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Birgit Lutz

In ihrer Polarkolumne, die ab 2021 immer freitags auf unserer Homepage neu erscheint, schreibt die Expeditionsleiterin und Autorin Birgit Lutz über alle Themenfelder der Polarregionen - von großen Erlebnissen und kleinen Momenten auf eigenen Reisen über aktuelle Entwicklungen in Arktis und Antarktis bis hin zu praktischen Informationen für Ihre Reisevorbereitung oder Empfehlungen zur Polarliteratur.

Notizen aus dem Eis 22 – Was ist eigentlich die Arktis?

Manchmal denke ich, die versiertesten Arktis-Spezialisten sind Fünftklässler. Bei meinen vielen Schulbesuchen bin ich noch nie von einem Elfjährigen gefragt worden, wie es denn den Pinguinen so geht am Nordpol. Erwachsene wollen das schon ab und zu von mir wissen. Oder ich erzähle von Grönland und dann sagt jemand, er möchte auch so gern mal in die Antarktis. Schüler bis zur sechsten Klasse wissen sehr genau: Arktis – Eisbären – oben. Antarktis – Pinguine – unten. Aber irgendwann nach der siebten Klasse wird dieses sehr präzise Polarwissen von anderen Prioritäten verdrängt, so mein Eindruck.

Deswegen also jetzt und hier: Was ist denn eigentlich die Arktis?

Zuerst einmal: Die Arktis liegt, wenn wir einen normal aufgehängten Globus anschauen, oben, also im Norden, mittendrin der Nordpol. Die Arktis ist dabei eine sehr interessante Gegend, weil sie weder ein Kontinent noch ein Land, weder eine zusammenhängende Landmasse noch ausschließlich ein Ozean ist. Die Arktis ist eine Klimazone, die sich über verschiedene Meere, Kontinente und Länder erstreckt, und in der es nicht nur Eisbären, sondern allerhand anderes Getier und auch Menschen gibt – und genau diese Vielfalt macht die Arktis auch so interessant.

Viele Menschen denken, die Arktis sei alles, was nördlich des nördlichen Polarkreises liegt – das ist aber nicht ganz richtig. Der Polarkreis beschreibt lediglich jenen Breitengrad, an dem die Sonne zur Zeit der Sonnenwende gerade nicht mehr auf- oder untergeht. Nördlich davon gibt es also einen Polartag und eine Polarnacht, im Sommer geht die Sonne dort nicht unter und im Winter geht sie nicht auf. Nahe am Polarkreis gibt es jeden Tag noch eine Dämmerung, die immer mehr abnimmt, je weiter man nach Norden kommt, und in Spitzbergen bleibt es im Winter tatsächlich zappenduster und im Sommer rund um die Uhr taghell.

Das also ist die Bedeutung des Polarkreises, und das hat nun erst einmal nicht direkt etwas mit dem Klima und der Arktis an sich zu tun – auch wenn natürlich die saisonal so stark variierende Sonneneinstrahlung ein wesentliches Charakteristikum der Arktis ausmacht.

Es gibt aber eine ganz andere Grenze, nördlich derer man im Allgemeinen von der Arktis spricht – und das ist der 10-Grad-Juli-Isotherm. Was ist das? Ganz einfach: Nördlich dieser Grenze steigen die Durchschnittstemperaturen im Juli nicht über zehn Grad. Noch einfacher: Nördlich davon ist es kalt.

Und wenn man sich diese Linie ansieht, dann stellt man fest, dass diese nicht auf einem Breitengrad und damit gleichförmig um den Nordpol herum verläuft, sondern immer wieder weite Ausbuchtungen nach Norden oder Süden aufweist. Diese Ausbuchtungen werden beeinflusst durch die vorhandenen Landmassen oder Meeresströmungen. Und damit beschreibt diese Grenze die Arktis deutlich besser als der Polarkreis: Weil das Klima auf einem Breitengrad sehr unterschiedlich sein kann. Man betrachte den Polarkreis in Grönland – wo er quer über das Inlandeis führt und der 10-Grad-Juli Isotherm hunderte Kilometer südlich davon verläuft, und im Vergleich dazu Nordnorwegen, wo der Isotherm nördlich des Polarkreises verläuft und durchaus nicht die ganze Landschaft vergletschert ist.

