polar-schiffsreisen.de - eine Marke von Leguan Reisen
Krabbentaucher-Birgit-Lutz
Picture of Birgit Lutz

Birgit Lutz

In ihrer Polarkolumne, die ab 2021 immer freitags auf unserer Homepage neu erscheint, schreibt die Expeditionsleiterin und Autorin Birgit Lutz über alle Themenfelder der Polarregionen - von großen Erlebnissen und kleinen Momenten auf eigenen Reisen über aktuelle Entwicklungen in Arktis und Antarktis bis hin zu praktischen Informationen für Ihre Reisevorbereitung oder Empfehlungen zur Polarliteratur.

Notizen aus dem Eis 9 – Das Kreischen der Krabbentaucher

Langsam, ganz langsam kommt ein kleines schwarzes Köpfchen zum Vorschein, zwei Armlängen entfernt von mir. Dann springt der Krabbentaucher aus seinem Felsennest heraus, setzt sich auf einen spitzen Stein, breitet die Flügel aus, schlägt wild um sich und kreischt. Und schwupp, springt aus dem nächsten Zwischenraum ein weiterer, und dann noch einer und noch einer. Ich sitze regungslos seit etwa zehn Minuten am Rande der Krabbentaucherkolonie in einem steilen Schutthang. Und warte. Und werde belohnt.

Immer mehr der gerade einmal 20 Zentimeter großen Vögel ploppen aus den kleinen Höhlen zwischen den Steinen hervor. Ich schaue zu unseren Gästen, zu acht sitzen wir in den Felsen, alle sind still. Verzückt.

Ein Rauschen in der Luft, hunderte kleine Vögel kehren kreischend zurück von einem Flug hinaus aufs Meer, ganz nah fliegen sie an mir vorbei, fast kann ich den Flügelschlag spüren, dann lassen sie sich nieder auf den Felsen, recken noch einmal den kleinen Körper und schütteln sich, sitzen auf einem Stein, hopsen auf einen anderen, schauen, rasten. Kreischen mich an.

Auf meinen ersten Reisen nach Spitzbergen konnte ich die Begeisterung mancher Kollegen für die Vogelwelt der Arktis nicht verstehen. Ich kannte die Vögel nicht, Vögel flogen oder saßen, das war es für mich. Je länger ich die Vögel aber beobachtete, umso mehr Respekt bekam ich vor ihnen. Wie sie hier überlebten, wie weit sie flogen. Kollegen erklärten mir, ich las mehr und langsam wuchs eine Faszination für diese kleinen, bärenstarken Wesen.

Die Krabbentaucher brüten an mehreren Orten in Spitzbergen, dort, wo Geröll die Hänge bedeckt und zwischen den einzelnen Gesteinsbrocken kleine Höhlen entstehen, in denen sie ihre Eier ablegen können. Man erkennt die Kolonien, weil dort, wo die Vögel sitzen, die sonst dunklen Steine heller sind. Die Vögel selbst sind so klein, man sieht sie erst, wenn man sehr nahe bei den Kolonien ist. Wenn man die steilen Hänge nach oben kraxelt und sich an den Rand der weißen Steine setzt, stört man die Vögel nur kurz. Bald strecken sie ihre Köpfe wieder aus den Höhlen, sitzen wieder auf den Felsen, ohne viel Angst vor dem bunten Tier zu haben, das sich da zu ihnen gesetzt hat. Ich versuche, auf jeder Reise einen solchen Besuch einzubauen, so lange die Krabbentaucher da sind. Es ist ein ganz eigenes, berührendes Erlebnis.

Man sitzt da, wie ein Teil dieser Kolonie, inmitten dieser schreienden kleinen Wesen, der Wind streicht den Hang entlang, der Blick schweift von den Vögeln am Felsen immer wieder über den weiten Fjord.

Ein gewaltiger Aufschrei, ein Rauschen, die ganze Kolonie scheint in Bewegung, urplötzlich, alles schreit und kreischt und flattert. Das kann nur einen Grund haben, es muss ein Fuchs in der Nähe sein. Ich mühe mich ab, mich auf meinem spitzigen Stein umzudrehen, ohne zu viel Bewegung und Geräusch zu verursachen. Ich suche den Hang mit dem Fernglas ab und tatsächlich, 50 Meter oberhalb ungefähr, ein Polarfuchs.

