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Birgit Lutz

In ihrer Polarkolumne, die ab 2021 immer freitags auf unserer Homepage neu erscheint, schreibt die Expeditionsleiterin und Autorin Birgit Lutz über alle Themenfelder der Polarregionen - von großen Erlebnissen und kleinen Momenten auf eigenen Reisen über aktuelle Entwicklungen in Arktis und Antarktis bis hin zu praktischen Informationen für Ihre Reisevorbereitung oder Empfehlungen zur Polarliteratur.

Notizen aus dem Eis 15 – Die Hexenreise

Was war Deine schönste Reise? Das ist eine Frage, die mir immer wieder gestellt wird. Ich kann sie nicht beantworten. Weil es eine schönste Reise für mich nicht gibt. Auf jeder Reise gibt es Momente, die besonders sind. Begegnungen mit Tieren, Polarlichter, Stürme, die alle zusammenschweißen, schöne Segelstrecken, sonnige Nachmittage vor türkisfarbenen Gletschern, gemeinsame Plastiksammel-Aktionen… es gibt so Vieles, was die Reisen voneinander unterscheidet und auf ihre Weise einzigartig macht.

Aber dann stechen manche Reisen doch heraus. Von einer Begebenheit, die der gesamten Crew für immer in Erinnerung bleiben wird, erzähle ich Euch heute. Und zwar war das die Reise mit den drei Hexen.

Wir waren auf einem Segelschiff in Spitzbergen, zu einer Umrundung. 28 bunt gemischte Gäste, drei Guides. Auf einer der ersten Wanderungen kam eine Frau zu mir und fragte, ob ich im Norden eine besondere Energie spüren würde. Das ist für mich keine ungewöhnliche Frage, und es ist in der Tat so, dass ich das bejahen muss – und damit bin ich nicht alleine. Es ist so, dass ich im Norden, und je weiter nördlich, umso mehr, besonders wach bin. Ich bin „an“. Anders als im Süden. Warum das so ist, weiß ich nicht. Ich kenne gar nicht so wenige Menschen, die behaupten, dass nördlich von 80 Grad eben diese besondere Energie herrsche.

Ich antwortete ihr also wahrheitsgemäß, dass ich das für möglich halte und dass es durchaus einige Menschen gibt, die das auch sagen. Mit dieser dem Energiethema aufgeschlossenen Antwort handelte ich mir eine umfangreiche Rede ein, in deren Verlauf ich erfuhr, dass die Frau zusammen mit zwei Begleiterinnen diese Reise ausschließlich deshalb gebucht hatte. Weil sie an den Ort mit der höchsten Energie reisen wollten, den es gibt auf der Welt. Und während sie anfangs auf ihrer Energiesuche zum Äquator wollten, hätten sie sich im Lauf der Planungen gedacht, der Norden sei doch wahrscheinlicher, denn dort liefen ja alle Magnetlinien und alle Meridiane zusammen. Auf der Suche nach der Reise, die sie also am Weitesten nach Norden bringen würde, seien sie schließlich auf diesem Segelschiff gelandet. Das war der Grund für Ihre Spitzbergenreise.

Es gibt Momente in einem Guide-Leben, da fällt einem nicht mehr so viel ein. Das war so einer.

Bei einer Pause zog diese Frau eine Wünschelrute aus ihrem Rucksack und wünschelte um die sitzende Gruppe herum. Sie wolle die Energie messen, war ihre Erklärung; der Rest der Gäste reagierte verhalten verwirrt, für uns wurden die Pausen anstrengend, da wir ja auch die umherwünschelnde Frau vor Eisbären schützen mussten.

Zurück an Bord kam eine der drei Frauen wieder auf mich zu und verkündete folgendes: Wir würden während der kommenden Reise viele Wale sehen und sehr wenig Bären, wahrscheinlich gar keine. Außerdem würde an einem bestimmten Datum etwas Unvorhergesehenes passieren, das die ganze Reise verändern würde.

