Rund um unseren Globus gibt es viele extravagante Orte für Ferienhäuser. Einer der ausgefallensten Zweitwohnsitze der Welt dürfte einst die Gjævervilla im Recherchefjord in Spitzbergen sein.
Die Gjævervilla steht am Snatcherpynten im Recherchefjord, der wiederum ein Seitenarm des Bellsunds ist. Villa ist allerdings ein großes Wort, das Gebäude ist eine auf sehr interessante Weise windschief auf der Tundra stehende Hütte, die so aussieht, als würde sie jeden Moment seitlich wegklappen. Für eine Spitzbergenhütte allerdings sieht sie reichlich ungewöhnlich aus.
Die normalen Trapperhütten Spitzbergens sind schuhschachtelartige Behausungen, niedrig, flachdachig, viereckig, aus Holz und Dachpappe. Sie waren so klein, damit möglichst wenig Aufwand betrieben werden musste, um sie zu beheizen. Bei der Gjævervilla scheinen solche Gedanken nicht im Vordergrund gestanden zu haben. Sie hat gleich mehrere geräumige Räume, ist komplett aus Holz gebaut und überdies ist sie, was außerhalb der Siedlungen auf den Inseln völlig einzigartig ist: zweistöckig.
Gebaut hat sie der norwegische Konsul Johannes Gjæver im Jahr 1904. Warum genau, das weiß niemand mehr. Eine reine Jagdhütte war sie nicht, dazu war sie eben zu groß. Vielleicht, so zumindest die Vermutung, wollte er tatsächlich so etwas wie Tourismus hier starten – in dieser Zeit auf Spitzbergen gar nicht mehr ungewöhnlich. Betuchte Menschen waren damals schon zu Kreuzfahrten auf Schiffen unterwegs und erkundeten die Inseln.
Der Snatcherpynten ist – finde ich ¬ eine unterschätzte Landestelle, die wegen des zugegebenermaßen imposanten Recherchebreen oftmals rechts liegen gelassen wird. Dabei gibt es neben der Villa hier noch viel mehr zu sehen. Die Northern Exploration Company, die an vielen Orten Spitzbergens versucht hat, Rohstoffe aller Art abzubauen, hat hier zum Beispiel auch wieder Spuren hinterlassen. Am Strand und unterhalb der Hütte liegen eine ganze Reihe Kipploren verstreut, mit denen wohl irgendwie irgendwann irgendwas abtransportiert hätte werden sollen, was aber nie passiert ist.
Ein bisschen gruselig wird es oberhalb der Hütte: Hier sind einige Gräber aus dem frühen 20. Jahrhundert zu finden, und wie das so ist im Permafrostboden, hat es die Särge mittlerweile wieder nach oben gerüttelt und die Grabstätten sind recht gut einzusehen.
Diese menschlichen Spuren kann man hinter sich lassen, wenn man auf die Moräne hinter der Hütte klettert. Sogleich bietet sich einem von hier ein formidabler Ausblick auf die Frostmusterböden im Fjord, ein Anblick, den man gerne bei arktischer Stille ein bisschen wirken und den Blick immer wieder zum Recherchebreen schweifen lassen kann.
Wer gut zu Fuß ist, kann sich dann noch einem anderen Gletscher annähern, dem Renardbreen: Über die Moräne hinweg führt ein kurzer Marsch hinüber zu diesem Gletscher, den man dann seitlich von oben sehen kann. Zumindest war das vor einiger Zeit noch so, die Dinge ändern sich jetzt ja leider sehr schnell.
Der Snatcherpynten ist einer dieser Orte, an die ich immer wieder gerne zurückkehre, und nicht immer schafft man sowieso eine Landung, weil oft genug hier auch Bärenbesuch ist. Wenn es aber möglich ist, so ist dies ein wunderbar abwechslungsreicher Ort, mit Blick über den weiten Bellsund, mehrere Gletscher im Blick, ein bisschen Geschichte, ein bisschen Grusel und auch noch Geologie – Spitzbergen in a nutshell!
Bis nächste Woche!
Ihre
Birgit Lutz