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Birgit Lutz

In ihrer Polarkolumne, die ab 2021 immer freitags auf unserer Homepage neu erscheint, schreibt die Expeditionsleiterin und Autorin Birgit Lutz über alle Themenfelder der Polarregionen - von großen Erlebnissen und kleinen Momenten auf eigenen Reisen über aktuelle Entwicklungen in Arktis und Antarktis bis hin zu praktischen Informationen für Ihre Reisevorbereitung oder Empfehlungen zur Polarliteratur.

Notizen aus dem Eis 96 – Der Polardorsch braucht mehr Eis

Während es im Süden brennt, schmilzt im Norden das Eis. Für den Dorsch wird es deswegen recht ungemütlich, was nicht gut ist: Denn vom Dorsch leben viele andere Tiere – und Menschen auch.

Der arktische Ozean hat nicht überall die gleichen Eigenschaften, zu groß ist seine Fläche. Aber grundsätzlich kann man wohl guten Gewissens über ihn sagen, dass er ein sehr produktives Meer ist. Das heißt, obwohl viele Menschen annehmen, dass in der Kälte wenig gedeihen kann, ist dieser Ozean voll mit Leben, das jeden Sommer durch die lange Sonneneinstrahlung geradezu explodiert.

Der wichtigste Fisch im Arktischen Ozean ist der Polardorsch – er ist eine sehr wichtige Nahrungsgrundlage für arktische Seevögel und Meeressäuger wie Ringelrobben, Narwale und Belugas, spielt aber auch bei der Selbstversorgung der Inuit eine wichtige Rolle. Das habe ich selbst in Grönland schon erleben dürfen, wo der allererste Fisch, den ich jemals selbst aus einem Wasser zog, ein Polardorsch gewesen ist, besser gesagt, gleich fünf auf einmal.

Zum Polardorsch gibt es wegen seiner großen Bedeutung eine ganze Reihe von Studien. Ein internationales Team, darunter auch Forschende des deutschen Alfred-Wegener-Instituts (AWI), hat nun beinahe 400 wissenschaftliche Arbeiten der vergangenen Jahrzehnte ausgewertet, die sich mit dem arktischen Fisch beschäftigt haben. Das Fazit gibt leider Anlass zur Sorge: Vor allem der bereits weit fortgeschrittene Rückgang der arktischen Meereisbedeckung könnte sich erheblich auf die künftige Verbreitung der Art auswirken. Die Studie ist im Juli im Fachmagazin Elementa: Science of the Anthropocene veröffentlicht worden. Der Erstautor der Studie, Maxim Geoffroy, zieht folgende Schlüsse aus der Studie: „Unsere Ergebnisse zeigen, dass dringend gehandelt werden muss, um die Auswirkungen des Klimawandels auf die arktischen Polardorschbestände abzuschwächen. Die Veränderungen betreffen nicht nur den am häufigsten vorkommenden Fisch der Arktis, sondern stören auch das empfindliche Gleichgewicht des gesamten arktischen Ökosystems.“

Ein interessanter Teil der Studie ist der Versuch eines Blicks in die Zukunft, den Hauke Flores vom AWI angestellt hat: Er bewertet darin die Zukunftsaussichten für den Polardorsch bis zur Mitte dieses Jahrhunderts. Dabei fand er heraus, dass ie jüngsten Lebensstadien des Polardorschs am anfälligsten sind, was das Verschwinden des Meereises und die Erwärmung der Meere angeht: „Das Meereis ist für diesen Fisch sehr wichtig. Den Eiern und bis zu zwei Jahre alten Jungfischen bietet es Schutz vor Räubern. Umgekehrt finden die Jungfische unter dem Eis selbst im Winter Nahrung. Der Meereisrückgang hat daher nicht nur künftig, sondern auch heute schon erhebliche Auswirkungen auf den Polardorsch.“

Das klingt also nicht gut – laut Studie geht es dem Polardorsch gleich in mehrerlei Hinsicht an die Kiemen; sein Zuhause wird kleiner, er hat weniger zu fressen und plötzlich mehr Feinde. Schauen wir uns die einzelnen Felder noch ein bisschen genauer an:

Lebensraumverlust: Steigende Temperaturen und schrumpfendes Meereis bedrohen den Lebensraum des Polardorschs, besonders für seine Eier und Larven. Das wirkt sich nachteilig aus auf den Fortpflanzungszyklen, die Überlebenschancen, das Wachstum, die Verbreitung und die Ernährungsfähigkeit der ganzen Art.

