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Quelle: Alfred-Wegener-Institut
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Birgit Lutz

In ihrer Polarkolumne, die ab 2021 immer freitags auf unserer Homepage neu erscheint, schreibt die Expeditionsleiterin und Autorin Birgit Lutz über alle Themenfelder der Polarregionen - von großen Erlebnissen und kleinen Momenten auf eigenen Reisen über aktuelle Entwicklungen in Arktis und Antarktis bis hin zu praktischen Informationen für Ihre Reisevorbereitung oder Empfehlungen zur Polarliteratur.

Notizen aus dem Eis 87 – Die Rufe der Robben

Als ich zum ersten Mal hörte, dass Robben rufen, dachte ich, da erzählt mir aber jemand ein gewaltiges Seemannsgarn. Jetzt gibt es auch wissenschaftliche Erkenntnisse dazu.

Eines Nachts lag ich in der Guide-Kabine des Segelschiffs Noorderlicht und in meine tiefen Träume schlich sich ein Pfeifen, das immer wieder seine Tonlage änderte. Mal klang es ganz hohl und tief, mal hell und klar. „Was machen sie denn wieder“, dachte ich, und vermutete irgendein Ventil im Motor als Ursache des seltsamen Geräuschs. Aber auch als ich am Morgen langsam wach schlummerte, hörte ich den Ton wieder, und diesmal dachte ich, es klänge ganz so, als sei das gar nicht im Schiffsbauch, sondern käme von außen. Aus dem Wasser. Wir lagen, das werde ich nie vergessen, im St. Jonsfjorden, und es war noch sehr früh im Jahr, es lag noch Eis in manchen Buchten und an Land waren wir mit Schneeschuhen unterwegs.

Als ich an Deck geklettert und mir einen Kaffee geholt hatte, traf ich Ted, den damaligen Kapitän und Besitzer der Noorderlicht, der mir gewohnt schweigsam seinen Morgengruß zunickte. „Was ist das für ein Pfeifen?“, fragte ich ihn. „Robben“, sagte er, und dafür musste ich schon dankbar sein, ein Wort, immerhin. „Robben? Robben pfeifen?“, fragte ich ungläubig, und tatsächlich erklärte Ted mir sogar: „Das sind die Männchen, die locken Weibchen an“. Ein ganzer Satz, so früh am Tag, ich vermutete sofort Seemansgarn dahinter. Internet gab es keins, also grub ich in den Bordbüchern und fand: Robben pfeifen oder singen, oder rufen, wie auch immer man das nennen möchte. Und tatsächlich tun sie das besonders gerne, wenn sie paarungsbereit sind. Man lernt eben nie aus.

Am anderen Ende der Welt, am Rand der Antarktis, hat nun ein Forschungsteam des Alfred-Wegener-Instituts mit Unterwassermikrofonen Robbengesängen gelauscht. Eine Tätigkeit, die ich mir als wunderschön vorstelle. Leider aber auch hier wieder mit weniger schönem Ergebnis: Erste, jetzt in der Fachzeitschrift Frontiers in Ecology and the Environment veröffentlichte Resultate zeigen nämlich, dass der Rückgang des Meereises offenbar starke Auswirkungen auf das Verhalten der Tiere hat: Fehlt das Eis, ist es leise, wo das Meer sonst voller Rufe ist.

Eine Gruppe um die Biologin Ilse van Opzeeland veröffentlichte die Studie, für die sie mit ihrem Team Tonaufnahmen aus einem Unterwassermikrofon untersucht hat, das automatisch die Rufe von Meeressäugern wie Robben und Walen aufzeichnet. Erstmals sind dabei Aufnahmen aus einem Zeitraum von acht Jahren, von 2007 bis 2014 für die vier antarktischen Robbenarten ausgewertet worden. Dabei stellten die Forscherinnen fest: Aus den analysierten Datenjahren sticht der Jahreswechsel 2010/2011 hervor. „Unsere Unterwasseraufnahmen zeigen deutlich, dass in dem beobachteten Meeresgebiet viel weniger rufende Robben anwesend waren als üblich“, sagt Erstautorin Irene Roca. Das gelte für alle Robbenarten, die in der Region zu Hause sind: die Krabbenfresserrobben, die Weddellrobben, die Seeleoparden und die Rossrobben.

Der Grund dafür war nach einem Blick auf die Eiskarten der damaligen Zeit schnell gefunden: Anders als sonst war das Meer in dem antarktischen Untersuchungsgebiet unweit der Neumayer-Station III des AWI fast völlig eisfrei. Weniger als zehn Prozent der üblichen Meeresfläche waren zugefroren. Warum ist das für die Robben so problematisch? Weil die antarktischen Robben Meereis benötigen, auf dem sie ihre Jungen bekommen und auch erstmal eine Weile säugen können. Fehlt das Eis, fehlen die Robben.

