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Foto: Birgit Lutz
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Birgit Lutz

In ihrer Polarkolumne, die ab 2021 immer freitags auf unserer Homepage neu erscheint, schreibt die Expeditionsleiterin und Autorin Birgit Lutz über alle Themenfelder der Polarregionen - von großen Erlebnissen und kleinen Momenten auf eigenen Reisen über aktuelle Entwicklungen in Arktis und Antarktis bis hin zu praktischen Informationen für Ihre Reisevorbereitung oder Empfehlungen zur Polarliteratur.

Notizen aus dem Eis 88 – Reisen auf schmalem Grat – Ostgrönland

Wenn wir 2024 nach Ostgrönland fahren, bewegen wir uns auf einem schmalen Grat, wenn man guten Tourismus machen will. Aber ich hoffe, es gelingt uns.

Vor einem Jahr ungefähr gingen Fotos um die Welt, von dem neuen, großen Kreuzfahrt-Eisbrecher Le Commandant Charcot, der in der gefrorenen Bucht von Tasiilaq im Eis geankert hatte. Menschen wuselten um das riesige Schiff herum, und ich fragte mich, ob das eine gute Sache war, das große Schiff in dem kleinen Ort. 245 Passagiere passen auf diesen Eisbrecher, 1900 Einwohner hat Tasiilaq. Die Menschen auf dem Schiff allerdings leben ein sehr anderes Leben als die Menschen in diesem Dorf, es prallen bei solchen Besuchen Welten aufeinander.

Nun stolperte ich vor kurzem erneut über dieses Bild, die Commandant Charcot war auch 2023 wieder nach Ostgrönland gefahren, ein Freund aus Tasiilaq hatte das Bild auf Facebook gepostet. Diesmal fragte ich ihn gleich, was er von dem Besuch hält. Prompt antwortete er, recht positiv: „Sie haben Obst und Gemüse für unsere Geschäfte gebracht, ohne etwas dafür zu verlangen, jeder ist froh darüber. Die Touristen haben Kunsthandwerk von unseren lokalen Künstlern gekauft und wir haben frische Lebensmittel – gut für alle.“

So weit also diese recht positive Aussage; ob Axel nun für alle Einwohner spricht, das weiß ich natürlich nicht. Aber einige scheint hier schon richtig gelaufen zu sein.
Man muss dazu wissen, dass diese Orte in Ostgrönland abhängig sind von Versorgung von außen: Mehrmals im Jahr kommen Versorgungsschiffe mit Nahrungsmitteln. Denn seit Dänemark die Moderne nach Grönland gebracht hat, seit der Robbenfellhandel unmöglich gemacht wurde und die Menschen dort nicht mehr auf traditionelle Weise leben können, brauchen auch sie Lebensmittel und alle möglichen anderen Dinge, die es nicht in Ostgrönland gibt.

Die Schiffe allerdings kommen übers Jahr recht ungleichmäßig verteilt, das erste kommt meistens im Juni und das letzte im September. Und von September bis Juni, das sind immerhin neun Monate, kommt also keines, des Eises wegen. Das ist eine lange Zeit, in denen von Vorräten gelebt werden muss, frisches Obst und Gemüse kommen manchmal per Flugzeug und Hubschrauber, aber sie sind Mangelware. So kann man die Freude über Obst und Gemüse, das überdies auch noch geschenkt wird, vielleicht noch besser einordnen.

Damit einher geht die interessante Frage, warum es einem Touristenschiff möglich ist, beinahe zwei Monate früher als das reguläre Versorgungsschiff anzureisen. Das liegt natürlich daran, dass das Touristenschiff ein Eisbrecher ist. Für die lokale Bevölkerung ist ein solcher Aufwand bisher nicht gemacht worden, aber das ist wohl ein anderes Thema.

Auf jeden Fall also kann man bei solchen Besuchen viel verkehrt machen, bewusst oder unbewusst, und gerade bei Einkäufen muss man in solch abgelegenen Gebieten vorsichtig sein. Zum Beispiel kann man im Bestreben, auch Geld im Ort zu lassen, im Laden einkaufen gehen, was aber ja gerade unter den beschriebenen Umständen nicht die beste Idee ist – den Einheimischen das Wenige, das es gibt, auch noch weg zu kaufen. Was man dort kauft, sollte man sich also gut überlegen, und am besten Dinge erstehen, die Einheimische nicht brauchen oder selbst machen. Kunsthandwerk, eben Dinge, die explizit für Touristen angeboten werden.