Weniger Nahrung: Der Klimawandel verändert die Zusammensetzung des Zooplanktons, von dem sich Larven und Jungtiere des Polardorschs ernähren. Er kann sich also weniger gut ernähren, weniger gut wachsen, und mehr Larven sterben – wodurch letztlich die ganzen Bestände zurückgehen.

Beutedasein und Konkurrenz: Durch das weniger werdende Meereis und die so genannte Atlantifizierung des Arktischen Ozeans (er wird in seinen Eigenschaften dem Atlantik immer ähnlicher) hat der Polardorsch auf einmal auch mit Raubtieren und Konkurrenten aus Nordatlantik und nördlichem Pazifik zu tun. Seevogelarten und größere Fischarten aus südlicheren Regionen kommen immer weiter nach Norden. Dieser erhöhte Raubtier- und Konkurrenzdruck könnte kaskadenartige Auswirkungen auf das gesamte Ökosystem haben.

Erhöhte Risiken durch Förderung und Transport von Öl und Gas: Ein Risiko, das besteht, seit es die Öl- und Gastransporte auf unseren Meeren gibt: Besonders Ölverschmutzungen an der Meeresoberfläche können zu einer höheren Sterblichkeit, verringertem Wachstum und mehr Missbildungen bei Polardorschen führen.

Es sieht also nicht gut aus für den Polardorsch, genauso wie für viele andere Fischarten unserer Meere, beim Dorsch aber vor allem, weil das Eis weniger wird. Das ist ein Umstand, von dem die meisten Menschen nichts wissen: Dass es überhaupt nicht egal ist, ob ein Meer saisonal von Eis bedeckt ist oder nicht. Im Gegenteil, das Eis kann das ganze Leben im Meer verändern, und anders, als man denken würde, reicher anstatt ärmer machen. Es bleibt spannend, wie sich der Dorsch weiterentwickelt. Ob er eine Form der Anpassung findet, die vor allem die Jungen weiterhin schützt, auch wenn kein Eis mehr da wäre?

Bis in zwei Wochen!

Eure
Birgit Lutz

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Der arktische Ozean hat nicht überall die gleichen Eigenschaften, zu groß ist seine Fläche. Aber grundsätzlich kann man wohl guten Gewissens über ihn sagen, dass er ein sehr produktives Meer ist. Das heißt, obwohl viele Menschen annehmen, dass in der Kälte wenig gedeihen kann, ist dieser Ozean voll mit Leben, das jeden Sommer durch die lange Sonneneinstrahlung geradezu explodiert.

Der wichtigste Fisch im Arktischen Ozean ist der Polardorsch – er ist eine sehr wichtige Nahrungsgrundlage für arktische Seevögel und Meeressäuger wie Ringelrobben, Narwale und Belugas, spielt aber auch bei der Selbstversorgung der Inuit eine wichtige Rolle. Das habe ich selbst in Grönland schon erleben dürfen, wo der allererste Fisch, den ich jemals selbst aus einem Wasser zog, ein Polardorsch gewesen ist, besser gesagt, gleich fünf auf einmal.

Zum Polardorsch gibt es wegen seiner großen Bedeutung eine ganze Reihe von Studien. Ein internationales Team, darunter auch Forschende des deutschen Alfred-Wegener-Instituts (AWI), hat nun beinahe 400 wissenschaftliche Arbeiten der vergangenen Jahrzehnte ausgewertet, die sich mit dem arktischen Fisch beschäftigt haben. Das Fazit gibt leider Anlass zur Sorge: Vor allem der bereits weit fortgeschrittene Rückgang der arktischen Meereisbedeckung könnte sich erheblich auf die künftige Verbreitung der Art auswirken. Die Studie ist im Juli im Fachmagazin Elementa: Science of the Anthropocene veröffentlicht worden. Der Erstautor der Studie, Maxim Geoffroy, zieht folgende Schlüsse aus der Studie: „Unsere Ergebnisse zeigen, dass dringend gehandelt werden muss, um die Auswirkungen des Klimawandels auf die arktischen Polardorschbestände abzuschwächen. Die Veränderungen betreffen nicht nur den am häufigsten vorkommenden Fisch der Arktis, sondern stören auch das empfindliche Gleichgewicht des gesamten arktischen Ökosystems.“