Geschäftig tänzelt er über die Steine, steckt seine Schnauze immer wieder in die kleinen Ritzen, auf der Suche nach ungeschickten Brütern, die das Ei erreichbar sein ließen. Über ihm wird geflattert und gekreischt, das ist er gewöhnt, wo immer er hinkommt, es stört ihn nicht.

In seinen huschenden Bewegungen hält er immer wieder ruckartig inne, erstarrt, wittert, schaut einmal genau zu mir herunter, mir in die Augen, ein paar Sekunden lang.

Dann schwänzelt er weiter, ich interessiere ihn nicht im Geringsten, bin ich doch weder Futter noch Gefahr. Er verschwindet aus meinem Blickfeld, die Kolonie ordnet sich wieder, aber nur kurz, dann beschließt ein Teil, aufs Meer hinaus zu fliegen, alle auf einmal.

Die viele tausende Tiere umfassenden Kolonien sind oft untergliedert in Subkolonien, die die Angewohnheit haben, sich immer im Ganzen auf den Weg zu machen. Die kleinen Meister im Synchronfliegen brausen dann davon in einem Schwarm irren Geflatters, und wie eine Welle branden sie wieder an die Felsen zurück. Man muss ein bisschen den Atem anhalten, wenn diese großen kleinen Bewegungen so rings um einen geschehen, wenn es rauscht und kreischt und sich auf einmal anfühlt, als sei man selbst in der Luft und ein Vogel, so ist der Himmel gefüllt mit all diesen kurzen Flügelschlägen.

Stundenlang könnte ich in diesen Kolonien sitzen oder liegen.

Im Mai kommen die Krabbentaucher nach Spitzbergen zurück, sie überwintern nicht auf den kalten Inseln sondern weiter im Süden. Vor einigen Jahren verbrachte ich einige Tage mit einer Freundin in einer Hütte am Eingang des Bjørndalen, am Ende der Straße, die aus Longyearbyen hinausführt. Neben der Hütte wohnen Krabbentaucher, aber als wir dort ankamen, war die Kolonie noch leer. Es war still. Am nächsten Tag hörten wir Kreischen und sahen Vögel auf den Fels zuflattern und umherfliegen.

Staunend sahen wir zu, wie immer mehr und mehr und mehr Vögel ankamen, wo gestern noch nichts war, herrschte bald ein reges Treiben und Flattern und Hüpfen und Kreischen. Es dauerte keine 24 Stunden und der Hang hatte sich gefüllt mit den kleinen Wesen, und ihr Gekreisch war nun wieder die Melodie der Küste, als seien sie nie fort gewesen.

Von da an sahen wir jeden Abend und jeden Morgen einen Fuchs, schwänzelnd lief er im Zickzack die Kolonie ab, dann kam er zu unserer Hütte herunter, wo die Hunde, die draußen angebunden waren, jedes Mal in wildes Bellen ausbrachen. Den Fuchs ließ das vollkommen unberührt, es war ein schlauer Fuchs und er verstand, was die Leine um den Hals der Hunde bedeutete.

Lang ist es her, als ich mit den arktischen Vögeln nichts anfangen konnte. Jetzt schaue ich hinaus in meinen oberbayerischen Garten, in dem gleich drei Vogelhäuser stehen, mein Vater hat uns außerdem Nistkästen gebaut. Griffbereit auf dem Schreibtisch liegt ein Vogelbestimmungsbuch. Und das alles wegen der Krabbentaucher.

