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Birgit Lutz

In ihrer Polarkolumne, die ab 2021 immer freitags auf unserer Homepage neu erscheint, schreibt die Expeditionsleiterin und Autorin Birgit Lutz über alle Themenfelder der Polarregionen - von großen Erlebnissen und kleinen Momenten auf eigenen Reisen über aktuelle Entwicklungen in Arktis und Antarktis bis hin zu praktischen Informationen für Ihre Reisevorbereitung oder Empfehlungen zur Polarliteratur.

Notizen aus dem Eis 63 – Die Tundra verschwindet

Eine Studie des Alfred-Wegener-Instituts für Polar- und Meeresforschung (AWI) hat jetzt gezeigt, dass die sibirische Tundra bis Mitte des Jahrtausends fast komplett verschwinden könnte

Eine der Besonderheiten der Arktis sind die weiten Tundraflächen, die Regionen, in denen nur niedrige Büsche oder dünne Bäume wachsen, mit einer einzigartigen Fauna und Flora. Im Sommer blüht dort Heidekraut, im Winter wehen bissige Stürme über die Ebenen.
Aber alles ist nun im Begriff, sich zu verändern.

Die Erderhitzung lässt die Temperaturen in der Arktis rasant steigen, schneller als an den meisten anderen Orten der Welt, polare Verstärkung nennt man diesen Effekt. Mit den wärmeren Temperaturen kommen andere Tiere und Pflanzen, und so verschiebt sich jetzt auch die Baumgrenze sibirischer Lärchenwälder immer weiter nach Norden. Forschende des Alfred-Wegener-Instituts haben die künftige Ausbreitung der Wälder auf Kosten der Tundra nun im Computer simuliert. Das Ergebnis: Nur bei konsequentem Klimaschutz bleiben bis Mitte des Jahrtausends etwa 30 Prozent der sibirischen Tundrafläche übrig. In allen ungünstigeren Entwicklungs-Szenarien droht stattdessen der Totalverlust eines einzigartigen Naturraums.

Die durchschnittliche Lufttemperatur ist im hohen Norden in den letzten 50 Jahren um mehr als zwei Grad Celsius angestiegen – und damit viel stärker als in anderen Regionen der Welt. Dieser Trend wird sich fortsetzen, wenn nicht gegengesteuert wird. Bei ambitionierten Maßnahmen zur Treibhausgasreduktion könnte die weitere arktische Erwärmung bis zum Ende des Jahrhunderts auf knapp unter zwei Grad begrenzt werden. Bleiben die Emissionen sehr hoch, droht laut Modellprognosen bis 2100 eine dramatische Erhöhung der durchschnittlichen Sommertemperaturen in der Arktis um 14 Grad Celsius über dem heutigen Wert. 14 Grad! Das wäre das Ende dieses Lebensraums, das Ende vieler Pflanzen und Tiere, die es nur dort gegeben hat. Die Arktis mit ihren unendlich scheinenden Eisgebieten wäre Geschichte.

Genauso wie die größten Teile der Tundra. Die Tundra ist eine besondere Vergesellschaftung von Pflanzen, von denen ein zwanzigstel endemisch ist, also ausschließlich in der Arktis vorkommt. Typische Arten sind die Weiße Silberwurz, der Arktische Mohn, der uns so gut aus Spitzbergen und Franz Joseph Land bekannt ist, und Zwergsträucher wie Weiden und Birken. Sie zeichnen sich dadurch aus, dass sie sich an die harschen Bedingungen mit nur kurzen Sommern und langen Wintern angepasst haben. Die Tundra beherbergt auch einzigartige Tiere wie Rentiere, Lemminge und Insekten wie die Arktische Hummel.

Die Ergebnisse der Simulation am AWI sprechen eine deutliche Sprache: Mit einer Geschwindigkeit von bis zu 30 Kilometern pro Jahrzehnt breitet sich der Lärchenwald nach Norden hin aus. Die Tundraflächen, die sich wegen des angrenzenden Arktischen Ozeans nicht in kältere Regionen verschieben können, schrumpfen mehr und mehr zusammen. Weil ein Baum nicht mobil ist und mit seinen Samen nur einen begrenzten Ausbreitungsradius hat, hinkt die Vegetation der Erwärmung zeitlich zunächst stark hinterher, holt dann aber wieder auf. Bis Mitte des Jahrtausends sind dann in den meisten Szenarien nur noch knapp 6 Prozent der heutigen Tundrafläche übrig. Nur mit ambitionierten Maßnahmen zur Reduktion von Treibhausgasen bleiben noch etwa 30 Prozent übrig.

Wo es einst einen 4.000 Kilometer langen, durchgehenden Tundragürtel in Sibirien gegeben hat, wird es dann nur noch zwei Flächen mit Tundra geben; auf der Taimyrhalbinsel, und 2500 Kilometer davon entfernt in Tschukotka.

Nur einer von sehr vielen Gründen, warum ambitionierte Klimaschutzgründe und ein beherztes Handeln jetzt notwendig sind. Denn sonst verschwindet dieses Ökosystem.

Bis in zwei Wochen!

Eure
Birgit Lutz

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Die durchschnittliche Lufttemperatur ist im hohen Norden in den letzten 50 Jahren um mehr als zwei Grad Celsius angestiegen – und damit viel stärker als in anderen Regionen der Welt. Dieser Trend wird sich fortsetzen, wenn nicht gegengesteuert wird. Bei ambitionierten Maßnahmen zur Treibhausgasreduktion könnte die weitere arktische Erwärmung bis zum Ende des Jahrhunderts auf knapp unter zwei Grad begrenzt werden. Bleiben die Emissionen sehr hoch, droht laut Modellprognosen bis 2100 eine dramatische Erhöhung der durchschnittlichen Sommertemperaturen in der Arktis um 14 Grad Celsius über dem heutigen Wert. 14 Grad! Das wäre das Ende dieses Lebensraums, das Ende vieler Pflanzen und Tiere, die es nur dort gegeben hat. Die Arktis mit ihren unendlich scheinenden Eisgebieten wäre Geschichte.

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Die Ergebnisse der Simulation am AWI sprechen eine deutliche Sprache: Mit einer Geschwindigkeit von bis zu 30 Kilometern pro Jahrzehnt breitet sich der Lärchenwald nach Norden hin aus. Die Tundraflächen, die sich wegen des angrenzenden Arktischen Ozeans nicht in kältere Regionen verschieben können, schrumpfen mehr und mehr zusammen. Weil ein Baum nicht mobil ist und mit seinen Samen nur einen begrenzten Ausbreitungsradius hat, hinkt die Vegetation der Erwärmung zeitlich zunächst stark hinterher, holt dann aber wieder auf. Bis Mitte des Jahrtausends sind dann in den meisten Szenarien nur noch knapp 6 Prozent der heutigen Tundrafläche übrig. Nur mit ambitionierten Maßnahmen zur Reduktion von Treibhausgasen bleiben noch etwa 30 Prozent übrig.

Wo es einst einen 4.000 Kilometer langen, durchgehenden Tundragürtel in Sibirien gegeben hat, wird es dann nur noch zwei Flächen mit Tundra geben; auf der Taimyrhalbinsel, und 2500 Kilometer davon entfernt in Tschukotka.

Nur einer von sehr vielen Gründen, warum ambitionierte Klimaschutzgründe und ein beherztes Handeln jetzt notwendig sind. Denn sonst verschwindet dieses Ökosystem.

Bis in zwei Wochen!

Eure
Birgit Lutz