Das Untersuchungsgebiet der AWI-Fachleute liegt im Weddellmeer, das als bedeutende Meeresregion gilt, weil hier alle vier antarktischen Robben und auch mehrere Walarten nebeneinander vorkommen. Der Grund für diese Beliebtheit bei den Meeressäugern liegt wohl darin, dass das Gebiet viel Nahrung und für die Robben normalerweise gute Eisverhältnisse bietet. Insofern sei die Beobachtung aus der Saison 2010/2011 beunruhigend, so das AWI-Team: Sollte die Meereisbedeckung künftig häufiger so stark schwanken, wäre diese Region für die Robben ein weniger zuverlässiges Fortpflanzungsgebiet.

Das Meereisportal hat erst kürzlich bekanntgegeben, dass die vergangenen acht Jahre alle eine unterdurchschnittliche Meereisausdehnung in der Antarktis aufwiesen und im Februar 2023 ein Allzeit-Tief erreicht wurde.

Wie sich der Mangel an Meereis konkret auf diese Robbenbestände auswirken könnte, wissen die Fachleute noch nicht, weil über die vier Robbenarten noch zu wenig bekannt ist. Besser untersucht ist die arktische Ringelrobbe, deren Gesang ich lauschen durfte: Auch sie braucht für die Aufzucht ihres Nachwuchses Meereis, und dazu noch eine dicke Schneeschicht. In diese gräbt sie Höhlen für ihre Jungtiere – die wiederum der Eisbär gerne erschnuppert. Inzwischen weiß man, dass viele Jungtiere sterben, wenn es zu wenig Meereis und Schnee gibt.

„Ich vermute, dass die eisarmen Jahre auch bei den antarktischen Robben die Fortpflanzung beeinflussen – nicht nur, was das Überleben der Jungtiere angeht, sondern eventuell auch das Paarungsverhalten der Robben oder ganz andere Aspekte“, sagt Projektkoordinatorin Ilse van Opzeeland.

Die akustischen Daten aus den acht Jahren sind für sie etwas Besonderes. Robben zu erfassen, ist normalerweise aufwendig, weil man sie nur vom Schiff oder Hubschrauber aus zählen kann, dann allerdings mit einem recht kleinen Beobachtungsradius und nicht über längere Zeiträume. Mit der Unterwasser-Robben-Bespitzelung hingegen können die Forschenden ununterbrochen größere Meeresgebiete abhören, auch weil Geräusche im Meer weiter wandern als in der Luft.

Diese so nützliche sogenannte PALAOA-Horchanlage (das steht für Perennial Acoustic Observatory in the Antarctic Ocean) des AWI hat sich aber leider vor Kurzem zusammen mit einem abgebrochenen Gletscher von der Küste gelöst. Erst in der kommenden Antarktissaison soll ein neues Unterwassermikrofon installiert werden, auf dass man weiterhin das Rufen der Robben hören kann – wenn die Eisbedeckung es will.

Wen es interessiert, die Originalpublikation ist hier zu finden:
Irene T. Roca, Lars Kaleschke, Ilse Van Opzeeland: Sea ice anomalies affect the acoustic presence of Antarctic pinnipeds in their breeding areas, Frontiers in Ecology and the Environment (2023). DOI: 10.1002/fee.2622
Bis in zwei Wochen!

Eure
Birgit Lutz

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Als ich an Deck geklettert und mir einen Kaffee geholt hatte, traf ich Ted, den damaligen Kapitän und Besitzer der Noorderlicht, der mir gewohnt schweigsam seinen Morgengruß zunickte. „Was ist das für ein Pfeifen?“, fragte ich ihn. „Robben“, sagte er, und dafür musste ich schon dankbar sein, ein Wort, immerhin. „Robben? Robben pfeifen?“, fragte ich ungläubig, und tatsächlich erklärte Ted mir sogar: „Das sind die Männchen, die locken Weibchen an“. Ein ganzer Satz, so früh am Tag, ich vermutete sofort Seemansgarn dahinter. Internet gab es keins, also grub ich in den Bordbüchern und fand: Robben pfeifen oder singen, oder rufen, wie auch immer man das nennen möchte. Und tatsächlich tun sie das besonders gerne, wenn sie paarungsbereit sind. Man lernt eben nie aus.

Am anderen Ende der Welt, am Rand der Antarktis, hat nun ein Forschungsteam des Alfred-Wegener-Instituts mit Unterwassermikrofonen Robbengesängen gelauscht. Eine Tätigkeit, die ich mir als wunderschön vorstelle. Leider aber auch hier wieder mit weniger schönem Ergebnis: Erste, jetzt in der Fachzeitschrift Frontiers in Ecology and the Environment veröffentlichte Resultate zeigen nämlich, dass der Rückgang des Meereises offenbar starke Auswirkungen auf das Verhalten der Tiere hat: Fehlt das Eis, ist es leise, wo das Meer sonst voller Rufe ist.