Die Frauen verteilten außerdem Broschüren an die anderen Gäste, in denen es um Energie und ein Institut ging, das eine der Frauen leitete. Die beiden anderen waren so etwas wie ihre Jünger, so wirkte es auf uns im Lauf der Reise, und bald schon bekamen die Frauen von den anderen Gästen den Beinahmen „die drei Hexen“.

Am zweiten Morgen stand die Haupthexe schon an Deck. Sie erzählte von einem Zwergwal, der in der Nähe sei, und mit dem sie sich schon den ganzen Morgen unterhalte. Ich klammerte mich morgendlich wortkarg an meinen Kaffee und stieg ins Steuerhaus hinauf, wo mir ebenfalls von dem Zwergwal berichtet wurde, nur hatte hier niemand mit ihm geredet. Die Frau erzählte mir später, sie habe den Wal gerufen und nur wegen ihr sei er so lange in der Nähe geblieben. In der Tat kam einige Tage später die Kabinengenossin der Frau auf uns zu (die nicht zu ihren Jüngern gehörte) und fragte, ob es eine Möglichkeit gäbe, die Kabine zu wechseln. Weil die Frau jeden Morgen im Bett nach Walen rufen würde. Mit einem eigentümlichen Wal-Gesang, der der Mitreisenden den Schlaf und sämtliche Nerven raubte.

Insgesamt also gestaltete sich diese Szenerie so interessant wie bizarr, und die drei Frauen – die durchaus nicht unsympathisch waren – saßen schon bald immer alleine an ihrem Tisch.

Was geschah nun auf dieser Reise? Tatsächlich wird die Geschichte dadurch erst erzählenswert.

Wir sahen auf dieser Reise so viele Wale wie nie vorher. Eine Schule von etwa 100 Belugas. Eine weitere Schule, genau so groß, die nicht wie üblich, an uns vorbeizog, sondern eine ganze Weile bei uns blieb. Die Wale tauchten an unserer Ankerkette auf und ab und umkreisten geräuschvoll unser Schiff – wir konnten kaum glauben, was passierte. Die Belugas blieben sicher eine Viertelstunde bei uns. Ein solches Verhalten habe ich zuvor und danach tatsächlich noch nie erlebt von Belugas.

Im Süden Spitzbergens, südöstlich des Südkapp, gerieten wir zwischen Buckel- und Finnwale, die wir nicht zählen konnten, es müssen mehr als 200 gewesen sein, und dazwischen noch Delfine. Das gleiche passierte uns etwas westlich von Hopen. Wir sahen eine ungewöhnlich hohe Anzahl von Delfinen, als wir westlich von Spitzbergen nach Norden segelten. Und wir sahen in 15 Tagen vier Eisbären – einer davon, wie er erst an einem Walrosskadaver fraß und dann ins Wasser ging und auf uns in unseren Booten zuschwamm.

Und was geschah an dem Datum, an dem sich unsere Reise so verändern sollte?

An diesem Tag zog ein Eisfeld in die Hinlopenstraße und versperrte unsere Durchfahrt. Es war klar, dass wir diese Eisbarriere nicht würden durchdringen können – für Ende August ist das einigermaßen ungewöhnlich. Wir mussten umdrehen. Wir segelten den ganzen Westen Spitzbergens entlang bis in die Nordwest-Ecke. Auch auf diesem Weg sahen wir wieder diese unglaubliche Menge an Walen am Südkapp. Als uns klar wurde, dass wir umdrehen mussten, schaute einer der Crew auf den Kalender und sagte: „hey, ist heute nicht der Tag, von dem die Hexen gesagt haben, es würde was passieren?“ – und dann schauten wir in den Kalender und dann sagte erstmal niemand mehr etwas.

