesehen. Noch strahlender, in einem beinah lichten Neongrün leuchten die Blumen dort auf den Inseln.

Genauso wie alle anderen Blümelein darf man natürlich auch den Spitzbergenmohn nicht pflücken. Nicht in Spitzbergen und auch nicht in Franz Joseph Land. Und da muss ich doch berichten, was mir einmal widerfahren ist: Es war auf meiner allerersten Nordpolreise, 2007. Wir waren in Franz Joseph Land an Land gegangen und ich war wie die anderen hin und weg von einem wahren Blütenteppich aus diesem so völlig überraschend leuchtenden, so zart aussehenden und tapfer gegen den Wind nickenden Arktischen Mohn. Bezaubernd.
Wir bewunderten alles ausgiebig und kehrten irgendwann auf den Eisbrecher zurück.

Beim Abendessen staunte ich nicht schlecht: Ein Mitreisender hatte mir in einer Filmdose (das waren einst die Behälter, in denen Kamerafilme aufbewahrt wurden) ein wunderschönes kleines Sträußchen Arktischen Mohns auf meinen Platz gestellt. Wie in einer Blumenvase.

Ich fiel beinahe um.

Zehn der kleinen Blümchen standen da und wackelten missbilligend mit ihren Köpfchen, als ich erst einmal entsetzt aufschrie, wer denn auf diese Idee gekommen war. Der Missetäter meldete sich nicht, und ich hatte den Salat. Denn beim Verlassen des Speiseraums wurde ich von einem gar bitterböse dreinblickenden russischen Biologen, der extra mit an Bord war, um solche Pflückereien zu verhindern, zum Rapport gebeten. Wer, warum, woher, diese Fragen ballerten auf mich ein. Ich konnte nicht anders als zerknirscht anzugeben, dass ich all das nicht wusste und die Blumen ein Geschenk waren. Der Biologe bellte viele russische Worte, die ich nicht verstand, dann ließ er mich gehen.
Mitsamt den Blumen!

Nun hatte ich also zehn Arktische Mohnblumen. Was tun damit? Damit ich diesem Frevel wenigstens ein bisschen gerecht wurde, legte ich sie liebevoll und sorgfältig zwischen die Seiten eines Buchs und presste sie. Zuhause angekommen ließ ich einen dem Wert dieser Blüten angemessen Rahmen bauen, in den ich zwischen zwei Lagen von Museumsglas vorsichtig einen Teil der Blumen einlegen ließ. In diesem sündteuren Gebilde schweben die Blumen seitdem an meiner Wand und blühen für immer weiter.

Ich rief außerdem im Botanischen Institut in München an und erzählte von meinem unrechtmäßig erworbenen Schatz, was dort sofort einen Begeisterungssturm auslöste: Arktischer Mohn aus Franz Joseph Land, der fehlte noch im Herbarium. Und so zog mein restlicher Mohn also in diese Schatzkammer um, wo er vielleicht immer noch wohnt und manchmal bestaunt wird. Ein bisschen, so hoffe ich, habe ich die brachiale Blumenpflückerei damit doch wieder gut gemacht.

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