Noch etwas anderes unterscheidet diese Grenze vom Polarkreis: Der Polarkreis ist nicht nur ein ebenmäßiger Kreis, er ist auch unveränderlich, so lange sich der Winkel der Rotationsachse der Erde nicht verändert. Das ist mit dem 10-Grad-Juli-Isotherm (Karte) nicht so. Er hängt von veränderlichen Temperaturen ab – und mit den derzeit steigenden Temperaturen wandert diese Grenze nach Norden.

Was macht die Arktis noch aus? Der größte Teil der Arktis ist Meer: das Nordpolarmeer, das von mehreren Kontinenten umgeben ist. Bis zu fünfeinhalbtausend Meter ist dieses Meer tief; bedeckt wird es von einer saisonal schwankenden Eisdecke, die im Winter viel größer ist als im Sommer. Die zweitgrößte Oberfläche der Arktis ist das grönländische Inlandeis, das Eisschild, das die größte Insel der Welt bedeckt. 1,7 Millionen Quadratkilometer bedeckt diese Eisfläche noch, mit einem Volumen von fast drei Millionen Kubikkilometer.

Auch wenn der größte Teil der Arktis ein Meer ist, verläuft der 10-Grad-Juli-Isotherm dennoch zum größten Teil über Land – rings um den nördlichsten Rand der das Nordpolarmeer umgebenden Kontinente herrscht arktisches Klima – in Russland, Alaska, Kanada, natürlich in Grönland, mitten durch Island und schließlich sogar ein Stück in Europa, im äußersten Zipfel Nordnorwegens. Und damit umfasst die Arktis – zusätzlich zum Polarmeer und den vergletscherten Inseln – auch noch sehr unterschiedliche Landstriche mit insgesamt etwa vier Millionen wiederum sehr unterschiedlichen Einwohnern.

Wem gehört nun der Nordpol?

Unzählige Abenteuergeschichten haben sich in der Arktis zugetragen, bei den Versuchen, zum nördlichsten Punkt der Welt zu gelangen und auch bei den Versuchen, neues Land zu finden. Daran hat sich bis heute kurioserweise nicht viel geändert, wenn es auch heute etwas anders abläuft.

Die Küstenlinien der Arktis-Anrainerstaaten sind mehr als 45.000 Kilometer lang und jeder Küstenstaat hat „Anspruch“ auf einen kleinen Teil des Polarmeers – auf die 200 Seemeilen Breite ausschließliche Wirtschaftszone entlang der Küste. Alles außerhalb dieser Zonen ist internationales Gewässer und gehört niemandem.

Norwegen, Russland, Kanada und Dänemark haben allerdings beantragt, diese Grenzen auszuweiten, mit der Argumentation, dass der Kontinentalschelf der einzelnen Länder über die 200-Meilen-Zone hinausgeht und die Grenze dementsprechend angepasst werden müsste.

Eine solche Anpassung hätte weitreichende Folgen auf den Umgang mit den unter dem schmelzenden Meereis immer besser erreichbaren Bodenschätzen und deren Abbau. Bohrinseln weit im Polarmeer wären denkbar, für die es keine internationalen Übereinkünfte mehr geben müsste. Dementsprechend stehen damals wie heute mächtige Interessen hinter der Frage nach dem „Besitzer“ des Nordpols.

Um die 1900er Jahre war die Arktis ein Spielplatz für Abenteurer, die den Nordpol für ihr Land erringen wollten – als dies erledigt war, nahm das Interessen an den nördlichsten Regionen erst einmal wieder rapide ab. In den letzten Jahrzehnten allerdings hat es eben durch die schwindende Eisbedeckung rapide wieder zugenommen.

Fazit: Das alles überstrahlende Merkmal der Arktis ist heute der gewaltige Wandel, dem die Region unterliegt – auf klimatischer Ebene ebenso wie hinsichtlich der kulturellen Entwicklungen und der wirtschaftlichen und industriellen Vorstöße. Und damit ist die Arktis nicht nur wegen der Eisbären – und nicht der Pinguine! – eine der spannendsten Regionen der Erde.