Als ich für meine Buchrecherche einen Monat in Tasiilaq war, kam auch ein Kreuzfahrtschiff an. Das war sehr interessant für mich: einmal die andere Seite sehen. Das Schiff war ein sehr luxuriöses, drinnen hingen Kronleuchter, im Dorf wohnen aber Menschen, die Kronleuchter nicht einmal kennen. Das sind die Welten, die da aufeinanderprallen, aber auf eine sehr ungleiche Weise.

Denn unsere Lebensweise und unsere Vorstellungen von der Welt haben in Grönland Vieles verändert, sind bis hierher vorgedrungen, während es so gut wie keinen Einfluss Grönlands auf unsere Welt gab ¬ den würden wir uns auch schön verbitten. In Grönland aber haben wir durch die europäische Politik, was Fellhandel und Fischerei angeht, ganz einschneidende Veränderungen verursacht, was selten zum Positiven war. Die Grönländer wissen das, aber den wenigsten Besuchern ist das in seinem Ausmaß klar. Die allerwenigsten Besucher wissen, dass sie vielleicht auch dazu beigetragen haben, durch Wahlen oder Unterschriften, dass es in Grönland heute mancherorts einen so verheerend hohen Alkoholismus gibt, und so viel Gewalt unter einem einstmals gewaltlosen Volk.

Deswegen kann es passieren, dass hier ein Blick entsteht, der von oben nach unten geht, von uns „entwickelten Europäern“ hinunter auf „betrunkene Wilde“. Und wenn das geschieht, so tut mir das im Herzen weh, denn es ist eine ganz fürchterliche Ungerechtigkeit.

Als ich den Besuch des Schiffs damals beobachtete, verlief der ein bisschen so. Da fielen Sätze wie: „die freuen sich doch so, dass sie mal was vorführen können“, als handle es sich um Eingeborene mit recht kindlichem Gemüt und nicht um den örtlichen Kirchenchor, der für diesen Auftritt in Traditionskleidung genauso bezahlt wurde wie oberbayerische Schuhplattler auf manchen Festen. Würde man über die sagen, „ach guck mal, wie froh die sind, dass sie mal was zeigen dürfen“?

Menschen auf Augenhöhe behandeln, ihre Fähigkeiten, ihr Wissen wertschätzen, das ein anderes ist als unseres aber sicher nicht weniger wertvoll, Dinge richtig einordnen – das sind nur zwei der vielen Herausforderungen, die Guides in Grönland mit ihren Gästen meistern müssen, damit eine Reise keine Reise in einen menschlichen Zoo wird.

Ich hoffe, uns gelingt das. Ich hoffe, ich werde vorher Kontakt mit Bekannten und Freunden in der Region aufnehmen können, sie fragen, was vielleicht gebraucht wird. Dann können wir vielleicht etwas mitbringen, so, wie wir das auch schon bei Polarstationen gemacht haben, oder bei Seglern mit falscher Planung, die unheimlich froh über Salz waren. Einfach die Unterstützung geben, die ich in den arktischen Gebieten so schätze: Man respektiert und hilft sich gegenseitig.

Es werden spannende Reisen. Ich bin so gespannt, was wir alles erleben werden!

Bis in zwei Wochen!

Eure
Birgit Lutz

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Nun stolperte ich vor kurzem erneut über dieses Bild, die Commandant Charcot war auch 2023 wieder nach Ostgrönland gefahren, ein Freund aus Tasiilaq hatte das Bild auf Facebook gepostet. Diesmal fragte ich ihn gleich, was er von dem Besuch hält. Prompt antwortete er, recht positiv: „Sie haben Obst und Gemüse für unsere Geschäfte gebracht, ohne etwas dafür zu verlangen, jeder ist froh darüber. Die Touristen haben Kunsthandwerk von unseren lokalen Künstlern gekauft und wir haben frische Lebensmittel – gut für alle.“

So weit also diese recht positive Aussage; ob Axel nun für alle Einwohner spricht, das weiß ich natürlich nicht. Aber einige scheint hier schon richtig gelaufen zu sein.
Man muss dazu wissen, dass diese Orte in Ostgrönland abhängig sind von Versorgung von außen: Mehrmals im Jahr kommen Versorgungsschiffe mit Nahrungsmitteln. Denn seit Dänemark die Moderne nach Grönland gebracht hat, seit der Robbenfellhandel unmöglich gemacht wurde und die Menschen dort nicht mehr auf traditionelle Weise leben können, brauchen auch sie Lebensmittel und alle möglichen anderen Dinge, die es nicht in Ostgrönland gibt.

