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Birgit Lutz

Birgit Lutz

In ihrer Polarkolumne, die ab 2021 immer freitags auf unserer Homepage neu erscheint, schreibt die Expeditionsleiterin und Autorin Birgit Lutz über alle Themenfelder der Polarregionen - von großen Erlebnissen und kleinen Momenten auf eigenen Reisen über aktuelle Entwicklungen in Arktis und Antarktis bis hin zu praktischen Informationen für Ihre Reisevorbereitung oder Empfehlungen zur Polarliteratur.

Notizen aus dem Eis 11 – Die Beluga-Beruhigung

Das Kajak wackelt. Unter meinem gelben Boot schiebt sich ein langer, grün schimmernder Schatten vorbei. Und noch einer und noch einer. Beluga-Wale. Ich halte still in meinem Tanz auf den Wellen. Ein Wal taucht direkt neben meinem Kajak auf. Langsam, ganz langsam schiebt er sich der Länge nach an mir vorbei, sein Kopf hebt sich weit aus dem Wasser. Es scheint, als würde er absichtlich so lang wie möglich an der Oberfläche bleiben, um möglichst viel zu sehen. Und dann schaut er mich an. Ich halte mein Paddel in der Hand und bin wie eingefroren, der Wal schaut mir in die Augen, noch ein bisschen und noch ein bisschen und noch ein bisschen schubbert er an meinem Kajak entlang und dann taucht er wieder ab, sein runder Rücken rollt sich an mir vorbei, am Ende blitzt eine kleine Schwanzflosse aus dem Wasser, dann ist der Wal wieder nur noch ein Schatten, der im dunklen Wasser verschwindet.

Und ich kann wieder atmen. Eine Begegnung, ganz kurz nur. Aber es war eine wirkliche Begegnung, der Beluga hat mich angeschaut und ich ihn, und für einen kurzen Moment – das kann man jetzt sehr pathetisch finden – floss etwas hin und her, zwischen mir und dem Wal. Ich bin einen weiten, sehr weiten Weg gekommen, aus Deutschland bis nach Churchill, den subarktischen 800-Einwohner-Ort an der kanadischen Hudson Bay, aber das ist jetzt alles egal, denn diese eine Sekunde war alles wert. Da ist er, der Wal.

Und von jetzt an ist mein Wal-Bild ein anderes.

Einmal bin nicht ich der Guide, ich bin mit einem Kajak-Guide unterwegs, mit Lindsay, einer jungen Kanadierin. Sie hatte recht, als sie mich am Ufer auf dieses Treffen vorbereitete. Wir müssten die Wale nicht suchen, hatte sie gesagt, denn finden könnten wir sie eh nicht. Es ist, wie immer, wenn es um Tiere geht, umgekehrt. Wenn die Tiere wollen, dann kommen sie. Wenn sie uns finden, dann sehen wir sie.

Die Wahrscheinlichkeit, zu bestimmten Zeiten im Jahr in Churchill Belugas zu sehen, die weißen Wale, ist hoch, es ist also eigentlich kein großes Wunder, was gerade passiert ist, und trotzdem ist es eins. Mehr als 3000 Belugas kommen im Juli und August in die Mündung des Churchill-Flusses, der sich neben dem gleichnamigen Ort in die Hudson Bay wälzt. Weil sie hier den Kapelan finden, einen Leckerbissen-Fisch. Weil die Weibchen hier ihre Jungen bekommen. Und weil die Wale hier ein Spa besuchen können, so drückt es Lindsay aus. Die Belugas werden hier ihre alte Haut los, in der quirligen Gegenströmung, an Steinen, an denen sie sich reiben, eigentlich an allem, woran man sich reiben kann. Also auch an Kajaks. Sie springen in den Wellen und folgen kleinen Motorbooten, deren sprudelige Bugwellen ihnen die Haut vom Körper massieren.

