Vor zwei Wochen ging es hier um das Meereis der Antarktis, – heute schauen wir uns mal die Situation in der Arktis an.
In der Antarktis ist derzeit, wie vergangene Woche beschrieben, Winter. Das Meereis sollte also wachsen, was es aber nicht so wie sonst tut. In der Arktis dagegen ist jetzt, wie auf der gesamten Nordhalbkugel, Sommer. Hier ist die Schmelzperiode des Meereises also gerade in vollem Gang. Das ist ein normaler Vorgang, das Eis schmilzt im Sommer, während es im Winter wächst. Interessant ist aber, wieviel im Sommer jeweils schmilzt und im Winter wieder wächst – denn das verändert sich seit Jahren sehr stark.
In der Arktis wird immer im September das sogenannte Meereisminimum erreicht. Das Eis schmilzt bis etwa Mitte September und erreicht seine geringste Flächenausdehnung, dann beginnt es wieder zu wachsen. Im März wird in der Arktis die größte Ausdehnung erreicht. Diese Minima und Maxima sind interessante Indikatoren, die anzeigen, wie sich das Meereis an beiden Polen über die Jahre entwickelt.
Anfang August 2023 betrug die Ausdehnung des arktischen Meereises 7,5 Millionen Quadratkilometer, das ist ein ähnlicher Wert wie in den beiden vergangenen Jahren. Momentan sieht die Eiskarte der Arktis so aus:
Damit gibt es noch etwa eine Million Quadratkilometer mehr Eis als im Jahr 2012, dem Jahr mit der bisher geringsten gemessenen Ausdehnung. Die sommerliche Schmelze ist aber nun in vollem Gange, und vor allem der Wind wird in den kommenden Wochen bestimmen, wie sich das poröse, brüchige Eis weiter verteilt und damit auch weiter schmilzt. Ob ein neues Minimum erreicht wird, ist damit also noch nicht zu sagen, doch viele Eisforschende schauen durchaus besorgt auf das global sehr heiße Jahr 2023 und die überraschend geringe Eisausdehnung in der Antarktis.
Um sich diese Entwicklungen genauer anzusehen, haben sich vergangene Woche Meereisforscher des Alfred-Wegener-Instituts für Polar und Meeresforschung (AWI) in Bremerhaven in die Arktis aufgemacht, auf dem Forschungsschiff Polarstern. Die Polarstern war auch im Extremjahr 2012 in der Arktis unterwegs und konnte damals erhebliche Auswirkungen auf das gesamte Ökosystem des zentralen Arktischen Ozeans feststellen, bis in über vier Kilometer Wassertiefe, hat AWI-Direktorin Antje Boetius kurz vor der Abfahrt erklärt – es wird also spannend sein, diese Daten mit den heutigen zu vergleichen.
Wer sich das Meereis genauer anschauen will, für den gibt es mit dem Meereisportal des AWI Internetseiten, auf denen ich mich regelmäßig richtig verlieren kann. Dort gibt es neben sehr vielen anschaulichen Informationen über das Meereis auch Eiskarten und interaktive Grafiken zur aktuellen Meereissituation, und so interessante Spielereien wie eine Karte, auf der man sich für jeden beliebigen Tag seit 2012 die Meereisbedeckung in der Arktis oder Antarktis anzeigen lassen kann. Zu finden ist diese Karte auf der Seite Meereisdaten visualisieren.
Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Polarstern untersuchen den Zustand des Eises auf ihrer Reise nun auf mehreren verschiedenen Wegen: Mit Helikopter-geschleppten Sensoren wird die Dicke des Eises vermessen, Eisbohrkerne erlauben die Analyse der Meereisbeschaffenheit sowie die Untersuchung im Eis lebender Algen. Für diese Arbeiten werden auch wieder mehrere Eisstationen errichtet, bei denen sich die Forschenden selbst aufs Eis begeben.
Auch interessant für das Ökosystem: Ein Unterwasserroboter misst, wie viel Licht durch das Eis in den Ozean gelangt, wenn seine Oberfläche noch von Schnee oder bereits von Schmelzwassertümpeln bedeckt ist. Denn das Licht steht Kleinstalgen (Phytoplankton) als Energiequelle für die Photosynthese zur Verfügung, die in den oberen Wasserschichten leben.
Denn es ist für ein Meer ganz und gar nicht egal, ob da oben ab und an Meereis schwimmt oder nicht. Das Meereis ist, wie vergangene Woche auch schon beschrieben, sogar der Anfang von sehr viel Leben in der Arktis, da die Eisalgen eine wichtige Nahrungsquelle im Nahrungsnetz darstellen. Aber auch Effekte, auf die man so gar nicht gleich kommen würde, gibt es: Weil auf dem Eis dann auch Robben und Bären und Walrosse herumlungern, die dort natürlich auch ihre Geschäfte verrichten, entsteht auch dadurch ein Nährstoffeintrag, der bis in große Wassertiefen nachzuvollziehen ist: Weil der Kot der Tiere nach unten sinkt, und dort wieder eine Aufgabe übernimmt. Es ist also bei Weitem nicht nur der Eisbär, der dringend auf Meereis angewiesen ist. Darüber habe ich auch ausführlich in meinem letzten Buch geschrieben. Dieses ganze Ökosystem ist so faszinierend!
Wer die AWI-Expedition, die bis zum 1. Oktober dauern soll, verfolgen will, das ist tatsächlich über eine App möglich: die Polarstern-App, die den Standort der Polarstern und aktuelle Informationen anzeigt. Auch da gibt es viel Spannendes zu erfahren.
Bis in zwei Wochen!
Eure
Birgit Lutz