Die drei Hexen sagten, sie hätten all die Wale gerufen, was ihnen einen Disput mit dem Kapitän eintrug, der seine Leistung, das Schiff mitten in den Weg von Belugas hineinzuparken, ohne sie zu verscheuchen, schmählich ignoriert sah. Auch die Finn- und Buckelwale gingen demnach auf das Konto der Hexen, und der schwimmende Eisbär sei auch nur deswegen von seiner eindeutigen Beuteabsicht abgewichen, weil die Haupthexe Kontakt mit ihm aufgenommen hatte.

Das war die Erklärung der Hexen.
Ich habe keine, außer der Feststellung, dass Natur einfach etwas Wunderbares ist.
Und dass dies eine dieser Reisen ist, die sicher niemand von der Crew je vergessen wird.

Bis nächste Woche!

Ihre

Birgit Lutz

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Aber dann stechen manche Reisen doch heraus. Von einer Begebenheit, die der gesamten Crew für immer in Erinnerung bleiben wird, erzähle ich Euch heute. Und zwar war das die Reise mit den drei Hexen.

Wir waren auf einem Segelschiff in Spitzbergen, zu einer Umrundung. 28 bunt gemischte Gäste, drei Guides. Auf einer der ersten Wanderungen kam eine Frau zu mir und fragte, ob ich im Norden eine besondere Energie spüren würde. Das ist für mich keine ungewöhnliche Frage, und es ist in der Tat so, dass ich das bejahen muss – und damit bin ich nicht alleine. Es ist so, dass ich im Norden, und je weiter nördlich, umso mehr, besonders wach bin. Ich bin „an“. Anders als im Süden. Warum das so ist, weiß ich nicht. Ich kenne gar nicht so wenige Menschen, die behaupten, dass nördlich von 80 Grad eben diese besondere Energie herrsche.

Ich antwortete ihr also wahrheitsgemäß, dass ich das für möglich halte und dass es durchaus einige Menschen gibt, die das auch sagen. Mit dieser dem Energiethema aufgeschlossenen Antwort handelte ich mir eine umfangreiche Rede ein, in deren Verlauf ich erfuhr, dass die Frau zusammen mit zwei Begleiterinnen diese Reise ausschließlich deshalb gebucht hatte. Weil sie an den Ort mit der höchsten Energie reisen wollten, den es gibt auf der Welt. Und während sie anfangs auf ihrer Energiesuche zum Äquator wollten, hätten sie sich im Lauf der Planungen gedacht, der Norden sei doch wahrscheinlicher, denn dort liefen ja alle Magnetlinien und alle Meridiane zusammen. Auf der Suche nach der Reise, die sie also am Weitesten nach Norden bringen würde, seien sie schließlich auf diesem Segelschiff gelandet. Das war der Grund für Ihre Spitzbergenreise.

Es gibt Momente in einem Guide-Leben, da fällt einem nicht mehr so viel ein. Das war so einer.

Bei einer Pause zog diese Frau eine Wünschelrute aus ihrem Rucksack und wünschelte um die sitzende Gruppe herum. Sie wolle die Energie messen, war ihre Erklärung; der Rest der Gäste reagierte verhalten verwirrt, für uns wurden die Pausen anstrengend, da wir ja auch die umherwünschelnde Frau vor Eisbären schützen mussten.

Zurück an Bord kam eine der drei Frauen wieder auf mich zu und verkündete folgendes: Wir würden während der kommenden Reise viele Wale sehen und sehr wenig Bären, wahrscheinlich gar keine. Außerdem würde an einem bestimmten Datum etwas Unvorhergesehenes passieren, das die ganze Reise verändern würde.

Die Frauen verteilten außerdem Broschüren an die anderen Gäste, in denen es um Energie und ein Institut ging, das eine der Frauen leitete. Die beiden anderen waren so etwas wie ihre Jünger, so wirkte es auf uns im Lauf der Reise, und bald schon bekamen die Frauen von den anderen Gästen den Beinahmen „die drei Hexen“.