Bis nächste Woche,

Ihre

Birgit Lutz

Teilen :

Twitter
Telegram
WhatsApp
  • Alle Beiträge
  • News
  • Polar-Kolumne
Alle Beiträge
  • Alle Beiträge
  • News
  • Polar-Kolumne
Polar-Kolumne

Notizen aus dem Eis 112 | Grönlands Gletscher schmelzen

Unsere Welt wird wärmer, das wissen wir mittlerweile alle. Aber wie schnell sie sich erwärmt und wie schnell auch manche Schmelzprozesse sogar in den nördlichsten ...
ZUM ARTIKEL »
Polar-Kolumne

Notizen aus dem Eis 111 | Der Seeleopard – schneller Schwimmer mit scharfen Zähnen

Der Seeleopard hat nichts mit einer Katzenart zu tun, sonst würde er nicht schwimmen! Die flinken Robben haben ihren Namen wegen ihres gefleckten Fells bekommen. ...
ZUM ARTIKEL »

Schreibe einen Kommentar

Weitere Notizen

Eisberg Nordische Notizen Birgit Lutz

Notizen aus dem Eis 1

Jede Woche eine kurze Reise Viele Orte werden von vielen Menschen einmal besucht. Weil sie schön sind, weil sie berühmt sind. Weil man sie irgendwie

Arktis Vortragsreihe

Vortragsreihe von Birgit Lutz und Rolf Stange

Die Polarexperten Birgit Lutz und Rolf Stange werden  in den kommenden Wochen jeweils mittwochs eine Vortragsreihe Arktis durchführen. Zu einer Zeit in der unsere Reisetätigkeit

Notizen aus dem Eis 9 – Das Kreischen der Krabbentaucher

Krabbentaucher-Birgit-Lutz

Langsam, ganz langsam kommt ein kleines schwarzes Köpfchen zum Vorschein, zwei Armlängen entfernt von mir. Dann springt der Krabbentaucher aus seinem Felsennest heraus, setzt sich auf einen spitzen Stein, breitet die Flügel aus, schlägt wild um sich und kreischt. Und schwupp, springt aus dem nächsten Zwischenraum ein weiterer, und dann noch einer und noch einer. Ich sitze regungslos seit etwa zehn Minuten am Rande der Krabbentaucherkolonie in einem steilen Schutthang. Und warte. Und werde belohnt.

Immer mehr der gerade einmal 20 Zentimeter großen Vögel ploppen aus den kleinen Höhlen zwischen den Steinen hervor. Ich schaue zu unseren Gästen, zu acht sitzen wir in den Felsen, alle sind still. Verzückt.

Ein Rauschen in der Luft, hunderte kleine Vögel kehren kreischend zurück von einem Flug hinaus aufs Meer, ganz nah fliegen sie an mir vorbei, fast kann ich den Flügelschlag spüren, dann lassen sie sich nieder auf den Felsen, recken noch einmal den kleinen Körper und schütteln sich, sitzen auf einem Stein, hopsen auf einen anderen, schauen, rasten. Kreischen mich an.

Auf meinen ersten Reisen nach Spitzbergen konnte ich die Begeisterung mancher Kollegen für die Vogelwelt der Arktis nicht verstehen. Ich kannte die Vögel nicht, Vögel flogen oder saßen, das war es für mich. Je länger ich die Vögel aber beobachtete, umso mehr Respekt bekam ich vor ihnen. Wie sie hier überlebten, wie weit sie flogen. Kollegen erklärten mir, ich las mehr und langsam wuchs eine Faszination für diese kleinen, bärenstarken Wesen.

Die Krabbentaucher brüten an mehreren Orten in Spitzbergen, dort, wo Geröll die Hänge bedeckt und zwischen den einzelnen Gesteinsbrocken kleine Höhlen entstehen, in denen sie ihre Eier ablegen können. Man erkennt die Kolonien, weil dort, wo die Vögel sitzen, die sonst dunklen Steine heller sind. Die Vögel selbst sind so klein, man sieht sie erst, wenn man sehr nahe bei den Kolonien ist. Wenn man die steilen Hänge nach oben kraxelt und sich an den Rand der weißen Steine setzt, stört man die Vögel nur kurz. Bald strecken sie ihre Köpfe wieder aus den Höhlen, sitzen wieder auf den Felsen, ohne viel Angst vor dem bunten Tier zu haben, das sich da zu ihnen gesetzt hat. Ich versuche, auf jeder Reise einen solchen Besuch einzubauen, so lange die Krabbentaucher da sind. Es ist ein ganz eigenes, berührendes Erlebnis.