Mein Kajak bekommt einen Stups, einen sanften, und wieder schiebt sich ein Beluga an mir vorbei, schneller diesmal, aber gerade so, dass ich nicht in das eben erste getaute Wasser der Hudson Bay purzle. Der Wal scheint genau zu wissen, wie fest er sich an dem Schwimmobjekt reiben kann. Nichts passiert. Ein Stück entfernt taucht er noch einmal auf, prustet aus seinem Atemloch Wasser in die Luft, als würde er sich für die Rubbelei bedanken.

Es liegt ein Zauber über diesem kleinen Teil der Bay, die eigentlich nicht zauberhaft ist, am Rand stehen verfallene Betonbauten, aber das sehe ich gar nicht mehr. Der Zauber entsteht im Wasser, aus diesen sanften Bewegungen dieser meterlangen Tiere, aus diesem einen Blick. Und dann geschieht das, was auch auf meinen Wandertouren immer geschieht, wenn ich den Gästen die arktische Stille verordne. Alle werden ruhig. Ich werde ruhig. Die Aufregung von eben – sehen wir Belugas? Wo sind sie? Das hektische Umherpaddeln und Suchen – all das weicht einer nahezu vollkommenen, inneren Ruhe. Alles ist Frieden.

Unversehens finden wir uns inmitten hunderter Wale wieder, deren flossenlose Rücken sich ringsum aus dem Wasser erheben, wenn die Tiere Luftholen. Liegt dieser Frieden an diesen gleichmäßigen Bewegungen der Wale? An der Sanftheit dieser Tiere? Ich weiß es nicht, ich spüre nur, dass es so ist. Ich könnte für immer in diesem Kajak inmitten dieser Tiere bleiben und nie mehr an Land gehen. Lindsay sagt, die Wale wirkten wie ein Beruhigungsmittel auf die Menschen. Ein Beruhigungsmittel, ja, das stimmt. In einem wundervollen Sinne.

Wer in seinem Leben schon das Glück hatte, einem Wal, einem Tier, das unter Wasser wohnt und von dem wir immer nur ein kleines Stück zu sehen bekommen, in die Augen zu schauen – oder auch einem anderen Tier in freier Wildbahn – wird verstehen, was ich meine. Mit diesem einen Blick nahm etwas seinen Anfang. Seitdem dieser eine Beluga mich in seine Augen hat schauen lassen, seitdem er voll Interesse in meine geblickt hat, bin ich diesen Tieren auf eine seltsame Art verfallen, bin ihnen verbunden. Der Wal hat auf mich als eine Freundin geblickt. Wie könnte ich je wieder anders zurückblicken?

Finden Sie das seltsam?
Dann müssen Sie mal mitkommen, und einem Wal in die Augen schauen!

Bis nächste Woche,

Ihre
Birgit Lutz

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Und ich kann wieder atmen. Eine Begegnung, ganz kurz nur. Aber es war eine wirkliche Begegnung, der Beluga hat mich angeschaut und ich ihn, und für einen kurzen Moment – das kann man jetzt sehr pathetisch finden – floss etwas hin und her, zwischen mir und dem Wal. Ich bin einen weiten, sehr weiten Weg gekommen, aus Deutschland bis nach Churchill, den subarktischen 800-Einwohner-Ort an der kanadischen Hudson Bay, aber das ist jetzt alles egal, denn diese eine Sekunde war alles wert. Da ist er, der Wal.

Und von jetzt an ist mein Wal-Bild ein anderes.

Einmal bin nicht ich der Guide, ich bin mit einem Kajak-Guide unterwegs, mit Lindsay, einer jungen Kanadierin. Sie hatte recht, als sie mich am Ufer auf dieses Treffen vorbereitete. Wir müssten die Wale nicht suchen, hatte sie gesagt, denn finden könnten wir sie eh nicht. Es ist, wie immer, wenn es um Tiere geht, umgekehrt. Wenn die Tiere wollen, dann kommen sie. Wenn sie uns finden, dann sehen wir sie.