Ein interessanter Teil der Studie ist der Versuch eines Blicks in die Zukunft, den Hauke Flores vom AWI angestellt hat: Er bewertet darin die Zukunftsaussichten für den Polardorsch bis zur Mitte dieses Jahrhunderts. Dabei fand er heraus, dass ie jüngsten Lebensstadien des Polardorschs am anfälligsten sind, was das Verschwinden des Meereises und die Erwärmung der Meere angeht: „Das Meereis ist für diesen Fisch sehr wichtig. Den Eiern und bis zu zwei Jahre alten Jungfischen bietet es Schutz vor Räubern. Umgekehrt finden die Jungfische unter dem Eis selbst im Winter Nahrung. Der Meereisrückgang hat daher nicht nur künftig, sondern auch heute schon erhebliche Auswirkungen auf den Polardorsch.“

Das klingt also nicht gut – laut Studie geht es dem Polardorsch gleich in mehrerlei Hinsicht an die Kiemen; sein Zuhause wird kleiner, er hat weniger zu fressen und plötzlich mehr Feinde. Schauen wir uns die einzelnen Felder noch ein bisschen genauer an:

Lebensraumverlust: Steigende Temperaturen und schrumpfendes Meereis bedrohen den Lebensraum des Polardorschs, besonders für seine Eier und Larven. Das wirkt sich nachteilig aus auf den Fortpflanzungszyklen, die Überlebenschancen, das Wachstum, die Verbreitung und die Ernährungsfähigkeit der ganzen Art.

Weniger Nahrung: Der Klimawandel verändert die Zusammensetzung des Zooplanktons, von dem sich Larven und Jungtiere des Polardorschs ernähren. Er kann sich also weniger gut ernähren, weniger gut wachsen, und mehr Larven sterben – wodurch letztlich die ganzen Bestände zurückgehen.

Beutedasein und Konkurrenz: Durch das weniger werdende Meereis und die so genannte Atlantifizierung des Arktischen Ozeans (er wird in seinen Eigenschaften dem Atlantik immer ähnlicher) hat der Polardorsch auf einmal auch mit Raubtieren und Konkurrenten aus Nordatlantik und nördlichem Pazifik zu tun. Seevogelarten und größere Fischarten aus südlicheren Regionen kommen immer weiter nach Norden. Dieser erhöhte Raubtier- und Konkurrenzdruck könnte kaskadenartige Auswirkungen auf das gesamte Ökosystem haben.

Erhöhte Risiken durch Förderung und Transport von Öl und Gas: Ein Risiko, das besteht, seit es die Öl- und Gastransporte auf unseren Meeren gibt: Besonders Ölverschmutzungen an der Meeresoberfläche können zu einer höheren Sterblichkeit, verringertem Wachstum und mehr Missbildungen bei Polardorschen führen.

Es sieht also nicht gut aus für den Polardorsch, genauso wie für viele andere Fischarten unserer Meere, beim Dorsch aber vor allem, weil das Eis weniger wird. Das ist ein Umstand, von dem die meisten Menschen nichts wissen: Dass es überhaupt nicht egal ist, ob ein Meer saisonal von Eis bedeckt ist oder nicht. Im Gegenteil, das Eis kann das ganze Leben im Meer verändern, und anders, als man denken würde, reicher anstatt ärmer machen. Es bleibt spannend, wie sich der Dorsch weiterentwickelt. Ob er eine Form der Anpassung findet, die vor allem die Jungen weiterhin schützt, auch wenn kein Eis mehr da wäre?

Bis in zwei Wochen!

Eure
Birgit Lutz