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Pottwal mit Blas
Foto von Birgit Lutz
Birgit Lutz

Birgit Lutz

In ihrer Polarkolumne, die ab 2021 immer freitags auf unserer Homepage neu erscheint, schreibt die Expeditionsleiterin und Autorin Birgit Lutz über alle Themenfelder der Polarregionen - von großen Erlebnissen und kleinen Momenten auf eigenen Reisen über aktuelle Entwicklungen in Arktis und Antarktis bis hin zu praktischen Informationen für Ihre Reisevorbereitung oder Empfehlungen zur Polarliteratur.

Notizen aus dem Eis 45 – Der Pottwal

Steil stellt sich die Schwanzflosse auf und versinkt senkrecht vor uns in den Wellen – ein tauchender Pottwal macht sich auf den Weg hinunter in die Tiefen der Tiefsee, auf der Suche nach seiner Nahrung. Wir bleiben oben und staunen.

Vor der Küste Nordnorwegens, genauer, etwas nördlich der Insel Andøya kann man ganzjährig Pottwale beobachten, weil hier der Meeresboden eine steile Stufe nach unten macht. Und weil der Pottwal seine Nahrung, die großen Tintenfische, eben in tieferen Tiefen um 1000 Meter findet, findet man den Wal hier. Funde von Tiefseefischen in Pottwalmägen deuten sogar darauf hin, dass der Pottwal mehr als 3000 Meter tief tauchen kann.

Für Walbeobachtungen hat das Vor- und Nachteile. Der Vorteil ist, dass man die Pottwale tatsächlich relativ zuverlässig antrifft. Der Nachteil ist, dass dieser Ort eben auf relativ offener See liegt, und damit sind die Wellen hier höher als in geschützten Fjorden, was einerseits die Sichtbarkeit der Wale etwas beeinträchtigen kann und andererseits auch dazu führen kann, dass man die Wale unfreiwillig füttert.

An ruhigen Tagen allerdings sind Pottwal-Beobachtungen ein Traum. Der Pottwal ist ein Zahnwal, sogar der einzige Zahnwal unter den Großwalen. Gänzlich uncharmant bezieht sich sein Name auf die Topf-ähnliche Form seines Kopfes, wobei dieses imposante Tier wirklich einen angemesseneren Namen verdient gehabt hätte.

Was ist so imposant an ihm? Nun, alles. Pottwalmännchen werden mehr als 20 Meter lang und können mehr als 50 Tonnen wiegen. Sie sind damit – Superlativ! – die größten bezahnten Tiere der Erde, und einzelne Tiere scheinen sogar noch größer zu werden. Es gibt zum Beispiel in einem Museum einen 30 Zentimeter langen Pottwalzahn, der darauf schließen lässt, dass das Tier mehr als 100 Tonnen gewogen haben muss.

Der Kopf des Pottwals macht ein Drittel seiner Körperlänge aus und beherbergt angesichts der Größe des Tiers zwar ein kleines Gehirn mit etwa 10 Kilo, das aber trotzdem das schwerste – Superlativ! – des gesamten Tierreichs ist.

Bekannt sind die Pottwale auch dafür, dass sie sehr laut sind. Das wissen wir Menschen noch nicht lange, die wir unser Dasein ja im Trockenen fristen. Aber unter Wasser kann es ganz schön ungemütlich werden, wenn ein Pottwal loslegt. Bis zu 230dB laute Klicklaute kann ein Pottwal erzeugen, und das macht er, um seine Beute zu betäuben, erschrecken, desorientieren, und selbst auch über Echo-Ortung zu finden und dann sogleich zu verspeisen. Der Pottwal ist damit – Superlativ! – das lauteste Tier, das es gibt.

Bei der Beobachtung sind Pottwale aus der Ferne schon gut zu erkennen, weil sie schief atmen. Was? Der Pottwal hat ein Blasloch, das s-förmig ist und ein bisschen asymmetrisch auf der linken Seite des Kopfes sitzt. Dadurch wird sein Blas in einem ungefähren 45-Grad-Winkel in den Himmel geblasen, also ein bisschen schief. Sehr gut zu unterscheiden von anderen, kerzengeraden Blasen anderer Wale, dem Blauwal zum Beispiel.

Wenn er abtaucht, lässt er seine Schwanzflosse weit aus dem Wasser ragen, was für Beobachter sehr hübsch ist, aber einen ganz praktischen Nutzen hat: Das Gewicht der Schwanzflosse hilft ihm, ihm einen guten Anschub zu geben, senkrecht nach unten zu tauchen.