Und nun raten wir mal, worum es kommende Woche gehen wird?

Den Ort, an dem die Pinguine wohnen, natürlich!

Bis nächste Woche!

Ihre

Birgit Lutz

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Manchmal denke ich, die versiertesten Arktis-Spezialisten sind Fünftklässler. Bei meinen vielen Schulbesuchen bin ich noch nie von einem Elfjährigen gefragt worden, wie es denn den Pinguinen so geht am Nordpol. Erwachsene wollen das schon ab und zu von mir wissen. Oder ich erzähle von Grönland und dann sagt jemand, er möchte auch so gern mal in die Antarktis. Schüler bis zur sechsten Klasse wissen sehr genau: Arktis – Eisbären – oben. Antarktis – Pinguine – unten. Aber irgendwann nach der siebten Klasse wird dieses sehr präzise Polarwissen von anderen Prioritäten verdrängt, so mein Eindruck.

Deswegen also jetzt und hier: Was ist denn eigentlich die Arktis?

Zuerst einmal: Die Arktis liegt, wenn wir einen normal aufgehängten Globus anschauen, oben, also im Norden, mittendrin der Nordpol. Die Arktis ist dabei eine sehr interessante Gegend, weil sie weder ein Kontinent noch ein Land, weder eine zusammenhängende Landmasse noch ausschließlich ein Ozean ist. Die Arktis ist eine Klimazone, die sich über verschiedene Meere, Kontinente und Länder erstreckt, und in der es nicht nur Eisbären, sondern allerhand anderes Getier und auch Menschen gibt – und genau diese Vielfalt macht die Arktis auch so interessant.

Viele Menschen denken, die Arktis sei alles, was nördlich des nördlichen Polarkreises liegt – das ist aber nicht ganz richtig. Der Polarkreis beschreibt lediglich jenen Breitengrad, an dem die Sonne zur Zeit der Sonnenwende gerade nicht mehr auf- oder untergeht. Nördlich davon gibt es also einen Polartag und eine Polarnacht, im Sommer geht die Sonne dort nicht unter und im Winter geht sie nicht auf. Nahe am Polarkreis gibt es jeden Tag noch eine Dämmerung, die immer mehr abnimmt, je weiter man nach Norden kommt, und in Spitzbergen bleibt es im Winter tatsächlich zappenduster und im Sommer rund um die Uhr taghell.

Das also ist die Bedeutung des Polarkreises, und das hat nun erst einmal nicht direkt etwas mit dem Klima und der Arktis an sich zu tun – auch wenn natürlich die saisonal so stark variierende Sonneneinstrahlung ein wesentliches Charakteristikum der Arktis ausmacht.

Es gibt aber eine ganz andere Grenze, nördlich derer man im Allgemeinen von der Arktis spricht – und das ist der 10-Grad-Juli-Isotherm. Was ist das? Ganz einfach: Nördlich dieser Grenze steigen die Durchschnittstemperaturen im Juli nicht über zehn Grad. Noch einfacher: Nördlich davon ist es kalt.

Und wenn man sich diese Linie ansieht, dann stellt man fest, dass diese nicht auf einem Breitengrad und damit gleichförmig um den Nordpol herum verläuft, sondern immer wieder weite Ausbuchtungen nach Norden oder Süden aufweist. Diese Ausbuchtungen werden beeinflusst durch die vorhandenen Landmassen oder Meeresströmungen. Und damit beschreibt diese Grenze die Arktis deutlich besser als der Polarkreis: Weil das Klima auf einem Breitengrad sehr unterschiedlich sein kann. Man betrachte den Polarkreis in Grönland – wo er quer über das Inlandeis führt und der 10-Grad-Juli Isotherm hunderte Kilometer südlich davon verläuft, und im Vergleich dazu Nordnorwegen, wo der Isotherm nördlich des Polarkreises verläuft und durchaus nicht die ganze Landschaft vergletschert ist.