Eine Gruppe um die Biologin Ilse van Opzeeland veröffentlichte die Studie, für die sie mit ihrem Team Tonaufnahmen aus einem Unterwassermikrofon untersucht hat, das automatisch die Rufe von Meeressäugern wie Robben und Walen aufzeichnet. Erstmals sind dabei Aufnahmen aus einem Zeitraum von acht Jahren, von 2007 bis 2014 für die vier antarktischen Robbenarten ausgewertet worden. Dabei stellten die Forscherinnen fest: Aus den analysierten Datenjahren sticht der Jahreswechsel 2010/2011 hervor. „Unsere Unterwasseraufnahmen zeigen deutlich, dass in dem beobachteten Meeresgebiet viel weniger rufende Robben anwesend waren als üblich“, sagt Erstautorin Irene Roca. Das gelte für alle Robbenarten, die in der Region zu Hause sind: die Krabbenfresserrobben, die Weddellrobben, die Seeleoparden und die Rossrobben.

Der Grund dafür war nach einem Blick auf die Eiskarten der damaligen Zeit schnell gefunden: Anders als sonst war das Meer in dem antarktischen Untersuchungsgebiet unweit der Neumayer-Station III des AWI fast völlig eisfrei. Weniger als zehn Prozent der üblichen Meeresfläche waren zugefroren. Warum ist das für die Robben so problematisch? Weil die antarktischen Robben Meereis benötigen, auf dem sie ihre Jungen bekommen und auch erstmal eine Weile säugen können. Fehlt das Eis, fehlen die Robben.

Das Untersuchungsgebiet der AWI-Fachleute liegt im Weddellmeer, das als bedeutende Meeresregion gilt, weil hier alle vier antarktischen Robben und auch mehrere Walarten nebeneinander vorkommen. Der Grund für diese Beliebtheit bei den Meeressäugern liegt wohl darin, dass das Gebiet viel Nahrung und für die Robben normalerweise gute Eisverhältnisse bietet. Insofern sei die Beobachtung aus der Saison 2010/2011 beunruhigend, so das AWI-Team: Sollte die Meereisbedeckung künftig häufiger so stark schwanken, wäre diese Region für die Robben ein weniger zuverlässiges Fortpflanzungsgebiet.

Das Meereisportal hat erst kürzlich bekanntgegeben, dass die vergangenen acht Jahre alle eine unterdurchschnittliche Meereisausdehnung in der Antarktis aufwiesen und im Februar 2023 ein Allzeit-Tief erreicht wurde.

Wie sich der Mangel an Meereis konkret auf diese Robbenbestände auswirken könnte, wissen die Fachleute noch nicht, weil über die vier Robbenarten noch zu wenig bekannt ist. Besser untersucht ist die arktische Ringelrobbe, deren Gesang ich lauschen durfte: Auch sie braucht für die Aufzucht ihres Nachwuchses Meereis, und dazu noch eine dicke Schneeschicht. In diese gräbt sie Höhlen für ihre Jungtiere – die wiederum der Eisbär gerne erschnuppert. Inzwischen weiß man, dass viele Jungtiere sterben, wenn es zu wenig Meereis und Schnee gibt.

„Ich vermute, dass die eisarmen Jahre auch bei den antarktischen Robben die Fortpflanzung beeinflussen – nicht nur, was das Überleben der Jungtiere angeht, sondern eventuell auch das Paarungsverhalten der Robben oder ganz andere Aspekte“, sagt Projektkoordinatorin Ilse van Opzeeland.

Die akustischen Daten aus den acht Jahren sind für sie etwas Besonderes. Robben zu erfassen, ist normalerweise aufwendig, weil man sie nur vom Schiff oder Hubschrauber aus zählen kann, dann allerdings mit einem recht kleinen Beobachtungsradius und nicht über längere Zeiträume. Mit der Unterwasser-Robben-Bespitzelung hingegen können die Forschenden ununterbrochen größere Meeresgebiete abhören, auch weil Geräusche im Meer weiter wandern als in der Luft.

Diese so nützliche sogenannte PALAOA-Horchanlage (das steht für Perennial Acoustic Observatory in the Antarctic Ocean) des AWI hat sich aber leider vor Kurzem zusammen mit einem abgebrochenen Gletscher von der Küste gelöst. Erst in der kommenden Antarktissaison soll ein neues Unterwassermikrofon installiert werden, auf dass man weiterhin das Rufen der Robben hören kann – wenn die Eisbedeckung es will.

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