Das Tauchen des Pottwals ist überhaupt so beeindruckend, dass man es noch ein bisschen besser beschreiben muss: Damit sie so tief abtauchen können, haben Pottwale besondere Rippen, die bei großem Wasserdruck nachgeben. Sie schränken außerdem ihren Stoffwechsel auf ein Minimum ein und durchbluten in tiefen Tiefen nur noch die lebenswichtigen Organe, das Rückenmark, das Herz und das Gehirn, mit einem Herzen, das nur noch halb so häufig schlägt wie an der Oberfläche. Das Blut, dass dieses Herz dann durch die Adern pumpt, hat einen wesentlich höheren Hämoglobinanteil als menschliches Blut, damit der Wal für seine ausdauernden Tauchgänge viel Sauerstoff im Blut und in den Muskeln speichern kann. All das erlaubt ihm schließlich, zwischen 20 und 100 Minuten unter Wasser zu bleiben. Und es handelt sich hier immer noch um ein atmendes Säugetier. Das ist doch wirklich wahnsinnig, oder nicht?

Pottwale sind außerdem auch soziale Tiere. Bevor sie intensiv bejagt wurden, hat es wohl Schulen aus mehreren hundert Tieren gegeben. Heute ist das nicht mehr so, heute findet man noch fünfzehn bis zwanzig Tiere zusammen. Erwachsene Männchen bilden eigene Gruppen, die Weibchen und Jungtiere bleiben zusammen und nehmen auch Wale anderer Arten auf, die sie auch wie Jungtiere behandeln. Wenn sie sich fortpflanzen, stoßen die Männchen wieder zu den Weibchen und bilden dann Harems um sich. Um das Junge, das zwischen 12 und 17 Monaten im Mutterleib ist, kümmert sich dann ausschließlich das Weibchen, ganze zwei Jahre lang werden die 1000-Kilo-Babys gesäugt. Erwachsen übrigens sind die Weibchen mit neun und die Männchen mit 25 Jahren.

In den fatalen Zeiten des industriellen Walfangs der 1960er und 1970er Jahre sind pro Jahr etwa 20.000 Pottwale getötet worden. Das hat diese Art, wie andere Walarten auch, an den Rand des Aussterbens gebracht, und heute ist er immer noch gefährdet. Gejagt wurden sie wegen des Specks, der zu Öl zerkocht werden konnte und auch wegen des flüssigen Walrats, einer Flüssigkeit im Kopf des Pottwals.

Noch viel wertvoller aber ist, was der Wal ab und an so pupst, und damit wären wir beim letzten Superlativ, es gibt wohl kaum einen Kot, der so wertvoll wäre, wie der des Pottwals:
In der Nahrung der Pottwale sind auch viele unverdauliche Teile enthalten, Schnäbel, Hornkiefer und dergleichen. Diese Teile werden im Pottwalmagen in das sogenannte Ambra eingebettet, einer Theorie zufolge ein antibiotischer Wundverschluss bei Verletzungen der Darmwand. Manchmal erbricht der Wal dieses Ambra oder es gelangt eben mit dem Kot nach draußen. Wer also unansehnliche Brocken in Pottwalnähe schwimmen sieht, sollte sich nicht naserümpfend abwenden, sondern unbedingt sofort ein Netz auswerfen und es einsammeln – denn Ambra ist sehr, sehr wertvoll. Es wird heute noch in sehr teuren Parfums verwendet, und wenn man ein paar Bröckelchen davon findet, kann man künftig auf sehr viele Walbeobachtungsreisen gehen.

Alles in allem ein wundervolles Tier, dem die Darstellung als rachelüsterner Moby Dick leider gar nicht gerecht wird!

Bis nächste Woche!

Ihre
Birgit Lutz

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Für Walbeobachtungen hat das Vor- und Nachteile. Der Vorteil ist, dass man die Pottwale tatsächlich relativ zuverlässig antrifft. Der Nachteil ist, dass dieser Ort eben auf relativ offener See liegt, und damit sind die Wellen hier höher als in geschützten Fjorden, was einerseits die Sichtbarkeit der Wale etwas beeinträchtigen kann und andererseits auch dazu führen kann, dass man die Wale unfreiwillig füttert.

An ruhigen Tagen allerdings sind Pottwal-Beobachtungen ein Traum. Der Pottwal ist ein Zahnwal, sogar der einzige Zahnwal unter den Großwalen. Gänzlich uncharmant bezieht sich sein Name auf die Topf-ähnliche Form seines Kopfes, wobei dieses imposante Tier wirklich einen angemesseneren Namen verdient gehabt hätte.

Was ist so imposant an ihm? Nun, alles. Pottwalmännchen werden mehr als 20 Meter lang und können mehr als 50 Tonnen wiegen. Sie sind damit – Superlativ! – die größten bezahnten Tiere der Erde, und einzelne Tiere scheinen sogar noch größer zu werden. Es gibt zum Beispiel in einem Museum einen 30 Zentimeter langen Pottwalzahn, der darauf schließen lässt, dass das Tier mehr als 100 Tonnen gewogen haben muss.

Der Kopf des Pottwals macht ein Drittel seiner Körperlänge aus und beherbergt angesichts der Größe des Tiers zwar ein kleines Gehirn mit etwa 10 Kilo, das aber trotzdem das schwerste – Superlativ! – des gesamten Tierreichs ist.

