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Ein Forschungsteam des Alfred-Wegener-Instituts hat am Grund des südlichen antarktischen Weddellmeeres mehr als 10.000 Nester des Eisfisches Neopagetopsis ionah mit einem Kamerasystem aufgezeichnet. Analyse von Dichte der Fischnester und Gebietsgröße lassen auf etwa 60 Millionen aktiv brütende Fische schließen - die größte jemals beschriebene Fischkolonie weltweit.
Ein Forschungsteam des Alfred-Wegener-Instituts hat am Grund des südlichen antarktischen Weddellmeeres mehr als 10.000 Nester des Eisfisches Neopagetopsis ionah mit einem Kamerasystem aufgezeichnet. Analyse von Dichte der Fischnester und Gebietsgröße lassen auf etwa 60 Millionen aktiv brütende Fische schließen - die größte jemals beschriebene Fischkolonie weltweit.
Birgit Lutz

Birgit Lutz

In ihrer Polarkolumne, die ab 2021 immer freitags auf unserer Homepage neu erscheint, schreibt die Expeditionsleiterin und Autorin Birgit Lutz über alle Themenfelder der Polarregionen - von großen Erlebnissen und kleinen Momenten auf eigenen Reisen über aktuelle Entwicklungen in Arktis und Antarktis bis hin zu praktischen Informationen für Ihre Reisevorbereitung oder Empfehlungen zur Polarliteratur.

Notizen aus dem Eis 54 – Ein Fisch-Kindergarten braucht Schutz

Da wäre man gern dabei gewesen: Vor knapp einem Jahr schleppten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Forschungsschiffs Polarstern im Weddellmeer ein Kamerasystem über den Boden. Auf den Forschungsmonitoren tauchten die Nester von Eisfischen auf. An sich nicht ungewöhnlich. Ungewöhnlich aber war, dass diese Nester immer mehr wurden, und immer enger beieinander lagen. In 535 bis 420 Meter Wassertiefe reihte sich Nest an Nest. Durchschnittlich ein Nest auf drei Quadratmeter war hier zu finden, manchmal sogar zwei Nester auf einem Quadratmeter.

Und die Sichtungen hörten nicht auf. Waren die Forschenden anfänglich wohl nur begeistert, wurden sie im Lauf der Zeit beinahe ungläubig und später jubelten sie sicher: Denn irgendwann war klar, dass sie hier das größte Fischbrutgebiet der ganzen Welt gefunden hatten.

Diese Sensation liegt nahe des Filchner-Schilfeises im Süden des Weddellmeers verborgen, kein besonders zugängliches Gebiet. 60 Millionen Eisfische, das rechneten die Forschenden hoch, nisten in diesem Brutgebiet, das sich auf eine Fläche von etwa 240 Quadratkilometer erstreckt; das ist ungefähr so groß wie die Insel Malta. Seit 1980 ist die Polarstern immer wieder in diesem Gebiet unterwegs – umso faszinierender, dass dieses Brutgebiet bisher unentdeckt geblieben ist, und ein weiterer Beleg dafür, wie wenig wir trotz der vielen Forschung noch über unsere Meere wissen.

Dass es sich um Nester der Eisfische handelt, konnten die Forschenden anhand der Aufnahmen eindeutig feststellen: Die runden, etwa 15 Zentimeter tiefen Nester, die einen Durchmesser von 75 Zentimeter haben, heben sich durch eine runde, zentrale Fläche aus kleinen Steinen gut vom ansonsten schlammigen Meeresboden ab. Nicht alle Nester waren gleich: Da gab es einmal die aktiven Nester, in denen zwischen 1500 und 2500 Eier lagen, und die häufig von einem erwachsenen Eisfisch bewacht wurden. Und dann gab es auch ungenutzte Nester, in deren Nähe nur ein Fisch ohne Eier zu sehen war, oder sogar ein toter Fisch.

Wie kommt es zu diesem enormen Brutgebiet? Dazu haben die Forschenden ozeanographische und biologische Daten gesichtet und festgestellt, dass das Brutgebiet dort liegt, wo warmes Tiefenwasser aus dem Weddellmeer auf den höher gelegenen Schelf strömt – und das mögen die Eisfische anscheinend für ihren Kindergarten.

Noch eine andere Spezies fühlt sich dort sehr wohl, stellten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler fest: Die Weddellrobbe. Zu 90 Prozent tauchten die Robben auf der Suche nach Nahrung im Gebiet der aktiven Fischnester. Das ist auch kein Wunder: Die Biomasse der Eisfischkolonie bemisst vermutlich um die 60.000 Tonnen – jede Menge Futter also!

