Die letzte Saison, in der ich einige Reisen nach Spitzbergen gemacht habe (2019), habe ich scherzhaft irgendwann „die Saison der Füchse“ genannt. Weil wir ständig Polarfüchsen begegnet sind, einzelnen schnell wieder verschwindenden und ganze Familien, die vor ihren Fuchsbauten lustig vor sich hin spielten, was wir lang und länger beobachten konnten.
Kleine Fuchskinder üben in etwa so eine magische Anziehungskraft auf Menschen aus wie Katzenbabys – man kann nicht anders als sie unfassbar herzig finden, und freiwillig weg gehen kann man von diesen Tierkindern auch nicht. Eine Wanderung, auf der man schon zu Beginn einen Fuchsbau mit fünf jungen Füchsen findet, wird keine Wanderung, so viel steht fest.
Sicher war diese Häufung von Fuchs-Begegnungen Zufall, ein sehr schöner Zufall dazu. Wie viele Polarfüchse es in Spitzbergen und überhaupt in der Arktis gibt, weiß man gar nicht – laut Schätzungen sind es Hunderttausende. Und das, obwohl auch die Füchse sehr intensiv gejagt wurden, wegen ihres schönen, warmen, weißen Winterfells. Diese Jagd ist in Spitzbergen einigen Trappern auch heute erlaubt, die die Tiere auch immer noch mit Schlagfallen erlegen, um das Fell nicht zu beschädigen.
Begegnungen mit Füchsen sind immer etwas Besonderes. An einer Landestelle waren wir 2019 gerade angelandet und losgelaufen, da stand auf einmal auf einem Felsvorsprung direkt vor uns, als Silhouette im Abendlicht, ein Fuchs. Er schaute uns an und bewegte sich nicht. In einem Bogen gingen wir weiter auf ihn zu, und hinter dem Felsvorsprung tauchte plötzlich ein kleiner Fuchs auf. Und noch einer. Und ein dritter kam herbeigesprungen, auf den zweiten drauf. Die Fuchsmutter blieb erhöht auf dem Felsen stehen, als wollte sie ihre Jungen überwachen.
Und so standen 25 Menschen vor dieser kleinen, felsumkränzten Tundra-Fläche und sahen den Jungen beim Spielen zu. Die Jungen kamen dann auch ganz vorwitzig näher und näher an uns heran – aber da wir uns wenig bewegten und vermutlich auch nicht essbar genug aussahen, verloren sie relativ schnell das Interesse an uns. Das Balgen mit den Geschwistern war ihnen wichtiger. Wir waren still und schauten, zu hören war nur das Klacken der Kameras.
Immer wieder sind Gäste erstaunt, wie klein Polarfüchse sind – sie sind gerade mal 60 cm groß und nur 2,5 bis 5 Kilo schwer – also ähnlich wie eine Katze. Größer wirken sie nur durch das dichte Fell. Und das wechseln sie zweimal im Jahr; mit dem Kommen und Gehen des Schnees wird das Fell weiß und wieder braun. Ab und an sieht man auch im Winter einen dunklen Fuchs, den seltenen Blaufuchs, der seine Farbe nicht verändert.
Füchse wird man vor allem immer bei Vogelfelsen antreffen. Dort schwänzeln sie unter den Klippen oder bei Krabbentauchern in den Kolonien herum, um nach Vogeleiern und Küken zu suchen. Davon finden sie im Sommer genügend, und ein schlauer Fuchs legt sich dann gute Vorräte für den Winter an. Denn nur ein einziger Vogel überwintert in Spitzbergen, das Schneehuhn – und Junge gibt es sowieso nicht in dieser Zeit. Die meisten Füchse sterben also in der harten Winterzeit. Wer die übersteht, erreicht ein Fuchsalter von vier bis fünf Jahren, manchmal sogar zehn.
In dieser Zeit bewegen sie sich normalerweise in einem Revier von zehn bis 20 Quadratkilometern, sind also gute Läufer und dauernd unterwegs auf ihrer Nahrungssuche.
Eine Füchsin allerdings hat 2017 alle bisher bekannten Rekorde gebrochen:
Wissenschaftler hatten das Tier am 27. Juli 2017 im Krossfjord gefangen, untersucht und mit einem Sender versehen. Und was dieser Sender dann sendete, darüber staunten die Forscher nicht schlecht: Im darauffolgenden März machte sich die Füchsin nämlich auf eine Reise: Erst in den Norden Spitzbergens, dann bis in den Osten von Nordaustlandet, zwischen Nordaustlandet und Kvitøya auf dem Meereis weiter nach Norden, schließlich nach Westen bis nach Grönland, wo sie sich im Norden der Insel umsah.
Dort schien es ihr aber auch nicht zu gefallen, so dass sie hinüber nach Kanada und bis Ellesmere Island lief. Diese Strecke lief das kleine Tierchen in genau vier Monaten – 4415 Kilometer insgesamt; an manchen Tagen legte die Füchsin 155 Kilometer zurück.
Auf dem Eis scheint sie sich von den Essensresten von Eisbären ernährt zu haben, aber es wird auch vermutet, dass sich die Füchse teils auch Nahrung aus dem Wasser fischen können.
Warum ist die Füchsin so weit gelaufen? Dieses Verhalten scheint gar nicht so selten zu sein, es wird nur vom Menschen verständlicherweise sehr selten beobachtet. Schon Fridtjof Nansen begegnete 1895 auf 85° nördlicher Breite einem Polarfuchs und fragte sich, ob sich das Tier verirrt habe oder absichtlich so weit draußen auf dem Meereis war.
Genetische Untersuchungen zeigen, dass es zwischen den Füchsen verschiedener Gegenden häufige Begegnungen geben muss – die Füchse scheinen sich also tatsächlich nicht zu verirren, sondern immer wieder gezielt in andere Regionen aufzumachen – vielleicht auch, um die Durchmischung der Gene immer wieder sicherzustellen. Vielleicht, weil es in ihrer eigenen Region zu wenig Nahrung gibt. Vor allem dort, wo sich die Polarfüchse hauptsächlich von Lemmingen ernähren, spricht einiges dafür, dass sie sich in Lemming-armen Perioden öfter mal auf Wanderschaft begeben.
Auf jeden Fall sind auch die kleinen Füchse wieder einmal faszinierende Tiere mit enormen Fähigkeiten, sie sind schneller, stärker, überlebensfähiger als wir Menschen – ich habe zumindest noch von keinem Menschen gehört, der eines Tages einfach so loslief und so eine Strecke auf dem Meereis zurück gelegt hat…, oder?
Bis nächste Woche!
Ihre
Birgit Lutz