Bekannt sind die Pottwale auch dafür, dass sie sehr laut sind. Das wissen wir Menschen noch nicht lange, die wir unser Dasein ja im Trockenen fristen. Aber unter Wasser kann es ganz schön ungemütlich werden, wenn ein Pottwal loslegt. Bis zu 230dB laute Klicklaute kann ein Pottwal erzeugen, und das macht er, um seine Beute zu betäuben, erschrecken, desorientieren, und selbst auch über Echo-Ortung zu finden und dann sogleich zu verspeisen. Der Pottwal ist damit – Superlativ! – das lauteste Tier, das es gibt.

Bei der Beobachtung sind Pottwale aus der Ferne schon gut zu erkennen, weil sie schief atmen. Was? Der Pottwal hat ein Blasloch, das s-förmig ist und ein bisschen asymmetrisch auf der linken Seite des Kopfes sitzt. Dadurch wird sein Blas in einem ungefähren 45-Grad-Winkel in den Himmel geblasen, also ein bisschen schief. Sehr gut zu unterscheiden von anderen, kerzengeraden Blasen anderer Wale, dem Blauwal zum Beispiel.

Wenn er abtaucht, lässt er seine Schwanzflosse weit aus dem Wasser ragen, was für Beobachter sehr hübsch ist, aber einen ganz praktischen Nutzen hat: Das Gewicht der Schwanzflosse hilft ihm, ihm einen guten Anschub zu geben, senkrecht nach unten zu tauchen.

Das Tauchen des Pottwals ist überhaupt so beeindruckend, dass man es noch ein bisschen besser beschreiben muss: Damit sie so tief abtauchen können, haben Pottwale besondere Rippen, die bei großem Wasserdruck nachgeben. Sie schränken außerdem ihren Stoffwechsel auf ein Minimum ein und durchbluten in tiefen Tiefen nur noch die lebenswichtigen Organe, das Rückenmark, das Herz und das Gehirn, mit einem Herzen, das nur noch halb so häufig schlägt wie an der Oberfläche. Das Blut, dass dieses Herz dann durch die Adern pumpt, hat einen wesentlich höheren Hämoglobinanteil als menschliches Blut, damit der Wal für seine ausdauernden Tauchgänge viel Sauerstoff im Blut und in den Muskeln speichern kann. All das erlaubt ihm schließlich, zwischen 20 und 100 Minuten unter Wasser zu bleiben. Und es handelt sich hier immer noch um ein atmendes Säugetier. Das ist doch wirklich wahnsinnig, oder nicht?

Pottwale sind außerdem auch soziale Tiere. Bevor sie intensiv bejagt wurden, hat es wohl Schulen aus mehreren hundert Tieren gegeben. Heute ist das nicht mehr so, heute findet man noch fünfzehn bis zwanzig Tiere zusammen. Erwachsene Männchen bilden eigene Gruppen, die Weibchen und Jungtiere bleiben zusammen und nehmen auch Wale anderer Arten auf, die sie auch wie Jungtiere behandeln. Wenn sie sich fortpflanzen, stoßen die Männchen wieder zu den Weibchen und bilden dann Harems um sich. Um das Junge, das zwischen 12 und 17 Monaten im Mutterleib ist, kümmert sich dann ausschließlich das Weibchen, ganze zwei Jahre lang werden die 1000-Kilo-Babys gesäugt. Erwachsen übrigens sind die Weibchen mit neun und die Männchen mit 25 Jahren.

In den fatalen Zeiten des industriellen Walfangs der 1960er und 1970er Jahre sind pro Jahr etwa 20.000 Pottwale getötet worden. Das hat diese Art, wie andere Walarten auch, an den Rand des Aussterbens gebracht, und heute ist er immer noch gefährdet. Gejagt wurden sie wegen des Specks, der zu Öl zerkocht werden konnte und auch wegen des flüssigen Walrats, einer Flüssigkeit im Kopf des Pottwals.

Noch viel wertvoller aber ist, was der Wal ab und an so pupst, und damit wären wir beim letzten Superlativ, es gibt wohl kaum einen Kot, der so wertvoll wäre, wie der des Pottwals:
In der Nahrung der Pottwale sind auch viele unverdauliche Teile enthalten, Schnäbel, Hornkiefer und dergleichen. Diese Teile werden im Pottwalmagen in das sogenannte Ambra eingebettet, einer Theorie zufolge ein antibiotischer Wundverschluss bei Verletzungen der Darmwand. Manchmal erbricht der Wal dieses Ambra oder es gelangt eben mit dem Kot nach draußen. Wer also unansehnliche Brocken in Pottwalnähe schwimmen sieht, sollte sich nicht naserümpfend abwenden, sondern unbedingt sofort ein Netz auswerfen und es einsammeln – denn Ambra ist sehr, sehr wertvoll. Es wird heute noch in sehr teuren Parfums verwendet, und wenn man ein paar Bröckelchen davon findet, kann man künftig auf sehr viele Walbeobachtungsreisen gehen.

Alles in allem ein wundervolles Tier, dem die Darstellung als rachelüsterner Moby Dick leider gar nicht gerecht wird!

Bis nächste Woche!

Ihre
Birgit Lutz

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