Was bedeutet so eine Entdeckung nun? Schon lange wird die Einrichtung von Meeresschutzgebieten in der Antarktis diskutiert. Funde wie dieser sind ein weiterer Grund, warum es sinnvoll ist, solche Schutzgebiete, in denen sich die Flora und Fauna ungestört entwickeln kann, einzurichten.
Das Alfred-Wegener-Institut hat einen Vorschlag für ein solches Schutzgebiet erarbeitet, das seit 2016 von der EU und anderen Ländern in der Internationalen Kommission zur Erhaltung der lebenden Meeresschätze der Antarktis vertreten wird. Das Schutzgebiet ist allerdings noch immer nicht verabschiedet.

Mit der Entdeckung des enormen Brutgebietes scheint es noch dringender, diesen Schutzstatus zu erlangen, der verhindern würde, dass in diesem Gebiet Fischerei oder invasive Forschung betrieben würde.

Noch dringender auch deswegen, weil ein natürlicher Schutz dieser Region immer löchriger wird: Bisher war das südliche Weddellmeer aufgrund seiner Meereisbedeckung kaum erreichbar. Kaum jemand ist weit nach Süden vorgedrungen. Das ändert sich aber gerade – und deshalb wird es immer wichtiger, festzulegen, was in diesen Gebieten künftig geschehen wird.

An den Polen wird es immer spannender!

Bis in zwei Wochen!

Eure
Birgit Lutz

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Und die Sichtungen hörten nicht auf. Waren die Forschenden anfänglich wohl nur begeistert, wurden sie im Lauf der Zeit beinahe ungläubig und später jubelten sie sicher: Denn irgendwann war klar, dass sie hier das größte Fischbrutgebiet der ganzen Welt gefunden hatten.

Diese Sensation liegt nahe des Filchner-Schilfeises im Süden des Weddellmeers verborgen, kein besonders zugängliches Gebiet. 60 Millionen Eisfische, das rechneten die Forschenden hoch, nisten in diesem Brutgebiet, das sich auf eine Fläche von etwa 240 Quadratkilometer erstreckt; das ist ungefähr so groß wie die Insel Malta. Seit 1980 ist die Polarstern immer wieder in diesem Gebiet unterwegs – umso faszinierender, dass dieses Brutgebiet bisher unentdeckt geblieben ist, und ein weiterer Beleg dafür, wie wenig wir trotz der vielen Forschung noch über unsere Meere wissen.

Dass es sich um Nester der Eisfische handelt, konnten die Forschenden anhand der Aufnahmen eindeutig feststellen: Die runden, etwa 15 Zentimeter tiefen Nester, die einen Durchmesser von 75 Zentimeter haben, heben sich durch eine runde, zentrale Fläche aus kleinen Steinen gut vom ansonsten schlammigen Meeresboden ab. Nicht alle Nester waren gleich: Da gab es einmal die aktiven Nester, in denen zwischen 1500 und 2500 Eier lagen, und die häufig von einem erwachsenen Eisfisch bewacht wurden. Und dann gab es auch ungenutzte Nester, in deren Nähe nur ein Fisch ohne Eier zu sehen war, oder sogar ein toter Fisch.

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Was bedeutet so eine Entdeckung nun? Schon lange wird die Einrichtung von Meeresschutzgebieten in der Antarktis diskutiert. Funde wie dieser sind ein weiterer Grund, warum es sinnvoll ist, solche Schutzgebiete, in denen sich die Flora und Fauna ungestört entwickeln kann, einzurichten.
Das Alfred-Wegener-Institut hat einen Vorschlag für ein solches Schutzgebiet erarbeitet, das seit 2016 von der EU und anderen Ländern in der Internationalen Kommission zur Erhaltung der lebenden Meeresschätze der Antarktis vertreten wird. Das Schutzgebiet ist allerdings noch immer nicht verabschiedet.

Mit der Entdeckung des enormen Brutgebietes scheint es noch dringender, diesen Schutzstatus zu erlangen, der verhindern würde, dass in diesem Gebiet Fischerei oder invasive Forschung betrieben würde.

Noch dringender auch deswegen, weil ein natürlicher Schutz dieser Region immer löchriger wird: Bisher war das südliche Weddellmeer aufgrund seiner Meereisbedeckung kaum erreichbar. Kaum jemand ist weit nach Süden vorgedrungen. Das ändert sich aber gerade – und deshalb wird es immer wichtiger, festzulegen, was in diesen Gebieten künftig geschehen wird.

An den Polen wird es immer spannender!

Bis in zwei Wochen!

Eure
Birgit Lutz