Die Wahrscheinlichkeit, zu bestimmten Zeiten im Jahr in Churchill Belugas zu sehen, die weißen Wale, ist hoch, es ist also eigentlich kein großes Wunder, was gerade passiert ist, und trotzdem ist es eins. Mehr als 3000 Belugas kommen im Juli und August in die Mündung des Churchill-Flusses, der sich neben dem gleichnamigen Ort in die Hudson Bay wälzt. Weil sie hier den Kapelan finden, einen Leckerbissen-Fisch. Weil die Weibchen hier ihre Jungen bekommen. Und weil die Wale hier ein Spa besuchen können, so drückt es Lindsay aus. Die Belugas werden hier ihre alte Haut los, in der quirligen Gegenströmung, an Steinen, an denen sie sich reiben, eigentlich an allem, woran man sich reiben kann. Also auch an Kajaks. Sie springen in den Wellen und folgen kleinen Motorbooten, deren sprudelige Bugwellen ihnen die Haut vom Körper massieren.

Mein Kajak bekommt einen Stups, einen sanften, und wieder schiebt sich ein Beluga an mir vorbei, schneller diesmal, aber gerade so, dass ich nicht in das eben erste getaute Wasser der Hudson Bay purzle. Der Wal scheint genau zu wissen, wie fest er sich an dem Schwimmobjekt reiben kann. Nichts passiert. Ein Stück entfernt taucht er noch einmal auf, prustet aus seinem Atemloch Wasser in die Luft, als würde er sich für die Rubbelei bedanken.

Es liegt ein Zauber über diesem kleinen Teil der Bay, die eigentlich nicht zauberhaft ist, am Rand stehen verfallene Betonbauten, aber das sehe ich gar nicht mehr. Der Zauber entsteht im Wasser, aus diesen sanften Bewegungen dieser meterlangen Tiere, aus diesem einen Blick. Und dann geschieht das, was auch auf meinen Wandertouren immer geschieht, wenn ich den Gästen die arktische Stille verordne. Alle werden ruhig. Ich werde ruhig. Die Aufregung von eben – sehen wir Belugas? Wo sind sie? Das hektische Umherpaddeln und Suchen – all das weicht einer nahezu vollkommenen, inneren Ruhe. Alles ist Frieden.

Unversehens finden wir uns inmitten hunderter Wale wieder, deren flossenlose Rücken sich ringsum aus dem Wasser erheben, wenn die Tiere Luftholen. Liegt dieser Frieden an diesen gleichmäßigen Bewegungen der Wale? An der Sanftheit dieser Tiere? Ich weiß es nicht, ich spüre nur, dass es so ist. Ich könnte für immer in diesem Kajak inmitten dieser Tiere bleiben und nie mehr an Land gehen. Lindsay sagt, die Wale wirkten wie ein Beruhigungsmittel auf die Menschen. Ein Beruhigungsmittel, ja, das stimmt. In einem wundervollen Sinne.

Wer in seinem Leben schon das Glück hatte, einem Wal, einem Tier, das unter Wasser wohnt und von dem wir immer nur ein kleines Stück zu sehen bekommen, in die Augen zu schauen – oder auch einem anderen Tier in freier Wildbahn – wird verstehen, was ich meine. Mit diesem einen Blick nahm etwas seinen Anfang. Seitdem dieser eine Beluga mich in seine Augen hat schauen lassen, seitdem er voll Interesse in meine geblickt hat, bin ich diesen Tieren auf eine seltsame Art verfallen, bin ihnen verbunden. Der Wal hat auf mich als eine Freundin geblickt. Wie könnte ich je wieder anders zurückblicken?

Finden Sie das seltsam?
Dann müssen Sie mal mitkommen, und einem Wal in die Augen schauen!

Bis nächste Woche,

Ihre
Birgit Lutz