Die Schiffe allerdings kommen übers Jahr recht ungleichmäßig verteilt, das erste kommt meistens im Juni und das letzte im September. Und von September bis Juni, das sind immerhin neun Monate, kommt also keines, des Eises wegen. Das ist eine lange Zeit, in denen von Vorräten gelebt werden muss, frisches Obst und Gemüse kommen manchmal per Flugzeug und Hubschrauber, aber sie sind Mangelware. So kann man die Freude über Obst und Gemüse, das überdies auch noch geschenkt wird, vielleicht noch besser einordnen.

Damit einher geht die interessante Frage, warum es einem Touristenschiff möglich ist, beinahe zwei Monate früher als das reguläre Versorgungsschiff anzureisen. Das liegt natürlich daran, dass das Touristenschiff ein Eisbrecher ist. Für die lokale Bevölkerung ist ein solcher Aufwand bisher nicht gemacht worden, aber das ist wohl ein anderes Thema.

Auf jeden Fall also kann man bei solchen Besuchen viel verkehrt machen, bewusst oder unbewusst, und gerade bei Einkäufen muss man in solch abgelegenen Gebieten vorsichtig sein. Zum Beispiel kann man im Bestreben, auch Geld im Ort zu lassen, im Laden einkaufen gehen, was aber ja gerade unter den beschriebenen Umständen nicht die beste Idee ist – den Einheimischen das Wenige, das es gibt, auch noch weg zu kaufen. Was man dort kauft, sollte man sich also gut überlegen, und am besten Dinge erstehen, die Einheimische nicht brauchen oder selbst machen. Kunsthandwerk, eben Dinge, die explizit für Touristen angeboten werden.

Als ich für meine Buchrecherche einen Monat in Tasiilaq war, kam auch ein Kreuzfahrtschiff an. Das war sehr interessant für mich: einmal die andere Seite sehen. Das Schiff war ein sehr luxuriöses, drinnen hingen Kronleuchter, im Dorf wohnen aber Menschen, die Kronleuchter nicht einmal kennen. Das sind die Welten, die da aufeinanderprallen, aber auf eine sehr ungleiche Weise.

Denn unsere Lebensweise und unsere Vorstellungen von der Welt haben in Grönland Vieles verändert, sind bis hierher vorgedrungen, während es so gut wie keinen Einfluss Grönlands auf unsere Welt gab ¬ den würden wir uns auch schön verbitten. In Grönland aber haben wir durch die europäische Politik, was Fellhandel und Fischerei angeht, ganz einschneidende Veränderungen verursacht, was selten zum Positiven war. Die Grönländer wissen das, aber den wenigsten Besuchern ist das in seinem Ausmaß klar. Die allerwenigsten Besucher wissen, dass sie vielleicht auch dazu beigetragen haben, durch Wahlen oder Unterschriften, dass es in Grönland heute mancherorts einen so verheerend hohen Alkoholismus gibt, und so viel Gewalt unter einem einstmals gewaltlosen Volk.

Deswegen kann es passieren, dass hier ein Blick entsteht, der von oben nach unten geht, von uns „entwickelten Europäern“ hinunter auf „betrunkene Wilde“. Und wenn das geschieht, so tut mir das im Herzen weh, denn es ist eine ganz fürchterliche Ungerechtigkeit.

Als ich den Besuch des Schiffs damals beobachtete, verlief der ein bisschen so. Da fielen Sätze wie: „die freuen sich doch so, dass sie mal was vorführen können“, als handle es sich um Eingeborene mit recht kindlichem Gemüt und nicht um den örtlichen Kirchenchor, der für diesen Auftritt in Traditionskleidung genauso bezahlt wurde wie oberbayerische Schuhplattler auf manchen Festen. Würde man über die sagen, „ach guck mal, wie froh die sind, dass sie mal was zeigen dürfen“?

Menschen auf Augenhöhe behandeln, ihre Fähigkeiten, ihr Wissen wertschätzen, das ein anderes ist als unseres aber sicher nicht weniger wertvoll, Dinge richtig einordnen – das sind nur zwei der vielen Herausforderungen, die Guides in Grönland mit ihren Gästen meistern müssen, damit eine Reise keine Reise in einen menschlichen Zoo wird.

Ich hoffe, uns gelingt das. Ich hoffe, ich werde vorher Kontakt mit Bekannten und Freunden in der Region aufnehmen können, sie fragen, was vielleicht gebraucht wird. Dann können wir vielleicht etwas mitbringen, so, wie wir das auch schon bei Polarstationen gemacht haben, oder bei Seglern mit falscher Planung, die unheimlich froh über Salz waren. Einfach die Unterstützung geben, die ich in den arktischen Gebieten so schätze: Man respektiert und hilft sich gegenseitig.

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