Am zweiten Morgen stand die Haupthexe schon an Deck. Sie erzählte von einem Zwergwal, der in der Nähe sei, und mit dem sie sich schon den ganzen Morgen unterhalte. Ich klammerte mich morgendlich wortkarg an meinen Kaffee und stieg ins Steuerhaus hinauf, wo mir ebenfalls von dem Zwergwal berichtet wurde, nur hatte hier niemand mit ihm geredet. Die Frau erzählte mir später, sie habe den Wal gerufen und nur wegen ihr sei er so lange in der Nähe geblieben. In der Tat kam einige Tage später die Kabinengenossin der Frau auf uns zu (die nicht zu ihren Jüngern gehörte) und fragte, ob es eine Möglichkeit gäbe, die Kabine zu wechseln. Weil die Frau jeden Morgen im Bett nach Walen rufen würde. Mit einem eigentümlichen Wal-Gesang, der der Mitreisenden den Schlaf und sämtliche Nerven raubte.

Insgesamt also gestaltete sich diese Szenerie so interessant wie bizarr, und die drei Frauen – die durchaus nicht unsympathisch waren – saßen schon bald immer alleine an ihrem Tisch.

Was geschah nun auf dieser Reise? Tatsächlich wird die Geschichte dadurch erst erzählenswert.

Wir sahen auf dieser Reise so viele Wale wie nie vorher. Eine Schule von etwa 100 Belugas. Eine weitere Schule, genau so groß, die nicht wie üblich, an uns vorbeizog, sondern eine ganze Weile bei uns blieb. Die Wale tauchten an unserer Ankerkette auf und ab und umkreisten geräuschvoll unser Schiff – wir konnten kaum glauben, was passierte. Die Belugas blieben sicher eine Viertelstunde bei uns. Ein solches Verhalten habe ich zuvor und danach tatsächlich noch nie erlebt von Belugas.

Im Süden Spitzbergens, südöstlich des Südkapp, gerieten wir zwischen Buckel- und Finnwale, die wir nicht zählen konnten, es müssen mehr als 200 gewesen sein, und dazwischen noch Delfine. Das gleiche passierte uns etwas westlich von Hopen. Wir sahen eine ungewöhnlich hohe Anzahl von Delfinen, als wir westlich von Spitzbergen nach Norden segelten. Und wir sahen in 15 Tagen vier Eisbären – einer davon, wie er erst an einem Walrosskadaver fraß und dann ins Wasser ging und auf uns in unseren Booten zuschwamm.

Und was geschah an dem Datum, an dem sich unsere Reise so verändern sollte?

An diesem Tag zog ein Eisfeld in die Hinlopenstraße und versperrte unsere Durchfahrt. Es war klar, dass wir diese Eisbarriere nicht würden durchdringen können – für Ende August ist das einigermaßen ungewöhnlich. Wir mussten umdrehen. Wir segelten den ganzen Westen Spitzbergens entlang bis in die Nordwest-Ecke. Auch auf diesem Weg sahen wir wieder diese unglaubliche Menge an Walen am Südkapp. Als uns klar wurde, dass wir umdrehen mussten, schaute einer der Crew auf den Kalender und sagte: „hey, ist heute nicht der Tag, von dem die Hexen gesagt haben, es würde was passieren?“ – und dann schauten wir in den Kalender und dann sagte erstmal niemand mehr etwas.

Die drei Hexen sagten, sie hätten all die Wale gerufen, was ihnen einen Disput mit dem Kapitän eintrug, der seine Leistung, das Schiff mitten in den Weg von Belugas hineinzuparken, ohne sie zu verscheuchen, schmählich ignoriert sah. Auch die Finn- und Buckelwale gingen demnach auf das Konto der Hexen, und der schwimmende Eisbär sei auch nur deswegen von seiner eindeutigen Beuteabsicht abgewichen, weil die Haupthexe Kontakt mit ihm aufgenommen hatte.

Das war die Erklärung der Hexen.
Ich habe keine, außer der Feststellung, dass Natur einfach etwas Wunderbares ist.
Und dass dies eine dieser Reisen ist, die sicher niemand von der Crew je vergessen wird.

Bis nächste Woche!

Ihre

Birgit Lutz