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Birgit Lutz

In ihrer Polarkolumne, die ab 2021 immer freitags auf unserer Homepage neu erscheint, schreibt die Expeditionsleiterin und Autorin Birgit Lutz über alle Themenfelder der Polarregionen - von großen Erlebnissen und kleinen Momenten auf eigenen Reisen über aktuelle Entwicklungen in Arktis und Antarktis bis hin zu praktischen Informationen für Ihre Reisevorbereitung oder Empfehlungen zur Polarliteratur.

Notizen aus dem Eis 110 – Wenn der Wind weht

Wenn der Wind weht

Hoch im Norden ist es jetzt noch einmal richtig schön kalt geworden: Spitzbergen meldet Temperaturen rund -30 Grad – und dann kommt noch das Gefühl hinzu.

Kälte kann etwas Wundervolles sein. Die Luft wird trocken und dünn, die Sicht klar, das Licht dadurch ein ganz anderes als in einem feuchten Hochsommer. Von silbern bis golden bis dunkelblau reicht das Farbspektrum in diesen Tagen auf Spitzbergen, wo die Sonne mit jedem Tag nun länger scheint und es immer noch die besondere „blaue Zeit“ gibt, in der die verschneite Landschaft in ein sattes Blau getaucht wird.

Die trockene Kälte der Arktis macht wach und frisch, -25 Grad kriechen nicht so quälend in die Knochen wie eine feuchte Kälte von +5 Grad, wer das nicht glaubt, muss sich nur mal richtig hineintrauen in die tiefere Kälte. Sie schneidet in die Haut und schmerzt, das schon, aber sie ist viel schneller wieder loszubekommen als die feuchtklamme Nebelkälte der deutschen November, das finde ich zumindest. Trockene Kälte schaltet mich ein, sie gibt mir Kraft und Tatendrang.

Aufpassen aber muss man bei tieferen Temperaturen schon: Schneller als man glaubt, kühlt der Körper in ihnen aus, wenn er nicht genügend Bewegung, Kleidung um oder Futter in sich hat. Und mit Wind sieht sowieso noch einmal alles anders aus. Wenn die Temperaturen sinken, werden im Radio bei den Wettervorhersagen deswegen häufig die „gefühlten Temperaturen“ mit angegeben, die häufig deutlich niedriger sind. Einer der wichtigsten Faktoren, die einen Unterschied zwischen der gemessenen und der gefühlten Temperatur bewirken, ist der Windchill-Effekt.

Diesen Effekt kennt jeder: Wenn es nicht nur kalt, sondern auch windig ist, friert man viel schneller. Warum ist das eigentlich so? Das ist ganz einfach: Der Wind trägt fortwährend die wärmere Luftschicht auf der Haut fort, es entsteht mehr Verdunstungskälte. Wichtig dabei: Es ist egal, ob tatsächlich Wind weht, oder ob man den Wind „selbst macht“, also bei Windstille Motorrad oder Ski fährt. Wer bei -10 Grad eine Abfahrt mit 50 km/h fährt, kann bei rund -21 Grad auf den Wangen spüren – die er sich somit sehr schnell erfrieren kann.

Ob es wirklich -21 Grad sind, hängt von mehreren Faktoren ab: Hat der Skifahrer einen Bart, eine Kälteschutzcreme aufgetragen, ist es bereits März und Sonnenschein oder Januar und bedeckter Himmel und wie hoch ist die Luftfeuchtigkeit? All das fließt in das Gefühl auf der Haut mit ein, deswegen sind Windchill-Tabellen immer auch als Anhaltspunkt zu sehen.

In hohen Breiten ist es ganz normal, im Wetterbericht schon die gefühlte Temperatur mit angezeigt zu bekommen, wie hier in diesem Beispiel des Wetterdienstes YR für Longyearben:

Bei meinen Skitouren haben wir meistens nicht nur die Temperatur, sondern auch die Windstärke gemessen und auch daran unsere Wollschichten ausgerichtet – und haben je nach Wind noch besser darauf geachtet, das auch bei den anderen die Gesichtsmaske nicht verrutscht.

Wer sich den Windchill-Faktor selber ausrechnen möchte, kann eine Formel dafür anwenden. Ta ist dabei die Temperatur in Celsius und v die Windgeschwindigkeit in km/h:

WCT = 13,12 + 0,6215 x Ta – 11,37 x v0,16 + 0,3965 x Ta x v0,16

Easy, oder? Falls dafür Lust und Zeit fehlen, gibt es aber auch eine fertige Tabelle mit den Temperaturen und Windgeschwindigkeiten. Diese Tabelle ist wirklich interessant, wenn man des Öfteren in der Kälte ist, denn man sieht, welch enormen Unterschied Wind ausmachen kann, wie hier anhand der Tabelle der Schweizer Meteorologen:

Behält man diese Fakten im Auge und handelt dementsprechend – mit der adäquaten Kleidung, Bewegung, Essen – kann man die Kälte aber in vollen Zügen genießen!