Man sitzt da, wie ein Teil dieser Kolonie, inmitten dieser schreienden kleinen Wesen, der Wind streicht den Hang entlang, der Blick schweift von den Vögeln am Felsen immer wieder über den weiten Fjord.

Ein gewaltiger Aufschrei, ein Rauschen, die ganze Kolonie scheint in Bewegung, urplötzlich, alles schreit und kreischt und flattert. Das kann nur einen Grund haben, es muss ein Fuchs in der Nähe sein. Ich mühe mich ab, mich auf meinem spitzigen Stein umzudrehen, ohne zu viel Bewegung und Geräusch zu verursachen. Ich suche den Hang mit dem Fernglas ab und tatsächlich, 50 Meter oberhalb ungefähr, ein Polarfuchs.

Geschäftig tänzelt er über die Steine, steckt seine Schnauze immer wieder in die kleinen Ritzen, auf der Suche nach ungeschickten Brütern, die das Ei erreichbar sein ließen. Über ihm wird geflattert und gekreischt, das ist er gewöhnt, wo immer er hinkommt, es stört ihn nicht.

In seinen huschenden Bewegungen hält er immer wieder ruckartig inne, erstarrt, wittert, schaut einmal genau zu mir herunter, mir in die Augen, ein paar Sekunden lang.

Dann schwänzelt er weiter, ich interessiere ihn nicht im Geringsten, bin ich doch weder Futter noch Gefahr. Er verschwindet aus meinem Blickfeld, die Kolonie ordnet sich wieder, aber nur kurz, dann beschließt ein Teil, aufs Meer hinaus zu fliegen, alle auf einmal.

Die viele tausende Tiere umfassenden Kolonien sind oft untergliedert in Subkolonien, die die Angewohnheit haben, sich immer im Ganzen auf den Weg zu machen. Die kleinen Meister im Synchronfliegen brausen dann davon in einem Schwarm irren Geflatters, und wie eine Welle branden sie wieder an die Felsen zurück. Man muss ein bisschen den Atem anhalten, wenn diese großen kleinen Bewegungen so rings um einen geschehen, wenn es rauscht und kreischt und sich auf einmal anfühlt, als sei man selbst in der Luft und ein Vogel, so ist der Himmel gefüllt mit all diesen kurzen Flügelschlägen.

Stundenlang könnte ich in diesen Kolonien sitzen oder liegen.

Im Mai kommen die Krabbentaucher nach Spitzbergen zurück, sie überwintern nicht auf den kalten Inseln sondern weiter im Süden. Vor einigen Jahren verbrachte ich einige Tage mit einer Freundin in einer Hütte am Eingang des Bjørndalen, am Ende der Straße, die aus Longyearbyen hinausführt. Neben der Hütte wohnen Krabbentaucher, aber als wir dort ankamen, war die Kolonie noch leer. Es war still. Am nächsten Tag hörten wir Kreischen und sahen Vögel auf den Fels zuflattern und umherfliegen.

Staunend sahen wir zu, wie immer mehr und mehr und mehr Vögel ankamen, wo gestern noch nichts war, herrschte bald ein reges Treiben und Flattern und Hüpfen und Kreischen. Es dauerte keine 24 Stunden und der Hang hatte sich gefüllt mit den kleinen Wesen, und ihr Gekreisch war nun wieder die Melodie der Küste, als seien sie nie fort gewesen.

Von da an sahen wir jeden Abend und jeden Morgen einen Fuchs, schwänzelnd lief er im Zickzack die Kolonie ab, dann kam er zu unserer Hütte herunter, wo die Hunde, die draußen angebunden waren, jedes Mal in wildes Bellen ausbrachen. Den Fuchs ließ das vollkommen unberührt, es war ein schlauer Fuchs und er verstand, was die Leine um den Hals der Hunde bedeutete.

Lang ist es her, als ich mit den arktischen Vögeln nichts anfangen konnte. Jetzt schaue ich hinaus in meinen oberbayerischen Garten, in dem gleich drei Vogelhäuser stehen, mein Vater hat uns außerdem Nistkästen gebaut. Griffbereit auf dem Schreibtisch liegt ein Vogelbestimmungsbuch. Und das alles wegen der Krabbentaucher.

Bis nächste Woche,

Ihre

Birgit Lutz