Noch etwas anderes unterscheidet diese Grenze vom Polarkreis: Der Polarkreis ist nicht nur ein ebenmäßiger Kreis, er ist auch unveränderlich, so lange sich der Winkel der Rotationsachse der Erde nicht verändert. Das ist mit dem 10-Grad-Juli-Isotherm (Karte) nicht so. Er hängt von veränderlichen Temperaturen ab – und mit den derzeit steigenden Temperaturen wandert diese Grenze nach Norden.

Was macht die Arktis noch aus? Der größte Teil der Arktis ist Meer: das Nordpolarmeer, das von mehreren Kontinenten umgeben ist. Bis zu fünfeinhalbtausend Meter ist dieses Meer tief; bedeckt wird es von einer saisonal schwankenden Eisdecke, die im Winter viel größer ist als im Sommer. Die zweitgrößte Oberfläche der Arktis ist das grönländische Inlandeis, das Eisschild, das die größte Insel der Welt bedeckt. 1,7 Millionen Quadratkilometer bedeckt diese Eisfläche noch, mit einem Volumen von fast drei Millionen Kubikkilometer.

Auch wenn der größte Teil der Arktis ein Meer ist, verläuft der 10-Grad-Juli-Isotherm dennoch zum größten Teil über Land – rings um den nördlichsten Rand der das Nordpolarmeer umgebenden Kontinente herrscht arktisches Klima – in Russland, Alaska, Kanada, natürlich in Grönland, mitten durch Island und schließlich sogar ein Stück in Europa, im äußersten Zipfel Nordnorwegens. Und damit umfasst die Arktis – zusätzlich zum Polarmeer und den vergletscherten Inseln – auch noch sehr unterschiedliche Landstriche mit insgesamt etwa vier Millionen wiederum sehr unterschiedlichen Einwohnern.

Wem gehört nun der Nordpol?

Unzählige Abenteuergeschichten haben sich in der Arktis zugetragen, bei den Versuchen, zum nördlichsten Punkt der Welt zu gelangen und auch bei den Versuchen, neues Land zu finden. Daran hat sich bis heute kurioserweise nicht viel geändert, wenn es auch heute etwas anders abläuft.

Die Küstenlinien der Arktis-Anrainerstaaten sind mehr als 45.000 Kilometer lang und jeder Küstenstaat hat „Anspruch“ auf einen kleinen Teil des Polarmeers – auf die 200 Seemeilen Breite ausschließliche Wirtschaftszone entlang der Küste. Alles außerhalb dieser Zonen ist internationales Gewässer und gehört niemandem.

Norwegen, Russland, Kanada und Dänemark haben allerdings beantragt, diese Grenzen auszuweiten, mit der Argumentation, dass der Kontinentalschelf der einzelnen Länder über die 200-Meilen-Zone hinausgeht und die Grenze dementsprechend angepasst werden müsste.

Eine solche Anpassung hätte weitreichende Folgen auf den Umgang mit den unter dem schmelzenden Meereis immer besser erreichbaren Bodenschätzen und deren Abbau. Bohrinseln weit im Polarmeer wären denkbar, für die es keine internationalen Übereinkünfte mehr geben müsste. Dementsprechend stehen damals wie heute mächtige Interessen hinter der Frage nach dem „Besitzer“ des Nordpols.

Um die 1900er Jahre war die Arktis ein Spielplatz für Abenteurer, die den Nordpol für ihr Land erringen wollten – als dies erledigt war, nahm das Interessen an den nördlichsten Regionen erst einmal wieder rapide ab. In den letzten Jahrzehnten allerdings hat es eben durch die schwindende Eisbedeckung rapide wieder zugenommen.

Fazit: Das alles überstrahlende Merkmal der Arktis ist heute der gewaltige Wandel, dem die Region unterliegt – auf klimatischer Ebene ebenso wie hinsichtlich der kulturellen Entwicklungen und der wirtschaftlichen und industriellen Vorstöße. Und damit ist die Arktis nicht nur wegen der Eisbären – und nicht der Pinguine! – eine der spannendsten Regionen der Erde.

Und nun raten wir mal, worum es kommende Woche gehen wird?

Den Ort, an dem die Pinguine wohnen, natürlich!

Bis nächste Woche!

Ihre

Birgit Lutz