Auf unseren Sommerreisen spielt all das keine große Rolle mehr. Bei +20 Grad in Longyearbyen sind Erfrierungen keine Gefahr mehr.

Bis in zwei Wochen!

Eure
Birgit Lutz

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Die trockene Kälte der Arktis macht wach und frisch, -25 Grad kriechen nicht so quälend in die Knochen wie eine feuchte Kälte von +5 Grad, wer das nicht glaubt, muss sich nur mal richtig hineintrauen in die tiefere Kälte. Sie schneidet in die Haut und schmerzt, das schon, aber sie ist viel schneller wieder loszubekommen als die feuchtklamme Nebelkälte der deutschen November, das finde ich zumindest. Trockene Kälte schaltet mich ein, sie gibt mir Kraft und Tatendrang.

Aufpassen aber muss man bei tieferen Temperaturen schon: Schneller als man glaubt, kühlt der Körper in ihnen aus, wenn er nicht genügend Bewegung, Kleidung um oder Futter in sich hat. Und mit Wind sieht sowieso noch einmal alles anders aus. Wenn die Temperaturen sinken, werden im Radio bei den Wettervorhersagen deswegen häufig die „gefühlten Temperaturen“ mit angegeben, die häufig deutlich niedriger sind. Einer der wichtigsten Faktoren, die einen Unterschied zwischen der gemessenen und der gefühlten Temperatur bewirken, ist der Windchill-Effekt.

Diesen Effekt kennt jeder: Wenn es nicht nur kalt, sondern auch windig ist, friert man viel schneller. Warum ist das eigentlich so? Das ist ganz einfach: Der Wind trägt fortwährend die wärmere Luftschicht auf der Haut fort, es entsteht mehr Verdunstungskälte. Wichtig dabei: Es ist egal, ob tatsächlich Wind weht, oder ob man den Wind „selbst macht“, also bei Windstille Motorrad oder Ski fährt. Wer bei -10 Grad eine Abfahrt mit 50 km/h fährt, kann bei rund -21 Grad auf den Wangen spüren – die er sich somit sehr schnell erfrieren kann.

Ob es wirklich -21 Grad sind, hängt von mehreren Faktoren ab: Hat der Skifahrer einen Bart, eine Kälteschutzcreme aufgetragen, ist es bereits März und Sonnenschein oder Januar und bedeckter Himmel und wie hoch ist die Luftfeuchtigkeit? All das fließt in das Gefühl auf der Haut mit ein, deswegen sind Windchill-Tabellen immer auch als Anhaltspunkt zu sehen.

In hohen Breiten ist es ganz normal, im Wetterbericht schon die gefühlte Temperatur mit angezeigt zu bekommen, wie hier in diesem Beispiel des Wetterdienstes YR für Longyearben:

Bei meinen Skitouren haben wir meistens nicht nur die Temperatur, sondern auch die Windstärke gemessen und auch daran unsere Wollschichten ausgerichtet – und haben je nach Wind noch besser darauf geachtet, das auch bei den anderen die Gesichtsmaske nicht verrutscht.

Wer sich den Windchill-Faktor selber ausrechnen möchte, kann eine Formel dafür anwenden. Ta ist dabei die Temperatur in Celsius und v die Windgeschwindigkeit in km/h:

WCT = 13,12 + 0,6215 x Ta – 11,37 x v0,16 + 0,3965 x Ta x v0,16

Easy, oder? Falls dafür Lust und Zeit fehlen, gibt es aber auch eine fertige Tabelle mit den Temperaturen und Windgeschwindigkeiten. Diese Tabelle ist wirklich interessant, wenn man des Öfteren in der Kälte ist, denn man sieht, welch enormen Unterschied Wind ausmachen kann, wie hier anhand der Tabelle der Schweizer Meteorologen:

Behält man diese Fakten im Auge und handelt dementsprechend – mit der adäquaten Kleidung, Bewegung, Essen – kann man die Kälte aber in vollen Zügen genießen!

Auf unseren Sommerreisen spielt all das keine große Rolle mehr. Bei +20 Grad in Longyearbyen sind Erfrierungen keine Gefahr mehr.

Bis in zwei Wochen!

Eure
Birgit Lutz